George Weidenfeld: "Ich will zur Versöhnung beitragen"

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Im Gespräch mit der »Presse am Sonntag« erzählt Lord Weidenfeld warum Jihadisten heute die größte Gefahr darstellen und warum er sich für Kurt Waldheim eingesetzt hat.

Sie wurden 1919 in Wien geboren und machten erste politische Erfahrungen in der Sozialdemokratie. Haben Sie damals auch Bruno Kreisky gekannt?

George Weidenfeld: Ihn habe ich erst später kennengelernt, aber ich habe keine guten Erinnerungen an ihn. Er war gegen Israel, hat sich mit Palästinenser-Chef Jassir Arafat und dem libyschen Diktator Muammar Gaddafi verbündet und die Provokation gesucht. Kreisky hat aus dem David Israel einen Goliath gemacht und in seiner Nahost-Politik in keiner Weise recht gehabt. Er war ein Gegner Israels.


Sie haben Österreich nach dem Anschluss 1938 verlassen. Haben Sie noch oder wieder Beziehungen zu Österreich?

Sehr viele, und ich komme auch sehr gern. Ich habe viele Freunde in Österreich, und ich liebe die Oper. Ich schätze Wolfgang Schüssel sehr, Alois Mock und auch Franz Vranitzky waren ehrenwerte Männer.


Und Sie traten für Kurt Waldheim ein.

Das ist richtig. Nach dem Anschluss wurde ich als Jude von der Universität verwiesen. Juden durften nur noch Prüfungen ablegen, aber keine Vorlesungen mehr besuchen. Da half mir ein Student namens Kurt Waldheim, der mir seine Vorlesungsnotizen nach Hause oder in ein Kaffeehaus brachte und mir so ermöglichte, meine Prüfungen zu bestehen. Er war der Einzige.


Sie haben sich immer sehr positiv über die Entwicklung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg geäußert. Wenn Sie das mit Österreich vergleichen . . .

Ich sehe viele positive Dinge, und ich komme gern nach Österreich. Aber was in Deutschland geschehen ist, hat eine andere Dimension. Wie Deutschland sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat, genießt meine ganze Bewunderung und Loyalität.


Sie haben einmal gesagt, dass Sie nichts gegen einen Anschluss Österreichs an ein demokratisches Deutschland gehabt hätten.

Ich hege eine tiefe Liebe und Bewunderung für die deutsche Kultur. Ich habe drei Loyalitäten: Die erste ist zu meiner Familie, meinem Stamm, dem Judentum. Die zweite gehört Großbritannien, das mich 1938 aufgenommen und mir ein fantastisches Leben ermöglicht hat. Und drittens zur europäischen Kultur, wie sie mir vermittelt wurde durch die Werke von Goethe, Schiller, Grillparzer und viele andere. Ich habe nie etwas mit der Habsburger-Monarchie als politischem Imperium anfangen können, aber der Kulturraum, aus dem ich komme, bedeutet mir alles.


Sie haben 1948 mit Nigel Nicolson einen weltweit erfolgreichen Verlag gegründet. Der große Durchbruch war wohl 1959 die Veröffentlichung von Nabokovs „Lolita“?

Unsinn, zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon die Memoiren von Tito, de Gaulle und auch Speer veröffentlicht.


Welche Erinnerungen haben Sie als Jude an den hochrangigen Nazi Albert Speer?

Er war eine fantastische und faszinierende Gestalt: einerseits der Technokrat und hochzivilisierte junge Mann, der Hitlers Versuchung nicht widerstehen konnte. Umgekehrt der blinde Parteigänger. Ich traf ihn erstmals kurz nach seiner Freilassung bei einem privaten Essen und fragte ihn: „Sagen Sie, Herr Professor, wie konnte jemand wie Himmler so viel Macht ansammeln?“ Da antwortete er: „Himmler hatte ein Genie, die richtigen Leute zu finden.“ Dann ergänzte er schnell: „Aber er war eine satanische Persönlichkeit.“ Das war typisch für Speer. Er realisierte sofort, was sein Gegenüber hören wollte.


Hat er jemals ehrliche Reue gezeigt?

Ja, sicher. Aber sehr viel weniger als etwa Wilhelm Furtwängler oder Richard Strauss, die auch mit den Nazis mitgemacht hatten, aber viel früher verstanden, dass dies ein Fehler war.


Welche Gefahren sehen Sie heute?

Die größte Gefahr sind die Jihadisten. Sie sind schlimmer als alles, was wir jemals gekannt haben. Sie sind der Abschaum der Menschheit. Sie töten nicht nur, sie haben eine sadistische Freude am Töten. Der deutsche Nazi plant alles mathematisch genau und sieht die Vernichtung als industrielles Problem, wobei er eine Lösung ausarbeitet und die Schmutzarbeit an andere delegiert. Der russische Kommunist ist zu ungeschickt und unfähig, den Massenmord zu organisieren. Der Jihadist aber schneidet den Opfern die Genitalien ab, sticht ihnen die Augen aus und spießt ihre Köpfe auf. Es ist Bestialität ohne Grenzen.


Sie haben eine Aktion zur Rettung syrischer Christen ins Leben gerufen.

Unser Ziel ist es, 10.000 syrische Christen in Sicherheit zu bringen und ihnen eine neue Zukunft zu ermöglichen. In sozialdemokratisch regierten oder geprägten Ländern müssen wir uns rechtfertigen, warum wir nur Christen retten. Doch das ist reine Heuchelei: Wenn die Muslime ihren Glaubensbrüdern helfen wollen, wer hindert sie? Sie haben gewaltige finanzielle Möglichkeiten und sind auch geografisch viel näher.


Sie betonen seit Langem die Nähe zwischen Christentum und Judentum.

Meine letzte Aufgabe ist es umzusetzen, was Papst Johannes Paul II. so formuliert hat: „Das Judentum ist der ältere Bruder des Christentums.“ Ich will zur Versöhnung beitragen. In einer Familie führt man keinen Dialog, sondern man spricht miteinander, ungezwungen, als intime Freunde.


Spielen da auch eigene Erfahrungen mit?

Natürlich. Als ich 1938 mit 19 Jahren mittellos nach England kam, nahm mich eine strenggläubige protestantische Familie auf und behandelte mich wie ihren eigenen Sohn. Selbst meinen ersten Job bei der BBC verdanke ich dem tiefen Glauben meines Ziehvaters.


Sie machten eine rasante Karriere.

Ich war mit 19 Jahren der jüngste Mitarbeiter, denn die BBC je angestellt hat. Meine erste Aufgabe war es, Berichte aus Nazi-Deutschland auszuwerten. Bei Kriegsende war ich diplomatischer Korrespondent und abgestellt für Kontakte mit den europäischen Exilregierungen und Freiheitsbewegungen in England. Ich pflegte engen Umgang mit Charles de Gaulle, Edvard Beneš und Władysław Sikorski, aber auch mit den Freien Deutschen und Freien Österreichern. Damals lernte ich auch den späteren ersten Präsidenten Israels, Chaim Weizmann, kennen, dessen Stabschef ich nach der Staatsgründung für 18 Monate war.


Ihr Freund, der Philosoph Isaiah Berlin, sagte: „Die Menschheit ist aus krummem Holz geschnitzt.“ Stimmen Sie dem zu?

Absolut. Aber es ist unsere Aufgabe, dieses Holz ein wenig gerade zu biegen. Wer ein bisschen Geschichtssinn hat und kein reiner Zyniker ist, wird sich immer um Verbesserungen bemühen. Aber heute ist der Westen vollkommen demoralisiert. Als ich ein junger Mann war, haben die Menschen ihr Leben gegeben für Hitler, Lenin, Trotzki oder Anarchie. Heute interessiert die meisten jungen Menschen nur mehr der Konsum.


Nicht so die Jihadisten?

Als Jude habe ich den Trost, dass Israel als Zuflucht besteht. Aber ich habe Angst um Nichtjuden, wenn sich der gewalttätige Islam weiter ausbreitet. Bei mehr Terror wird es auch zu einer Reaktion kommen. Es wird Menschen geben, die nach einem neuen Hitler rufen, denn Hitler war der letzte weiße Mann, vor dem die Welt zitterte.


Die „Times“ notiert in der amtlichen Chronik des 18. Juni 2015: „The Prince of Wales this afternoon received Sir Ronald Harwood and the Lord Weidenfeld.“ Müssen Sie sich noch zwicken, wenn Sie den Lebensweg des mittellosen 19-jährigen Flüchtlings betrachten, der es zum Millionär gebracht hat und im Königshaus ein und aus geht?

Zwicken nicht mehr, dafür habe ich mich schon zu lange an alles gewöhnen dürfen. Und ich würde nicht sagen, dass ich im Königshaus ein und aus gehe. Die Queen habe ich ein paar Mal gesehen. Prinz Philip gibt einmal im Jahr ein Essen, bei dem ich dabei bin.


Sie wurden jüngst 96 Jahre alt. Sie sind immer noch höchst aktiv. Was treibt Sie an?

Vielleicht ist es Torschlusspanik. Im Ernst: Ich würde gern noch ein paar Dinge zu Ende bringen. Dazu gehört es, Möglichkeiten zu schaffen, Lösungen für globale Probleme zu finden. Je älter man wird, umso mehr möchte man etwas für andere erreichen.


Was bedeutet es Ihnen, Jude zu sein?

Es bedeutet mir sehr, sehr viel. Ich bin sehr stolz auf meine Herkunft und meine Familie. Ich bin ein überzeugter Zionist. Meine Frau und ich haben schon vorgesorgt, dass wir auf dem Herzlberg in Jerusalem unsere letzte Ruhestätte finden werden. ?

Steckbrief

1919
wird der spätere Sir Arthur George Weidenfeld in eine jüdisch-bürgerliche Familie in Wien geboren. Nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland 1938 flieht Weidenfeld nach Großbritannien und heuert bei der BBC an.
1945 gründet Weidenfeld gemeinsam mit Nigel Nicolson den Verlag Weidenfeld & Nicolson. Publiziert wurden unter anderem Vladimir Nabokovs „Lolita“, was zu einem Aufruhr führte. Ein Jahr nach Verlagsgründung erhält Weidenfeld die britische Staatsbürgerschaft. Nach der Gründung Israels wird Weidenfeld Berater der Regierung unter Präsident Chaim Weizmann. 1969 wird Weidenfeld in den Adelsstand erhoben.

Hr. Weidenfeld, darf man Sie auch fragen . . .


1 . . . welchen Autor Sie gern verlegt hätten?
Thomas Mann, aber da war ich mit meinem Verlag zu spät dran. Von den Österreichern nach 1945 hätte ich gern Thomas Bernhard verlegt.

2 . . . welchen Politiker Sie am meisten bewundern?
Helmut Kohl ist für mich der größte europäische Politiker seit 1945. Er hat es geschafft, dass Deutschland erstmals in seiner Geschichte nur von Freunden umgeben ist. Er ist ein Versöhnungspolitiker. Zudem ist Kohl ein Freund Israels, sein Einsatz für die Aussöhnung war beispiellos.

3 . . . wie Sie mit Papst Johannes Paul II. bekannt wurden?
Ich war im Aufsichtsrat des Wiener Instituts für die Wissenschaft vom Menschen und als solcher in die Sommerresidenz des Papstes nach Castel Gandolfo zu seinen Kolloquien eingeladen. Er war vertraut mit jüdischen Schriften und hat mich inspiriert, mich um Versöhnung zu bemühen.

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