Dustin Hoffman: „Unsere Zeit ist langsam vorbei“

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BRITAIN CINEMA HOFFMAN(c) EPA (DANIEL DEME)
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Schauspieler Dustin Hoffman spricht über seinen neuen Film, „Der Chor: Stimmen des Herzens“, seine schwierigen Anfänge in Hollywood und die Angst vor einem abrupten Karriereende.

Er ist einer der größten Schauspieler unserer Zeit. Seine Wandlungsfähigkeit ist enorm – egal, ob er einen autistischen Rain Man spielt, einen Obdachlosen in „Asphalt Cowboy“ oder eine Frau in „Tootsie“. Jetzt ist er in „Der Chor: Stimmen des Herzens“ (Kinostart: 27.August) zu sehen, in dem er einen fordernden Maestro spielt, der das Talent eines jungen Schülers entdeckt.

Sie haben in dem Film „Der Chor“ tatsächlich Klavier gespielt. Ist an Ihnen ein Musiker verloren gegangen?

Dustin Hoffman: Ich wollte eigentlich Musiker werden, doch ich war dafür nicht talentiert genug. Ich habe im Alter von zehn Jahren angefangen, Klavier zu spielen, doch meine Hände waren zu klein, um wirklich gut zu werden. Übrigens besteht da nicht automatisch ein Zusammenhang zwischen der Größe der Hände und den unteren Gefilden des Körpers. Ich kann mir allerdings denken, dass Sie genau das schreiben werden. (lacht)

Wollen wir den Größen nicht zu viel Bedeutung beimessen.

Genau, schließlich gab es auch schon kleine Basketballspieler. Muggsy Bogues und Spud Webb waren echte Stars, aber nur 1,60m groß. Einer der beiden hat einmal gesagt: „Den anderen gehört die Luft, doch ich beherrsche den Boden.“

Ihnen wurde vorhergesagt, dass Sie als Schauspieler nicht erfolgreich sein würden, als Sie zusammen mit Ihrem Freund Gene Hackman auf die Schauspielschule gingen.

Ich habe Gene im „Pasadena Playhouse“ kennengelernt. Da war ich gerade vom College geflogen, und man hatte mir gesagt, als Schauspieler könne man nicht rausfliegen, ähnlich wie beim Fitnessstudio. Also wollte ich es dort versuchen. Gene Hackman wurde dennoch nach drei Monaten gefeuert, weil er angeblich keinerlei Talent hatte. Ich wurde auch nicht besonders ermuntert und habe mich eher renitent und feindselig gegenüber den anderen verhalten. Robert Duvall war übrigens der Dritte im Bund, mit ihm habe ich das Zimmer geteilt. Jeder von uns hätte denjenigen laut ausgelacht, der uns prophezeit hätte, dass wir als Schauspieler mal ganz groß rauskommen würden. Es ist schon ein irrer Zufall, dass es ausgerechnet für uns drei tatsächlich so gekommen ist.


Warum, glauben Sie, sind Sie schließlich so erfolgreich geworden?

Mike Nichols hatte damals den Mut, mich für eine Rolle zu besetzen, für die ich eigentlich nicht der Richtige war, denn ich bin Jude.


Sie sprechen vom Film „Die Reifeprüfung“, für den er dann den Oscar erhalten und der Sie über Nacht berühmt gemacht hat.

Es gab zuerst haufenweise Verrisse, die im Grunde genommen antisemitisch motiviert waren – meine große Nase fand besondere Erwähnung. Kurzum, ich war ihnen nicht protestantisch genug, und damit hatten sie ja auch völlig recht. Bevor der Film in die Kinos kam, hatte Nichols ihn vielen Privatleuten vorgeführt. Die Resonanz war jedes Mal: „Was für ein großartiger Film, doch die Hauptrolle ist eine Fehlbesetzung.“ Also dachten alle, dass der Film beim Publikum durchfallen würde.


Würden Sie einen guten Mentor abgeben? Sie spielen ja einen harten Knochen, der in einem Waisen ein großes Talent erkennt.

Klar. Ich will mich hier nicht selbst loben, aber im Grunde genommen machen Schauspieler das doch andauernd, jedenfalls die meisten. Wir helfen einander bei unserer Arbeit. Manche Regisseure mögen das nicht besonders, dann musst du den Kollegen die Tipps zwischen den Zähnen zuflüstern, wie in den Gefängnisfilmen: „Psst, du! Nicht ganz so dick auftragen, nimm dich mehr zurück. Achtung, die Wache kommt!“ (lacht) Die meisten von uns wollen, dass die Szene so gut wie möglich wird, also sind wir für Hinweise dankbar.


Konnten Sie bei Ihren Kindern ähnlich gut Hilfestellung leisten?

Da läuft's ganz anders ab. Mein Sohn Jake hat gerade seinen ersten eigenen Film gemacht, Regie geführt und das Drehbuch geschrieben. Er hat mir keine einzige Szene gezeigt, bis der ganze Film fertig war. Ich habe früher für ihn den Anspielpartner bei Probeszenen gegeben und sein Spiel kommentiert. Doch anschließend ist er bei jedem Vorsprechen rausgeflogen, seitdem war meine Meinung nicht mehr gefragt. Mein anderer Sohn ist Komponist und Sänger. Eine meiner Töchter ist Malerin, die andere schreibt Texte für die Website Refinery 29. Nicht alle sechs mögen es, wenn ich sie öffentlich lobe, also halte ich jetzt lieber meinen Mund.


Gene Hackman hat sich längst aus der Branche zurückgezogen. Sehen Sie die Chance, dass er seine Meinung noch einmal ändert?

Ich habe schon länger nicht mit ihm gesprochen, er lebt jetzt in Santa Fé. Als wir 2003 „Das Urteil“ gedreht haben, hat er mir seinen Rückzug angekündigt. Er malt und schreibt Romane und hat damit sicher eine weisere Entscheidung getroffen als unsereins, der immer weiterspielt.


Warum? Hatten Sie je das Gefühl, dass Ihre Gabe ausgeschöpft ist oder Sie sogar verlassen hat?

Geht das nicht jedem von uns so, dass man fürchtet, seine Gabe könnte einem irgendwann abhandenkommen? Die großen Tennisspieler zittern vor ihrem Einsatz in Wimbledon – egal, wie erfolgreich sie bis dahin waren. Bei uns heißt es: „Du bist nur so erfolgreich wie dein letzter Film.“


Vor drei Jahren, mit 75, gaben Sie Ihr Regiedebüt über ein Altersheim voller Musiker. Werden Sie weiterhin Regie führen?

Das würde ich sehr gern. Damals, nach Drehende von dem Film „Das Urteil“, sind Hackman und ich etwas trinken gegangen, und er hat mich gefragt: „Geht dir das auch wie mir, wenn ein Film fertig ist? Packt dich dann auch die Angst, nicht wieder für einen neuen Film angefragt zu werden?“ Diese Furcht ist unser ständiger Begleiter. Gäbe es keine Filmfestivals, dann würde den kleineren Filmen die Luft ausgehen. Dann würden nur noch epische Blockbuster produziert. Unsere Zeit ist langsam vorbei, was bei mir perfektes Timing ist, mit meinen 78 Jahren.


Was war die beste Entscheidung Ihres Lebens?

Endlich einmal eine einfache Frage. Meine Frau, Lisa, geheiratet zu haben.


Das ist mehr als 30 Jahre her. Wie haben Sie sie kennengelernt?

Das ist eine lange Geschichte. Haben Sie bis heute Abend Zeit?


Haben Sie eine Kurzversion?

Unsere Familien kannten sich.


Vielleicht nicht so zu kurz.

Okay: Als ich 14 war, spielte ich auf der Hochzeit ihrer Eltern Klavier. Danach habe ich das Paar so alle zwei Jahre besucht. Ich habe mich ja zehn Jahre in New York als Kellner herumgeschlagen. Jeder dachte, ich sei ein Versager, und sie hatten alle recht. Bei einem dieser Besuche traf ich die Kinder der Gottsegens. Lisa war damals zehn, ihr Bruder acht, sie war erkältet und durfte nicht raus. Sie erzählte von ihren Ballettstunden, tanzte mir im Tutu etwas vor, ich spielte dazu Klavier. Lisas Großmutter Blanche schaute zu, sie war die beste Freundin meiner Mutter. Die Jahre vergingen, ich heiratete meine erste Frau, eine Tänzerin am New Yorker Ballett, und das Ganze ging schief. Zwei Künstler in einer Familie, das ist keine gute Idee, sag ich Ihnen. Ich hatte immer noch Kontakt zu Lisas Familie, und irgendwann hielt ich um Lisas Hand an.


Das kam jetzt aber sehr abrupt.

Das kommt davon, wenn man die Kurzversion will. Als wir Blanche, ihrer Oma, erzählten, dass wir heiraten, sagte sie: „Erinnert ihr euch noch an den Tag, als Dustin Klavier spielte und Lisa ihre Ballettkünste vorführte? Als Dustin ging, sagte Lisa zu mir: „Oma, wenn ich erwachsen bin, werde ich diesen Mann heiraten.“

Steckbrief

1937
wurde Dustin Hoffman in Los Angeles geboren.

1967
bekam er als bis dahin unbekannter Schauspieler die Hauptrolle in Mike Nichols' Film „Die Reifeprüfung“ – für Hoffman der weltweite Durchbruch.

1980
wurde er für seine Hauptrolle in „Kramer gegen Kramer“ mit einem Oscar ausgezeichnet. 1989 folgte der zweite Oscar für „Rain Man“. Zu seinen weiteren erfolgreichen Filmen zählen unter anderem „Wag the Dog“, „Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich“, „Das Parfum“ und „Schräger als Fiktion“.

2012
gab er sein Regiedebüt mit dem Drama „Quartett“. Dustin Hoffman ist mit der Anwältin Lisa Gottsegen verheiratet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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