Benicio del Toro: "Ich bin ein Dickkopf"

Benicio del Toro.
Benicio del Toro.(c) Constantin Film
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Benicio del Toro über seinen neuen Film „Sicario“, wie er den frühen Tod seiner Mutter verkraftete und sich als Puerto Ricaner in den USA einlebte.

Eigentlich hätte er der Familientradition folgen und Anwalt werden sollen. Beide Eltern übten diesen Beruf aus. Die Mutter starb an Hepatitis, als er neun Jahre alt war. Benicio del Toro wird am 19. Februar 1967 in San Juan in Puerto Rico geboren. Er besucht ein Internat in Pennsylvania. An der Universität entdeckt er seine Leidenschaft für Schauspiel und nimmt Unterricht. Einem größeren Publikum wird er als sadistischer Handlanger des Gegenspielers von James Bond in „Lizenz zum Töten“ (1989) bekannt. Der echte Start seiner Filmkarriere ist sein Auftritt in „Die üblichen Verdächtigen“. Für seine Rolle des „Dr. Gonzo“ an der Seite von Johnny Depp in „Angst und Schrecken in Las Vegas“ legt Benicio del Toro mehr als 20 Kilo zu. Zum Höhepunkt seiner bisherigen Karriere wird Steven Soderberghs Film „Traffic“. Für seine Rolle als Drogenfahnder in Mexiko wird Benicio del Toro als bester Nebendarsteller mit einem Oscar ausgezeichnet. Er ist weiter in anspruchsvollen Produktionen zu sehen, etwa in „21 Gramm“ (Regie: Alejandro Iñárritu) oder als Revolutionär in „Che Guevara“ (Regie: Soderbergh), wofür er im Rahmen der Filmfestspiele in Cannes mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet wird. In Denise Villeneuves Drogenthriller „Sicario“ spielt Benico del Toro nun einen mysteriösen Under-Cover-Agenten.


Ein Thema in „Sicario“ ist Selbstjustiz in einem Land, in dem es kein Recht und Gesetz mehr gibt. Inwieweit können Sie nachvollziehen, wenn Menschen das Gesetz selbst in die Hand nehmen?
Dieser Mann, den ich spiele, nimmt das Gesetz in die eigene Hand, und unterstützt wird er dabei von den USA, die unerlaubt in ein Land eindringen und dabei viele Regeln brechen. Das geht natürlich nicht. Ich bin der Meinung, du kannst mit jemandem abrechnen, indem du dir den Kerl schnappst und ihn vor Gericht bringst.


Und wenn das in einem korrupten System nicht möglich ist?
Grundsätzlich finde ich, dass die Unschuldsvermutung gilt, bis das Gegenteil bewiesen ist. Trotzdem kann ich die Motive dieses Mannes verstehen. Solche Menschen sind vergiftet von all der Gewalt, die sie täglich erleben. Sie haben beispielsweise ihre Angehörigen im Drogenkrieg verloren. In solchen Situationen kann einen der Schmerz blenden. Ich bin gegen die Todesstrafe. Aber Menschen, die einen Angehörigen durch eine Gewalttat verloren haben, sind häufig dafür. Und diese Einstellung kann man ganz schlecht verurteilen, solange man das nicht selbst erlebt hat.

„Sicario“ Wie in Steven Soderbergs „Traffic“ geht es auch hier um den Drogenkrieg in Mexiko und den USA.
„Sicario“ Wie in Steven Soderbergs „Traffic“ geht es auch hier um den Drogenkrieg in Mexiko und den USA.(c) Constantin Film



In „Sicario“ geht es um den Drogenkrieg in Mexiko. Welche Lösung sehen Sie für diesen Konflikt?

Die einzige Lösung, die ich sehe, um die Gewalt zu beenden, ist es, Drogen zu legalisieren. Und die Verteilung selbst zu regeln. Das Problem sind nicht die Drogen, sondern die Gewalt, die unkontrolliert wächst, weil wir den Konsum kriminalisieren. Ich weiß, das klingt jetzt ein bisschen zu einfach, und ich weiß auch nicht, wie man das praktisch umsetzen soll. Das wird bestimmt schwer. Aber das ist die einzige Lösung, die ich sehe.


Es gibt Kritiker, die meinen, im Film ist zu viel Gewalt zu sehen.
Ich finde es im Gegenteil sehr elegant, wie Regisseur Denise Villeneuve hier Gewalt zeigt. Wir sehen gar nicht so viel. Wie bei jedem guten Film assoziiert der Zuschauer Brutalität in seiner Fantasie.


Was empfinden Sie eigentlich, wenn Sie solche Szenen spielen müssen? Kann das nicht auch ein bisschen Spaß machen?
Alles, was man vor der Kamera macht, macht Spaß. Und Waffen kommen in Filmen vor, seit das Kino erfunden wurde. In einem der ersten Filme überhaupt wird ein Zug überfallen. Als ich das sah, konnte ich gar nicht glauben, wie brutal es war. Mir gefällt, wenn Gewalt elegant gezeigt wird. Aber auch dafür gibt es keine Regeln. Im Kino ist eigentlich alles erlaubt, solange es für den Zuschauer funktioniert.


Kann man das Böse nur bekämpfen, wenn man es zu einem gewissen Grad in sich trägt?
Einige Leute sagen, du musst in gewisser Weise ein Krimineller sein, um ein Polizist zu werden. Du musst es zumindest verstehen, wie sie denken und fühlen, um zu begreifen, wie sie handeln. Es gibt viel Literatur und Filme darüber, in denen ein Mann einen Serienkiller fassen muss und das nur kann, weil er irgendwann selbst anfängt, wie ein Serienkiller zu denken. Und ich gebe Ihnen vollkommen recht.


Wie tief steigen Sie in eine Rolle ein? Wenn man Sie auf der Leinwand sieht, spürt man eine große Intensität.
Das ist Schauspielkunst. Nicht mehr und nicht weniger. Aber ich muss zum Beispiel den Schmerz spüren, um den Menschen zu verstehen, den ich spiele. Und es sieht dann in diesem Moment vor der Kamera so aus, als ob ich wirklich leide.


Nehmen Sie Ihre Rolle am Ende eines Drehtages mit heim?
Ich habe keine Probleme, diese Gefühle und meine Rolle wieder abzustreifen. So wie man das mit einem Anzug macht. Ich gehe nach Hause, sehe fern und trinke ein Bier. Ich nehme nichts von meiner Rolle mit nach Hause. Ich bin keiner von diesen Schauspielern, die ihre Rolle auch nach Feierabend weiterspielen. Und ich muss niemanden töten, um zu fühlen, was ein Mörder tut. Dazu reicht meine blühende Fantasie.

(c) Constantin Film

Sie haben sich noch nie in einer Rolle verloren?
Gefühle führen ein Eigenleben. Das kennen wir aus dem wahren Leben. Wenn ich eine traurige Szene gespielt habe, kann es abends passieren, dass ich traurig bin. Aber vollkommen verliere ich mich nie in meine Arbeit. Das sollte einem Profi nicht passieren.


Sie sind in Puerto Rico geboren und als Bub in die USA ausgewandert. Was hat Ihnen geholfen, sich dort einzuleben?


Da gab es verschiedene Dinge. Was auf jeden Fall dazugehörte, waren die Musik und der Sport.
Welche Musik haben Sie damals am liebsten gehört?
Es waren entweder puertoricanische Songs oder Rock ’n’ Roll. Wenn ich Rock ’n’Roll gehört habe, dann vor allem die Rolling Stones oder Bruce Springsteen. Andere Kinder in meiner Schule waren auch allein. Ich war also nicht der Einzige. Heute denke ich: Ich habe mich in einem Umfeld aufgehalten, das mir gutgetan hat. Ich war an einer sehr guten Schule. Mit der Zeit habe ich in den USA eine neue Perspektive für mich und mein Leben entwickelt.
Sie waren noch sehr jung, als Ihre Mutter starb. Wie hat das Ihr weiteres Leben bestimmt?
Natürlich war es schwer für mich, ohne Mutter zu sein. Das ist die große Tragödie meines Lebens. Aber man muss sein Leben immer so nehmen, wie es kommt. Ich kann sagen, dass ich immer versucht habe, sie stolz zu machen.


Ihre Familie war zunächst gegen Ihre Berufswahl, trotzdem haben Sie sich durchgebissen. Woher haben Sie die Energie genommen?
Ich bin ein Dickkopf. Ich habe immer versucht, mich auf mein Ziel zu konzentrieren und mich von Misserfolgen nicht abhalten zu lassen. Meine Familie war entsetzt. Niemand von uns hatte je im Entferntesten etwas mit Film zu tun. Wir kannten auch niemanden. Schauspieler waren wie Außerirdische.


Haben Sie Ihrer Familie erzählt, dass Sie Schauspielunterricht nehmen?
Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihnen das zu erzählen. Mein Vater dachte, ich gehe zur Universität und studiere.


Sind Sie aufgeflogen, oder haben Sie Ihrer Familie irgendwann die Wahrheit gesagt?
Irgendwann hatte es dann keinen Sinn mehr, ihnen irgendwelchen Quatsch zu erzählen. Da wussten sie auch schon, dass ich hin und wieder spiele. Aber weil es bei mir immer auf und ab ging, dachten sie, das sei nur einer von vielen Jobs, mit denen ich das Studium finanziere. Sie haben mich immer gefragt: Und, Benicio? Wannmachst du endlich dein Diplom? Irgendwann habe ich es ihnen dann gesagt, dass ich Schauspieler werden möchte.

Tipp

„Sicario“. „Atemberaubend realistisch“, so die Kritik. Der Drogenthriller von Denis Villeneuve mit Emily Blunt und Benicio del Toro läuft derzeit im Kino.

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