Denksport: Der König der Hofburg

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Magnus Carlsen ist der Lionel Messi des Schachs. Der Norweger gilt als Superstar, Ikone und Genie - und war auf Geheimbesuch in Wien.

Für gewöhnlich werden Weltpremieren plakativ beworben und am Tag der Aufführung von TV-Teams und Blitzlichtgewittern inszeniert. Der Norweger Magnus Carlsen liebt es aber ruhig, wenngleich der 24-Jährige keineswegs introvertiert ist. Der Superstar der Schachwelt stattete Wien einen Kurzbesuch ab, streng geheim und unter Ausschluss der Öffentlichkeit trat der Weltmeister auf Einladung der International Bar Association (IBA) und seiner Anwaltskanzlei Simonsen Vogt Wiig Dienstagabend im Redoutensaal der Hofburg auf.

Aber eine Weltpremiere? Das Genie des auf 32 dunklen und 32 hellen Feldern stattfindenden Denksports beging seine Wien-Premiere und leistete Historisches: Der Triple-Weltmeister im Blitz-, Schnell- und Standardschach spielte gegen fünf Gegner simultan. Er spielte „blind“ – ohne Blick zu Schachbrett und Gegner –, und in Zeitnot. Carlsen hatte für alle Partien insgesamt zwölf Minuten (Bedenk-)Zeit, seine Gegner jeweils zwölf Minuten. Der Norweger gewann mit 3:2, zwei Partien verlor er ob Zeitnot.

Wenngleich anfangs nicht alle der 200 anwesenden Gäste tatsächlich begriffen hatten, wer denn da seine hohe Kunst vorführt, hat der Norweger sein Publikum im Sturm erobert. Er war nahbar, stand später für Fotos und Autogramme parat und wischte schlagartig viele Vorurteile vom Tisch. Er lachte, war zwei Stunden lang guter Dinge und ließ sich selbst von seinem mit strengem Blick auf die Uhr deutenden Manager nicht treiben. „Ich hatte das gleiche Format bislang erst gegen drei Gegner gespielt. Es war sehr anstrengend, vor allem die knappe Zeit war ein Problem. Dagegen wird die Blitz- und Schnell-Schach-WM ab Freitag in Berlin geradezu leicht.“

Populär und extrem erfolgreich

Wien sei eine tolle Stadt, als Dreizehnjähriger war er erstmals vor Schönbrunn gestanden. Eine Weltreise mit den Eltern hatte ihn nach Österreich geführt, aber Schach gespielt habe er hier noch nie. Eine Neuauflage ist nicht ausgeschlossen, zudem ist dem Norweger Österreichs bester Spieler, Markus Ragger (Nr. 48 der Fide-Weltrangliste) ein Begriff. „Auf ihn müsst ihr alles aufbauen!“

Dass Schach eine Sportart ist, mit der jüngere Generationen eher weniger anfangen können, etwa im Duell mit dem Computer oder dem Verlangen, gegen einen Ball zu treten, sei ihm bewusst. Dennoch sei er das beste Beispiel dafür, dass durchaus auch junge Menschen mit König, Dame, zwei Türmen, zwei Läufern, zwei Springern und acht Bauern etwas anfangen können. Wer das Interesse bei Kindern wecken wolle, müsse jedoch tunlichst danach trachten, „so früh wie möglich zu beginnen“, sagt Carlsen. Schach verlange Zeit, Ruhe, Einhalt, Konzentration – auch Geschick und Verständnis für Strategie und Philosophie. Für Carlsen gibt es nichts Schöneres.

Auch für den Veranstalter gibt es kaum populärere Gäste, doch auf Publicity legte die seit elf Jahren mit Carlsen zusammenarbeitende Kanzlei kein Augenmerk. Sein Besuch sollte rein dem eigenen Event dienen, den Gästen als Highlight in Erinnerung bleiben. Dass seine Spiele trotzdem in Norwegen live übertragen wurden, versteht sich nahezu von selbst. Carlsen genießt in seiner Heimat ein Ansehen wie Lionel Messi, er steht auf einer Stufe mit Langlaufstars wie Petter Nordhug.

Sein Erfolg erklärt die Popularität: 2004 errang er als 13-Jähriger bereits den Titel eines Großmeisters, 2010 war er die Nummer eins der Welt. Er hatte im Vorjahr 2882 Elo-Punkte zu Buche stehen, zum Vergleich: 1999 schaffte Garri Kasparow 2851 dieser Zähler. Carlsen gewann vier Mal den Schach-Oscar, er ist die Ausnahmeerscheinung dieses Spiels. Und für einen Abend war er der König der Hofburg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2015)

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