Westwood: „Merkel ist für mich kriminell“

Vivienne Westwood
Vivienne Westwood(c) APA/EPA/ANDY RAIN (ANDY RAIN)
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Vivienne Westwood will nicht mehr über Mode reden, Politik ist ihr wichtiger. Die Designerin über Klimawandel, Flüchtlinge und „kriminelle“ Politik.

Die Presse: Sie sprachen in Alpbach über „Ungleichheit als Lebenselixier“: Inwiefern ist Ungleichheit ein Antrieb für Sie?

Vivienne Westwood: Ich sehe Ungleichheit nicht als Stimulus. Ungleichheit ist eine tödliche Krankheit. Unser Wirtschaftssystem zielt darauf ab, Armut zu schaffen. Es schafft den Klimawandel, und das ist keine Krise, die vorüberzieht. Wir haben diese Zerstörung, sie schafft nicht nur Armut, sondern bringt den Tod. Als Aktivistin versuche ich, das verständlich zu machen: zum Beispiel mit einer Karte mit einer Linie um die Welt, auf der Höhe von Paris. Die Zone darüber bleibt bewohnbar, alles darunter wird unbewohnbar, wenn die Temperatur steigt.

Gab es für Sie einen Schlüsselmoment, um von der Designerin zur Aktivistin zu werden?

Ich habe vor sechs, sieben Jahren ein Interview mit dem Wissenschaftler James Lovelock gelesen. Er sagt, am Ende dieses Jahrhunderts werden auf der Erde nur noch eine Milliarde Menschen leben. Das hat mich zu Tode geängstigt. Also versuche ich, das zu kommunizieren. Ich habe gerade eine Kampagne gestartet: „Politiker sind Kriminelle“. Sogar Angela Merkel, die ich für eine gute Frau halte und sehr respektiere, muss ich derzeit eine Kriminelle nennen, weil sie sich nicht gegen das TTIP-Abkommen einsetzt. Jeder Politiker, der sich nicht gegen TTIP und Fracking und für Menschenrechte und Communitys einsetzt, ist für mich kriminell. Unser System ruiniert Communitys, es isoliert Menschen. Ein Beispiel: London baut Sozialwohnungen ab, nach dem Motto „Wenn du es dir nicht leisten kannst, in London zu leben: Pech gehabt“. Dafür entstehen Luxuswohnungen, in denen nie jemand lebt. Wir brauchen wieder echte Politiker, die für die Menschen arbeiten, Antworten auf die Frage haben: Wie kommen wir von da, wo wir sind, zu einer nachhaltigen Weltwirtschaft? Das würde weltweiten Frieden schaffen.

Das sind große Ziele. Wie schaut für Sie denn der Weg dorthin aus?

Das sind große Veränderungen, ja. Aber irgendwo muss man ja anfangen! Wir haben das Flüchtlingsthema. Die Menschen fangen erst an, das Ausmaß zu realisieren. Und dass das nicht irgendwo passiert, sondern genau bei uns. Die Welt wird mobiler, mehr Menschen werden versuchen zu kommen, auf der anderen Seite gibt es mehr mitfühlende Menschen, die helfen. Wenn wir die Linie unter Paris ziehen, werden wir alle Flüchtlinge sein!

Ist das eine Chance für die Zivilgesellschaft? In Österreich sehen wir gerade eine Welle des Engagements.

Die Menschen lernen, damit umzugehen. Auch dann, wenn Politik völlig passiv ist und versagt. Zum Beispiel hier (im Pop-up-Restaurant Iss mich! im Off Space Alpbach, Anm.) wird Essen aus Abfällen zubereitet, Flüchtlinge bekommen die Chance mitzuarbeiten. Andere Menschen setzten sich über Gesetze hinweg, um zu helfen. Es ist etwas in Gang. Zu lange sind Menschen auf die unmenschlichste Art, wie Tiere, behandelt worden. Wir müssen verstehen: Flüchtlinge und wir, wir sind alle dieselben Menschen! Die Regierungen versagen. Klimaflüchtlinge können dort, wo sie geboren wurden, nicht mehr überleben. Man nennt sie „Wirtschaftsflüchtlinge“, aber sie müssen umsiedeln, um zu überleben. Wäre ich Politikerin, würde ich Flüchtlingslager bauen und versuchen, den Leuten Arbeit zu geben. Dann müsste man eine grüne Ökonomie aufbauen.

Wie sehen Sie Ihre Rolle? Verpflichtet Bekanntheit zum Engagement?

Ich habe als Designerin eine gewisse Glaubwürdigkeit, und ich bin sehr dankbar, dass mir die Leute wegen meiner Bekanntheit aus der Mode zuhören, wenn ich über Aktivismus rede.

Sie reden heute nicht mehr gern über Mode. Warum?

Es ist viel interessanter, über diese Dinge zu reden. Als Designerin hatte ich immer das Gefühl, ich müsse mich rechtfertigen, nur Mode zu machen. Aber ich mache weiter Mode, weil wir den Menschen eine Wahlmöglichkeit geben: Qualität statt Quantität. Jeder muss seinen ökologischen Fußabdruck kompensieren, unser Unternehmen macht das, indem wir versuchen, ein Vorbild zu sein, was Effizienz und Qualität betrifft. Wir könnten in einer anderen Welt leben, wenn jeder seinen Konsum überdenkt, weniger verbraucht und dafür Preise bezahlt, die die Dinge wirklich kosten.

ZUR PERSON

Vivienne Westwood, Jahrgang 1941, Design-Ikone, „Queen of Punk“ und einer der zentralen Menschen der Modewelt unserer Zeit, engagiert sich seit Jahren als Aktivistin für Umweltschutz, eine andere Wirtschaftspolitik und Menschenrechte. Mit ihrem Ehemann, dem Zillertaler Andreas Kronthaler, war sie am Donnerstag beim Forum Alpbach zu Gast. Die beiden haben über „InEquality as Elixir of Life“ gesprochen. Westwood und Kronthaler leben in London, verbringen aber jedes Jahr einige Wochen auf einer Alm der Verwandtschaft im Alpbachtal.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2015)

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