„Die Flüchtlinge und wir“: Die neue Art der Hilfsbereitschaft

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Wohnung bereitstellen, Deutsch beibringen, Kleidung sammeln. Die Flüchtlingskrise animiert viele Privatpersonen, sehr konkret Hilfe zu leisen. Das zeigt, wie sehr sich Freiwilligenarbeit verändert.

Eine deutsche Journalistin erzählt auf Facebook von einer ungewöhnlichen Taxifahrt: Bepackt mit Säcken voller Windeln und Babysachen war sie auf dem Weg zu einem Berliner Flüchtlingsheim. Als sie beim Aussteigen zahlen wollte, fragte der Taxifahrer: „Sind das alles Spenden?“ Nachdem sie bejahte, erwiderte er: „Dann bezahlen Sie nichts.“ Anekdoten wie diese fallen noch immer auf, weil sie noch immer nicht selbstverständlich sind. Dennoch sind sie auch Zeichen für die zunehmende Welle der Solidarität mit den tausenden in Österreich, Deutschland und Ungarn gestrandeten Menschen aus Kriegsgebieten wie Syrien.

So kennt nun beinah jeder jemanden, der in der aktuellen Flüchtlingskrise nicht mehr zusehen oder ein bisschen Geld spenden, sondern selbst aktiv werden will. Viele Privatpersonen sind in den vergangenen Wochen regelmäßig mit Kleidung, Toiletteartikeln oder Obst in das bis vor wenigen Tagen völlig überfüllte, unterversorgte Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen gefahren. Zuvor hatten sie in ihrem Freundeskreis nach Sachspenden gefragt oder darum gebeten, auf eigene Kosten Deutschunterlagen auszudrucken. Manche stellen leer stehende Wohnungen für Flüchtlingsfamilien bereit oder verbringen Zeit mit einer Familie, andere veranstalten regelmäßig ein Begegnungs-Picknick im Prater, wieder andere organisieren einen Nachmittag für jugendliche Flüchtlinge in Wien. Unternehmen rufen zu Sammelaktionen auf. Nicht wenige Helfer tun dies auch öffentlich kund, das soziale Medium Facebook ist beliebte und geeignete Plattform dafür. Dort kann man nicht nur auf die Eigeninitiative aufmerksam machen und die eigene Hilfsgeschichte mit Bildern inszenieren (Motto: „Mein Flüchtling und ich“), sondern auch andere zur Mithilfe, zum Spenden animieren.

Die Hilfsbereitschaft wird so sichtbar – und sie verändert sich. Sie ist viel individueller und unmittelbarer geworden. Während man bei den Balkankriegen vor 20 Jahren vorwiegend mittels Geldspenden bei „Nachbar in Not“ half, wird heute mit ganz konkreten Dingen geholfen und direkt Kontakt mit Betroffenen gesucht. Die aktuelle Krise hat auch eine schöne Seite: sie zeigt eine wachsende Zivilgesellschaft, die sich engagieren will.

Einerseits hat das Versagen der Politik – vor allem in Traiskirchen – viele Menschen wütend gemacht und zum Handeln animiert. „Man traut dem Staat die konkrete Hilfe gar nicht mehr zu“, sagt Michael Walk, der Organisator der Wiener Freiwilligenmesse, die demnächst zum vierten Mal stattfindet. Zudem ist das Leid durch neue Medien viel unmittelbarer sichtbar als früher. Die bereits erwähnten sozialen Netzwerke sind nicht nur Mittel, um leichter miteinander in Kontakt zu treten, Hilfe zu organisieren oder sich in täglichen Dosen zu empören, sondern dort wird auch ein Klein-Wettbewerb im Helfen geführt. Offizielle Institutionen haben sich bisher mit groß angelegten Aktionen deutlich zurückgehalten. Das mag an den Sommerferien oder an der bevorstehenden Wien-Wahl gelegen sein, die die Parteien lähmt.

Erst jetzt laufen langsam größere Aktionen an. „Helfen. Wie wir.“, die Hilfsplattform des ORF soll im September starten. Morgen, Montag findet in der Wiener Innenstadt eine Groß-Demo unter dem Motto „Mensch sein in Österreich“ statt, am 3. Oktober lädt die Plattform für eine menschliche Asylpolitik zu einer ebensolchen.


Manchmal nur gut gemeint statt gut. Michael Walk beobachtet die aktuelle Flüchtlingshilfe als Kenner der Freiwilligen-Szene sehr genau. Die Hilfsbereitschaft freut ihn, aber er hat auch einige Beobachtungen gemacht. In Österreich spielt Freiwilligenarbeit eine große Rolle. Vier Millionen Menschen helfen anderen unentgeltlich, ungefähr zur Hälfte innerhalb der Familie oder Nachbarschaft (informelle Freiwilligenarbeit), zur Hälfte in Vereinen und Institutionen (formelle Freiwilligenarbeit) – von der Freiwilligen Feuerwehr bis zur Altenpflege.

Aber Walk sieht massive Herausforderungen auf den Sektor zukommen: „Freiwilligenarbeit muss man sich leisten können“, sagt er. Bei steigender Arbeitslosigkeit und sinkendem Lohnniveau wird die Gruppe derer, die sich unentgeltliches Engagement leisten kann und will, immer kleiner. Auch sei es heute schwerer, Studenten für freiwillige Auslandseinsätze, etwa organisiert vom Österreichischen Bauorden, zu gewinnen, weil diese im Studium keine Zeit verlieren wollen.

Zudem würden die Helfer immer älter, weil es immer mehr aktive Senioren gibt. „Langfristig kann das aber ins Negative umschlagen, weil Vereine überaltern.“ In der aktuellen Flüchtlingskrise sieht er die vielen privaten Initiativen zwar positiv, manche Aktionen seien aber eher „gut gemeint als gut“. Er wünscht sich daher eine „stärkere Koordinierung der vielen individuellen Hilfsaktionen“. Er kenne viele „Projekte, die sich um Flüchtlinge kümmern, die gerade vor Helfern untergehen – aber dann gibt es andere, die dringend Helfer benötigen würden.“


Freiwillige werden mehr. Auch Petra Mühlberger von der Caritas beobachtet schon seit Längerem, dass das freiwillige Engagement im Land zunimmt. So waren etwa im Jahr 2014 insgesamt 300 Freiwillige im Asylbereich im Einsatz, 2015 sind es schon 500. (Zum Vergleich: Insgesamt 2200 Menschen helfen freiwillig in Caritas-Einrichtungen). Seit mehr als acht Wochen steht zudem der Omni.Bus vor dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen. „Gemeinsam mit knapp 1000 freiwilligen Helfern, die geschlichtet und sortiert haben, konnten wir seit Anfang Juli bei 40 Spendenausgaben an je 300 Menschen insgesamt rund 12.000 Spendenpakete verteilen“, sagt Martin Gantner, Pressesprecher der Caritas. Aber auch die Caritas bittet Helfer angesichts der Spendenmasse sich genau zu erkundigen, was konkret gebraucht wird. Sachspenden etwa können derzeit gar nicht mehr angenommen werden, weil das Spendenlager übergeht.

An konkreter Hilfe – egal, ob Zeit, Wohnraum oder Sprachkurse – wird es hingegen noch länger mangeln.

Freiwilligen-Messe in Wien

3,3 Millionen Österreicher (46 Prozent) engagieren sich informell (in der Familie oder Nachbarschaft) und formell (in Vereinen) freiwillig, zwei Millionen davon ehrenamtlich in Organisation und Vereinen (Zahlen von 2012).

Zum vierten Mal findet am kommenden Wochenende die Freiwilligen-Messe statt. Rund 80 Einrichtungen formeller Freiwilligenhilfe stellen sich hier vor – vom Sozialbereich über Kinder, Bildung, Gesundheit bis zu Senioren und Kultur.

Wann und wo: 5. September, 11–20 Uhr; 6. September, 10–17 Uhr. Rathaus, Lichtenfelsgasse 2, Wien 1. Der Eintritt ist frei.

Hilfe Sichtbar machen

Der ORF hat vergangene Woche die gemeinsame Hilfsplattform „Helfen. Wie Wir.“ mit NGOs vorgestellt. Die Aktion von ORF, Caritas, Rotem Kreuz, Diakonie, Volkshilfe, Hilfswerk und Samariterbund soll im September starten.

Schon heute, Sonntag beginnt Ö1 mit seinem Programmschwerpunkt „Geschichten vom Helfen“. In den kommenden Wochen werden private Flüchtlingshilfsprojekte in Österreich vorgestellt. Hörer können auf der Webseite http://oe1.orf.at/miteinander ihre Initiativen vorstellen. So werden im Rahmen von „Guten Morgen Österreich“ ab Montag, den 31. August, täglich um 7.45 Uhr Menschen porträtiert, die Flüchtlinge unterstützen und ihnen helfen. Der Schwerpunkt wird auch in den Sendungen „Radiokolleg“, „Moment – Leben heute“, „Von Tag zu Tag“, „Religion aktuell“ und anderen zu hören sein.

Wie kann Österreich besser mit der Flüchtlingskrise umgehen? Diskutieren Sie mit im Themenforum

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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