Ari Rath: "Ein Glück, dass wir überlebten"

Eine Gruppe jüdischer Kinder will in „Wir sind am Leben“ nach Palästina flüchten.
Eine Gruppe jüdischer Kinder will in „Wir sind am Leben“ nach Palästina flüchten.(c) Volker Gläser
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In „Wir sind am Leben“ flüchten jüdische Kinder nach Palästina. Auch der Ex-Chefredakteur der „Jerusalem Post“ konnte so den Nazis entkommen.

Es ist stickig in der Halle. Alte Matratzen liegen auf dem Boden, darauf Rucksäcke und kleine, braune Koffer. In einer Ecke schläft ein Mädchen mit Zöpfen und Wollsocken, die anderen Kinder lungern herum, klappern mit Emailtöpfen. Dann schreitet ein junger Mann, eine Zigarette rauchend, durch das schummrige Licht und schreit: „Ruhe!“ Es wird augenblicklich still. „Wenn wir dann losgehen, will ich keinen Laut auf Deutsch hören! Während der Reise seid ihr slowenische Waisenkinder. Verstanden?“

Nach einigen Versuchen ist der Regisseur, Nikolaus Leytner, mit der Szene zufrieden. Bis Donnerstag wird in Laibach noch das historische Drama „Wir sind am Leben“ gedreht. Die Koproduktion von ORF, ARD und Graf Film erzählt eine wahre Geschichte: von einer Gruppe jüdischer Kinder, die 1941 von Wien aus aufbrechen, um über Jugoslawien nach Palästina zu flüchten. Als sie in Zagreb einen Zwischenstopp einlegen, marschiert dort die deutsche Wehrmacht ein, ein neuer Fluchtplan muss her. Über ein Jagdschloss in Slowenien gelangen die Kinder nach Nonantola in der italienischen Poebene, wo sie in einer leer stehenden Villa Unterschlupf finden. Doch auch diese Region wird von der Wehrmacht besetzt, woraufhin die Bewohner Nonantolas die Kinder vor den Nazis verstecken. Ob sie Palästina je erreichen werden, ist unklar.

Rund 70 Kinder und Jugendliche sind bei den Dreharbeiten involviert, etwa 15 haben eine tragende Rolle. Einige berichten, dass der Hintergrund der Geschichte sie belaste – immerhin könnten sie sich nach Drehschluss ins Hotelbett fallen lassen, wissend, dass die Kinder, die sie darstellen, auch nachts von Zukunftsängsten und Sorge um ihre Familie geplagt waren. Spaß machen ihnen die Dreharbeiten dennoch, auch wenn sie dafür Strapazen in Kauf nehmen: Ein Jugendlicher präsentiert etwa sein fünfschichtiges Kostüm aus Wolle und Filz, das er auch bei 35 Grad tragen musste.

Ari Rath: „Als ob es gestern war“

Von der Professionalität der jungen Darsteller begeistert ist Nina Proll, die die Kinderbetreuerin Helga spielt. „Ich habe mich gefragt, ob ich in dem Alter schon bereit gewesen wäre, so einen Film zu machen, und das kann ich kategorisch mit Nein beantworten.“ Dabei sei das Schauspielern ein durchaus kindlicher Beruf: „So wie Kinder miteinander Vater-Mutter-Kind spielen, so spielen wir noch als Erwachsene. Wenn du den Kindern sagst, ihr seid jetzt auf der Flucht, und es ist kalt, und ihr habt Hunger, dann können sie das unmittelbar umsetzen. Sie haben auch keine Angst, sich zu blamieren.“

Es ist ein besonderer Moment, als ein Zeitzeuge das Set besucht, der 1938 selbst mit einem Kindertransport von Wien nach Palästina gelangte: Ari Rath, späterer Chefredakteur der „Jerusalem Post“, war damals 13. An seinen Abschied kann er sich erinnern, „als ob es gestern war“: Mit dem Taxi fuhr er zum Südbahnhof, seine Großmutter gab ihm noch einen Topf Marillenmarmelade und einen großen Honigkuchen mit. Mit dem Nachtzug ging es dann nach Triest, von dort mit dem Schiff nach Haifa. Der Setbesuch habe ihn in die Zeit zurückversetzt: „Das bringt alle meine Kindheitserinnerungen zurück, wie man über Nacht vom Mensch zum Unmensch wurde. Wir mussten weg, und es war ein Glück, dass wir es überlebt haben.“

Eine Begegnung am Set habe Rath besonders berührt: „Da kommt ein Junge auf mich zu, und ich schaue ihn an und sage: Du siehst genauso aus wie ich vor 78 Jahren. Wie mein Spiegelbild.“ Der junge Darsteller ist der 13-jährige León Orlandianyi aus Wien, der eines der jüdischen Flüchtlingskinder spielt. Dass er einen Zeitzeugen treffen durfte, hat ihn schwer beeindruckt. „Er hat gesagt: Stell dir vor, deine Mutter kommt in der Früh zu dir und sagt: Du kannst nicht mehr hier bleiben.“

Die aktuelle Flüchtlingssituation beobachtet Rath „sehr kritisch.“ Seiner Meinung nach hätte längst auf höchster Ebene über die Unterbringung der Flüchtlinge verfügt werden sollen. „Es gibt genügend leere Kasernen, alte Krankenhäuser, nicht gebrauchte Schulen. Da wurde nicht genug getan, und wer daran verdient, ist Herr Strache.“

Fernsehfilm. „Wir sind am Leben“ (u.a. mit Sophie Stockinger, Nina Proll, August Zirner) wird noch bis Donnerstag in Laibach gedreht und soll 2016 ausgestrahlt werden. Der Film handelt von der Flucht jüdischer Kinder nach Palästina. Auch Ari Rath, Ex-Chefredakteur der „Jerusalem Post“, konnte 1938 auf einem solchen Kindertransport dem Nazi-Regime entkommen. Im Bild steht er neben Jungdarsteller Leon Orlandianyi, der ihn an sein eigenes 13-jähriges Ich erinnert.

Compliance-Hinweis: Die Reise nach Laibach fand auf
Einladung des ORF statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2015)

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