Der Twitter-Star der Intelligenzia

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Als @NeinQuarterly unterhält US-Germanist Eric Jarosinski mit Nihilismus. Über die Liebe zur Kürze und den Auftritt auf dem Wissenschaftsball.

Ein Gespräch mit Eric Jarosinski vorzubereiten beinhaltet das Gefühl, nie ganz up to date zu sein. Wann immer man sich fertig wähnt, hat Jarosinski in der Zwischenzeit drei neue Twitter-Meldungen abgesetzt. Dass er schon in Wien ist, ist seinen Bemerkungen und Wortspielereien jedenfalls anzumerken: #speulealert (zum Eulenplakat des Brecht-Stücks im Theater an der Wien). Oder: „It's #ü, Vienna“, über den seltsamen Querstrich, der im Wüstenrot-Logo die ü-Striche ersetzt.

Jarosinski mag Deutsch im Allgemeinen, ü im Besonderen. Und ganz besonders das Wort nein. „NeinQuarterly“, in Anspielung auf wissenschaftliche Periodika, heißt denn auch sein Alter Ego mit Adorno-Konterfei, unter dem Eric Jarosinski zum Ashton Kutcher der Geisteswissenschaften geworden ist: einem virtuosen Nutzer des Twitter-Kurznachrichtendiensts.

Passiert ist das eher zufällig. Vor recht genau vier Jahren saß Jarosinski, damals junger Germanistikprofessor an der University of Pennsylvania, am Laptop und sollte eigentlich ein Buch schreiben. Stattdessen schrieb er Tweets am Handy. Heute hat er Nein zur wissenschaftlichen Karriere gesagt, dafür ist er ein Star der Feuilletons und für den slowenischen Philosophen Slavoj Žižek die „einzige Rechtfertigung“ für Twitter. Er hat eine Kolumne in der „Zeit“ – und er muss sich Gedanken über Dresscodes machen: Am Samstag soll Jarosinski auf dem Wiener Ball der Wissenschaften selbigen via Twitter begleiten, im Smoking natürlich. „Ich hab im Internet gelesen, dass in Wien das Ausleihen kurz vor dem Ball schwierig werden kann“, berichtet er. Er hat daher einen auf eBbay besorgt, „aus den Achtzigerjahren mit gepolsterten Schultern, gangstermäßig“, und ihn in New York schnell noch zum Schneider gebracht.

„Anderen die Scheu nehmen“

Er wisse nicht, was er von seinem Label als „Twitter-Philosoph“ halten solle, sagt Jarosinski, schmal, Brille, bundesdeutscher Akzent, nun also bei einem großen Schwarzen in der „öffentlichen Phäre“ des Tirolerhofs (Tweet: Off to a Viennese coffee house. Please alert Habermas). „Mir ist wichtig, dass die Leute nicht glauben, dass ich das selbst überbewerte. Ich weiß, was es heißt, sich mit Philosophie auseinanderzusetzen. Das ist ernsthaft, schwierig, erfordert konzentrierte Arbeit und ist nicht immer ein Spaß.“ Sein spielerischer Umgang damit sei der „Versuch einer Entmystifizierung“, die Hoffnung, anderen die Scheu zu nehmen. „Wenn das für mich selbst geklappt hätte, hätte ich vielleicht mein Buch schreiben können.“

Die 140 Zeichen des Kurznachrichtendiensts kämen ihm jedenfalls entgegen. „Auch als Wissenschaftler habe ich gern mit aphoristischen Texten gearbeitet.“ Frankfurter Schule? Am liebsten in Form von Adornos „Minima Moralia“. Schon früher, scherzt Jarosinski, sei er immer der „Experte für die ersten zehn Seiten eines Romans gewesen, und der mit den klugen Kommentaren zu den Titeln.“ Er lese auch sehr langsam, „weil bei mir bei einzelnen Wörtern immer Ketten von Assoziationen auftauchen“. Aus dem Handicap ist eine Stärke geworden. „Ich habe endlich nicht mehr das Gefühl, gegen meine Veranlagung zu kämpfen.“

Wobei, auch twittern sollte gelernt sein. „Wenn ich mir anschaue, was ich vor ein paar Jahren geschrieben habe, fällt mir ein, wie es besser gegangen wäre.“ Um soziale Medien und Philosophie, je nach Publikum auch um Politik und Marketing geht es auch in Jarosinskis Vorträgen, wie heute Abend an der Uni Wien. In nichts davon sei er Fachmann, „aber ich versuche weiterzugeben, was ich in meinem Twitter-Projekt gelernt habe.“ Das klappe meistens ganz gut. „Wenn nicht, ist es schlimmer als mein schlechtester Tag als Prof.“

ZUR PERSON

Eric Jarosinski wuchs in Wisconsin auf und hat in Bonn, Frankfurt, Freiburg und Berlin studiert. Als @NeinQuarterly hat er 126.000 Follower auf Twitter, mit seinem Buch „Nein. Ein Manifest“ (Fischer) ist er derzeit auf „Failed-Intellectual-Goodwill-Tour“. Heute, 28.Jänner, spricht er um 18.30 Uhr in der Sky Lounge der Universität Wien (auf Englisch).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2016)

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