Gustave Caillebotte: Der diskrete Impressionistenpate

(c) RMN (Musée d´Orsay) (© RMN-Grand Palais / Art Resour)
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Gustave Caillebotte, lang als mäßig begabter Mitläufer missachtet, hatte einen scharfen Blick auf das moderne Leben. Daran erinnert eine prächtige Schau in Washington.

Man vergisst heute, angesichts der ins Verkitschte kippenden Vermarktung ganzer Ozeane voller Seerosen, gar zu leicht, dass der Impressionismus einst einem rebellischen Aufbegehren gegen den Muff der Autoritäten entsprungen ist. Raus aus dem Studio, hinaus in die Welt! Wir verdanken es den Impressionisten, dass die Malerei sich dem Hier und Jetzt, der Zeit und ihren Menschen zugewandt hat, auf eine Weise, die noch 150Jahre später einen Eindruck davon vermittelt, wie sich das Leben damals an der Schwelle zur modernen Massengesellschaft angefühlt haben mag.

Ohne Gustave Caillebotte, den Sohn eines Selfmademillionärs aus der Normandie, hätte es den Impressionismus als geballte Kraft gegen das Establishment nicht gegeben. Mit Mitte 20 verwaist, aber finanziell sorgenfrei, warf sich dieser im Jahr 1848 geborene reiche junge Mann ins Zeug, um die Gruppe um Degas, Monet, Pissarro und Cézanne zu fördern. Er organisierte und finanzierte die meisten ihrer acht Gruppenausstellungen und kaufte den oft unter bitterer Geldnot leidenden Malern Bilder ab; vor allem Claude Monet verdankt Caillebotte viel, er zahlte ihm immer wieder die Miete und beglich seine Schulden. Zu Lebzeiten vermachte Caillebotte seine Impressionistensammlung dem Staat; diese rund 60 Gemälde bilden den Kern dessen, was heute im Musée d'Orsay zu bestaunen ist.

Ein Mäzen, ein Förderer, zweifellos. Doch auch ein Künstler von Rang? Lang wurde Caillebotte als zweitrangiger, mäßig begabter Mitläufer abgehandelt. Das lag paradoxerweise gleichermaßen an seinem Reichtum wie an seiner Diskretion. Da er kein Geld verdienen musste, verkaufte er zeitlebens kein einziges Bild. Und da seine letztwillige Schenkung an den Staat nur die Werke der anderen Impressionisten umfasste, während sein eigenes Œuvre nach seinem allzu frühen Tod im Jahr 1894 in alle Winde verstreut wurde, gibt es heute kein Museum, keine Galerie, in denen man sich einen Überblick über Caillebottes Werk verschaffen kann.

Schwindelanfälle in der Metropole

Glücklicherweise ändert sich das; 2012 zeigte die Frankfurter Kunsthalle Schirn eine Schau, und nun ist bis 4.Oktober in der National Gallery of Art in Washington eine klug zusammengestellte Auswahl seiner rund 50besten Bilder zu sehen (www.nga.gov).

Sie sind erstaunlich. Der Blick des Besuchers wird gleich im ersten Saal von den „Parkettschleifern“ gefangen, mit denen Caillebotte nach der Zurückweisung vom Pariser Salon 1876 an der zweiten Impressionistenschau teilgenommen hat. „Malen Sie Akte, aber malen Sie schöne Akte oder gar keine“, donnerte ein konservativer Kritiker, dem die erschöpften Arbeiter missfielen, die da am Parkettboden kratzten. Ein anderer war hingerissen: „Wer kennt Caillebotte? Ich kann nur sagen, dass er der originellste Maler seit Jahren ist; ich schrecke nicht davor zurück zu sagen, dass er bald berühmt sein wird.“

Die Luft bleibt dem Betrachter des 1880 entstandenen Bildes „Eine Verkehrsinsel, Boulevard Haussmann“ ebenso weg wie angesichts von „Boulevard, von oben gesehen“: Als hätte Caillebotte sich mit dem Pinsel in der Hand vom Balkon gestürzt und wäre malend über die Ginkgobäume, Kutschen und Passanten geflogen. Die Welt musste ein halbes Jahrhundert warten, ehe Fotografen wie André Kertész wieder so einen Blick für das Urbane fanden. Und dann ist da natürlich „Straße in Paris an einem regnerischen Tag“, sein bekanntestes Bild aus dem Jahr 1877: Passanten in dunklen Gewändern, allesamt mit ihren Gedanken allein, von Regenschirmen aus industrieller Massenfertigung gegen die Elemente und gegen menschliche Interaktion geschützt. War Caillebotte ein Nostalgiker, den die entfremdende Moderne beunruhigte? Wir wissen es nicht. Einen diskreten Hinweis hat er hinterlassen: Der Typ jener grünen Straßenlaterne, welche das Bild teilt, war 1877 längst nicht mehr auf den Straßen von Paris zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2015)

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