Simonischek: "Gemeinsam auf eine kühne Reise gehen"

Simonschek
SimonschekMoritz Hecht
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Dass Regisseure zur ersten Probe kommen und das Theaterstück gerade einmal gelesen haben oder es "Käse finden" all das hat Peter Simonischek schon erlebt.

Kürzlich habe ich Goethes „Clavigo“ in Salzburg gesehen. Während der Vorführung hat fast die Hälfte der Zuschauer das Theater verlassen. Für die Schauspieler muss das ein Horrorszenario sein.

Peter Simonischek: Das kommt ganz darauf an, wie man in der Produktion eingeschworen wird. Es kann ja auch sein, dass der Regisseur vorweg sagt: „Wenn nach den ersten 15 Minuten nicht mindestens zehn Zuschauer aufgestanden sind, hast du etwas falsch gemacht. Und wenn sie gehen, ist es wichtig, dass du genauso penetrant bleibst, wie bei den Proben.“ Das ist ja alles denkbar. Haben Sie sich denn gut unterhalten?

Die Reaktion des Publikums fand ich unterhaltsamer als das Schauspiel auf der Bühne.

Das ist ja schade. Ich habe das Stück nicht gesehen. Aber ich finde, eine Theateraufführung muss es leisten, Leute zu unterhalten und nicht, sie zu verscheuchen. Und es gibt viele Möglichkeiten, das Publikum zu unterhalten und zwar nicht unter Niveau. Ich bin da ganz bei Billy Wilder, der sagte: „Es gibt drei Regeln beim Filmemachen: Du sollst nicht langweilen, du sollst nicht langweilen, du sollst nicht langweilen.“ Das gilt auch fürs Theater. Ganz entscheidend für das Gelingen eines Theaterabends sind die ersten zehn Minuten.


Was passiert da?

In den ersten Minuten ist die Aufmerksamkeit des Publikums so hoch, wie sie später freiwillig nie wieder ist. In den ersten Minuten will jeder wissen, wo es langgeht. Und ich finde, jeder Regisseur muss wissen, dass man diese Minuten besonders verantwortlich bedienen muss.


Was heißt „verantwortlich bedienen“?

Der Zuschauer sollte danach wissen, was der Regisseur vorhat oder zumindest, dass er etwas vorhat. Teils ist es ja heute schick, anders an die Sache heranzugehen. Es gibt Regisseure, die kommen zur ersten Probe und sagen: „Leute, ich habe keine Ahnung, ich habe das Stück gerade mal gelesen.“

Das halte ich für hochgradig unprofessionell.

Es gibt auch Regisseure die sagen: „Das Stück ist ja ein Käse. Aber vielleicht ist es auch kein Käse. Lasst uns mal überprüfen, ob es doch kein Käse ist.“ Das ist natürlich eine fatale Ansage.

Wie motivieren Sie sich, wenn eine Produktion so beginnt?

Ich denke mir, schau ma' mal. Ich will nicht zu jenen gehören, die gleich alles hinschmeißen. Ich habe schon viele Sachen gemacht, bei denen der Regisseur anfangs wirklich nicht wusste, wo es hingeht, aber wir sind gemeinsam auf eine kühne Reise gegangen. Ob sie gelingen kann, hängt sehr von dem Potenzial der Person ab, die da unten sitzt, und vom Können der Schauspieler. Das Ganze basiert auf Vertrauen. Manchmal passiert es bei jungen Regisseuren, dass sie mit einer unglaublichen Arroganz und Chuzpe daherkommen.

Ist Arroganz nicht immer fehl am Platz?

Natürlich möchte man das meinen. Es ist schade, wenn das jemand braucht. Auf der anderen Seite verstehe ich, dass ein junger Regisseur die Hosen gestrichen voll hat, wenn er sich da unten hinsetzt. Es ist für einen Regisseur nichts leichter als einen Schauspieler fertigzumachen. Aber es geht auch umgekehrt.

Wozu soll das gut sein? Letztlich sitzen doch Schauspieler und Regisseur im selben Boot.

Ja, in diesem Beruf gilt der Spruch „mitgefangen, mitgehangen“ mehr als überall sonst.

Sind Sie schon bei einer Produktion ausgestiegen?

Ich bin noch nie abgesprungen. Aber ich habe schon ein paar Mal sehr harte Probezeiten erlebt. Da bin ich gerade einmal mit meinem Leben davongekommen. Das sage ich ohne Pathos.

Wie meinen Sie das?

Ich meine, dass einem alle möglichen Gedanken kommen bis zu dem, sich aus dieser Welt verabschieden zu wollen.

Das ist Ihnen schon passiert?

Sonst würde ich es Ihnen nicht erzählen. Ich denke da an eine Produktion vor vielen, vielen Jahren. Da ist es mir passiert, dass ich im Ensemble plötzlich völlig isoliert war. Da gab es keinerlei Solidarität – von niemandem mehr. Ich war an meine schlimmste Zeit im Gymnasium erinnert. Da kommt man in einen Strudel. Auf einmal ist man so schlecht, wie man sich fühlt. Dann bekommt man gar nichts mehr auf die Reihe.

Wie haben Sie diese Zeit überlebt? Wer hat Sie gestützt?

Tasso, die Figur, die ich gespielt habe, hat mich gestützt. (Anm.: „Torquato Tasso“, Schauspiel von Johann Wolfgang Goethe). Ich habe erkannt, dass meine Situation mit der Bühnenfigur identisch ist. Tasso ist völlig isoliert.

Und hatten Sie mit der Rolle Erfolg?

Ich hatte großen Erfolg damit. Und nachdem das so war, haben sich alle Kollegen wieder eingekriegt und sich mir zugewandt.

Die Lehre aus der Geschichte?

Ich wünsche mir, dass mir das nie wieder passiert. Ich wünsche mir aber auch, dass es mir wieder passieren könnte.

Sie haben vorher Ihre Schulzeit erwähnt, die Sie im Stiftsinternat in Sankt Paul im Lavanttal verbracht haben. Wie sind Ihre Erinnerungen daran?

Toll und schrecklich. Gerade hatten wir das 50. Maturatreffen. Wir kamen alle zusammen, wir mögen uns alle, wir sind ja miteinander aufgewachsen. Die Erinnerung verklärt alles.

Gibt es denn etwas zu verklären?

Ja, natürlich. Wenn ich mich heute daran erinnere, welcher Willkür wir ausgeliefert waren, da sträuben sich einem die Haare.

Willkür macht wütend.

Mich hat sie eher hilflos und ergeben gemacht. Die Launen der Lehrer waren wie das Wetter – völlig unberechenbar. Teils waren das psychopathische Chaoten. Doch neben der Ohnmacht gab es noch ein anderes Gefühl: Unverbrüchliche Solidarität unter den Kollegen. Das ging über jedes Außenseitertum hinaus.

Seit wann wussten Sie, dass Sie Schauspieler werden wollen?

Ab meinem sechzehnten Lebensjahr habe ich gewusst, was ich will.

Ihr Vater hatte andere Pläne mit Ihnen. War er trotzdem stolz auf Sie?

Ja, ganz schnell. Und wie! Ihn hat beeindruckt, dass ich alles allein durchgezogen habe, er wusste nicht, dass ich die Schauspielschule gemacht habe.

Der Modedesigner Karl Lagerfeld hat auf die Frage, ob er es vermisse, Kinder zu haben, sinngemäß gesagt: Nein, stellen Sie sich vor, sie wären schlechter als ich. Oder – viel schlimmer – sie wären besser als ich!

Eine schicke Antwort, nicht?

Die Sie nachvollziehen können? Ihr ältester Sohn, Max, ist auch Schauspieler.

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich kann Karl Lagerfeld überhaupt nicht verstehen. Und für meinen Sohn wünsche ich mir, dass er besser wird als ich. Warum denn nicht? Schlechter, das täte mir leid. Weil er ein Supertalent ist und auch weiß, wie der Hase in diesem Beruf läuft.

Ist ihm Ihre Meinung wichtig?

Ja, aber er fragt nicht dauernd. Wenn ich in seiner Vorstellung war, dann fragt er mich. Wenn ich etwas zu sagen habe, sage ich es.

Auch Unangenehmes? Das stelle ich mir schwierig vor.

Na, da haben wir doch alle Übung! Wenn Sie etwas loswerden wollen, müssen Sie zuerst zwei positive Sachen sagen und erst dann das Unangenehme.

Irgendwann durchschaut man das Schema doch und wartet nur auf den dritten Satz.

Trotzdem ist es wichtig, dass man es so macht. Niemand mag es, wenn einem gleich auf den Kopf zu gesagt wird, was man falsch gemacht hat. Sie doch auch nicht.

Ist Ihnen sein Urteil wichtig?

Durchaus. Ich freue mich immer sehr, wenn die Kinder in der Vorstellung sind, obwohl das für mich nicht leicht ist.

Wieso?

Weil die Kinder ja mir gegenüber nicht so eine Verantwortung spüren. Die kommen raus und sagen: „Also der Teichtmeister, der war sensationell, der war wirklich gut!“ Die machen sich einen Riesenspaß und quälen mich. Aber ich habe ja Humor. Nur wenn's zu viel wird, dann platzt mir der Kragen.

Herr Simonischek, darf man Sie auch fragen...


1. . . welche Ängste Sie quälen?

Ich habe manchmal Panik, nicht alle Dinge auf die Reihe zu kriegen, wenn ich abends in meinen Kalender schaue und glaube, dass sich alle Termine überlagern. Das ist mein Albtraum, unvorbereitet zu einer Probe zu kommen. Passiert ist es mir aber noch nie.

2. . . wofür Sie ins Theater gehen?

Zum Beispiel, um zu erleben, wie Nicholas Ofczarek im „Lumpazivagabundus“ als Knieriem die Not eines Alkoholikers so auf die Bühne bringen kann. Dafür gehe ich ins Theater.

3... weshalb Sie gerade einen Bart tragen?

Nicht aus freien Stücken, sondern weil ich mit dem Regisseur Jo Bayer gerade einen Film drehe. Da spiele ich einen alten SS-Mann, der in einem italienischen Bergdorf eine ganze Familie liquidiert hat. Nur ein Enkelkind hat überlebt und sucht Jahrzehnte später nach dem Mörder seiner Familie. Und findet ihn.

Steckbrief

1946
wurde Simonischek in Graz geboren und ging im Stiftsgymnasium in Sankt Paul im Lavanttal zur Schule. Er absolvierte die Akademie für Musik und darstellende Kunst.

Von 1979 bis 1999
war er Ensemblemitglied der Berliner Schaubühne unter der Leitung von Peter Stein und später unter Andrea Breth.

Seit 1999
gehört Simonischek zum Ensemble des Wiener Burgtheaters.

Seit 1982
spielt er Hauptrollen bei den Salzburger Festspielen.

Von 2002 bis 2009
spielte er die Titelrolle in Hugo von Hofmannsthals Stück „Jedermann“.

Seit 1980
ist Simonischek in zahlreichen Filmen zu sehen. Derzeit dreht er einen Film mit dem deutschen Regisseur Jo Bayer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2015)

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