Campino: "Dürfen nicht an dieser Flüchtlingsfrage zerbrechen"

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Wie es dazu kommt, dass eine Punkband Bundeskanzlerin Merkel für bemerkenswert hält, erzählte Sänger Campino der "Presse".

Die Presse: Zeitgleich zum Solidaritätskonzert für Flüchtlinge in Wien wurde am Samstag in Deutschland 25 Jahre Deutsche Einheit gefeiert. Hat der Tag für Sie eine Bedeutung ?

Campino: Wahrscheinlich war der Fall der Mauer politisch-historisch das schönste Erlebnis, an dem ich je teilnehmen durfte. Die Wiedervereinigung war historisch begründet und notwendig, da gab es keine Frage, ob man das gut oder schlecht findet. Es kam zusammen, was zusammengehörte. Gerade jetzt erinnere ich mich gern an diese Zeit, weil sie voller Schwierigkeiten und Herausforderungen war. Wir können uns heute daran ein gutes Beispiel nehmen. Es war Krieg in Jugoslawien, es gab große Flüchtlingsmengen, die aufgenommen werden mussten, die Bundesrepublik hatte die neuen Bundesländer dazubekommen und alles überstanden. Heute würde sich niemand an die 1990er-Jahre zurückerinnern und sagen, das war eine schlimme Zeit. Ich hoffe, dass wir das auch über 2015 einmal sagen können.

Deutschland ist nun in der Flüchtlingsfrage gespalten.

Wenn überhaupt, dann ist das ein europäisches Problem. Europa droht an diesem Problem zu zerreißen, nicht Deutschland.

Es war aber die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, die da eine mutige Geste gesetzt hat.

Ich bin unheimlich glücklich über das, was sie gesagt hat. Das war bemerkenswert. Merkel hat eine richtige Entscheidung getroffen, sie hatte auch gar keine andere Wahl. Europa hat lang genug die Realität vor der Tür gelassen und so getan, als berühre es die Probleme der restlichen Welt nicht. Nun ist das Szenario Wirklichkeit geworden, dass Menschen aus den Kriegs- und Krisenregionen kommen und sich nicht stoppen lassen. Europa wird sich fundamental verändern. Aber ich glaube, dass wir an dieser Sache wachsen können.

Merkel hat gesagt, wir schaffen das. Sie glauben das auch?

Es ist wie beim Sport, es geht um eine positive Grundeinstellung. Als christlich geprägte Nation werden wir gar nicht vor die Wahl gestellt, ob wir das gut oder schlecht finden, wir haben zu handeln. Es sind das Grundrecht und die Grundwürde jedes Menschen, eine Kriegs- und Krisenregion zu verlassen und bei anderen um Unterkunft zu bitten. Das ist nichts anderes als absolute Not- und Nächstenhilfe. Wie das dann strukturell zu lösen ist, ist ein anderes Thema. Natürlich sind alle am Anschlag. Die Überforderung ist teilweise groß. Wir haben uns zu lang nicht darauf vorbereitet, obwohl wir sehen konnten, was passieren würde. Man kann auch die Politik nicht allein im Regen stehen lassen, diesmal sind alle gefordert, wir schaffen es nicht ohne die Zivilbevölkerung.

Bei jeder Flüchtlingsdebatte fällt das Wort „Angst“. Angst ist diffus. Wie kann man ihr entgegentreten?

Indem wir versuchen, die Diskussion zu versachlichen. Indem wir versuchen, die Zündler, die mit diesen Ängsten und teilweise durchaus gerechtfertigten Sorgen spielen, in ihre Grenzen zu weisen. Das ist sicher das Schwierigste, die Emotionen aus dieser Debatte herauszubekommen.

Manche Medien stehen unter dem Verdacht, nicht über alles zu berichten, um keine Vorurteile zu schüren.

Wenn man andererseits liest, wie Einzelvorfälle, zum Beispiel Schlägereien in Flüchtlingsheimen, hochgepusht werden . . . Wenn am Wochenende Fußball gespielt wird, sind tausende Polizisten auf der Straße, da sind Schlägereien gang und gäbe. Aber wenn in einem Flüchtlingsheim mal die Sicherungen durchbrennen, dann führt das zu einem allgemeinen Bild einer wilden Meute. Das sind Verunsicherungen, die extrem schaden.

Die Erwartungshaltung, dass jeder Flüchtling per se auch ein guter Mensch ist, hilft da aber auch nicht.

Es kann doch nicht sein, dass man da eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellt, dass man sagt, Flüchtlinge sind willkommen, wenn sie uns nützen. Das ist doch keine erwachsene Reaktion. Natürlich müssen wir davon ausgehen, dass viele ungebildet sind, dass sie kein Wort unserer Sprache sprechen können, aber so leben wir doch auch. Tun Sie doch nicht so, als ob alle Abitur hätten, die hier rumlaufen.

Der Hass gegen Flüchtlinge ist vor allem anonym im Internet zu spüren.

Durch das Internet und die rasende technische Entwicklung müssen wir in allen Lebensbereichen mit diesem Tempo umgehen. Spätestens seit unserem Lied „Sascha“ in den 1990er-Jahren lebe ich mit Mobbing. Meine Eltern haben Morddrohungen bekommen, vor unseren Auftritten gingen Bombendrohungen ein. Das macht keinen Spaß, man härtet da auch nicht ab. Aber man muss es durchhalten. Eine Woche später wird wieder eine andere Sau durchs Dorf getrieben.

Es macht aber offenbar einen Unterschied, wer sich für Flüchtlinge starkmacht. Über Schauspieler Til Schweiger hat sich eine Lawine aus Häme ergossen.

Zynismus ist modern geworden. Es ist eigentlich ekelerregend, sich über Leute lustig zu machen, die auf ihre Weise versuchen, einen positiven Beitrag zu bringen. Wer mit Zynismus ein großer Spaßmacher sein will, riskiert es, an der Lunte zu zündeln. Aber für ein paar Lacher riskieren diese Deppen das eben.

Wir erlebten, wie Europa grenzenlos wurde. Werden unsere Kinder erleben, dass es wieder Grenzen gibt?

Wir dürfen nicht an dieser Flüchtlingsfrage zerbrechen, als Europäische Union. Die innereuropäischen Grenzen müssen komplett offen bleiben. Wir dürfen keine internen Grenzen errichten, schon gar nicht als längerfristige Einrichtung.

Wie sieht es eigentlich längerfristig aus mit den Toten Hosen? Wird schon an neuen Liedern gearbeitet?

Wir fangen langsam an, uns wieder zu sammeln, und stochern im Probenraum so herum. Wie Angler in einem relativ leer gefischten See halten wir unsere Ruten raus und warten, dass was anbeißt. Da braucht man Geduld, aber es wird schon werden. Die erste Findungsphase ist immer sehr schwierig. Wir haben unsere Antennen auf jeden Fall wieder ausgefahren.

Sie haben den Verlust Ihnen nahestehender Menschen erleben müssen. Macht Ihnen das Näherrücken von Tod und Krankheit Angst?

Ich denke, dass es uns allen so geht, dass wir mit dem Älterwerden feststellen, dass wir mehr auf Beerdigungen eingeladen werden als auf Hochzeiten. Es macht einen demütig. Niemand weiß, wer wann von einer Krankheit getroffen wird. Aber man kann zumindest in der Zeit, in der man zu den glücklichen Nichtbetroffenen zählt, würdigen, was man da geschenkt bekommen hat. In dem Moment, in dem man die Diagnose bekommt, dass man eine tödliche Krankheit hat, werden so viele Dinge unwichtig, da stellt sich das Leben auf den Kopf. Wir denken immer, dass wir Sorgen haben und unzufrieden sind, aber wenn es dann ans Eingemachte geht, sieht die Wertetabelle völlig anders aus.

ZUR PERSON

Campino ist Sänger und Frontmann der Toten Hosen, wurde 1962 als Andreas Frege in Düsseldorf geboren und hat einen Sohn. Er stammt aus einer gutbürgerlichen Familie, sein Vater war Richter, einer seiner Brüder ist ein prominenter Rechtsanwalt. Er engagiert sich für Flüchtlinge und gegen Rechtsextremismus, Anfang der 2000er-Jahre retteten er und die Band ihren Lieblingsfußballklub, Fortuna Düsseldorf, vor der Pleite.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2015)

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