Vicky Leandros: "Ein bisschen Unvernunft muss bleiben"

Der Eurovision Song Contest sei seit einigen Jahren wieder ein richtig gutes Event, sagt Leandros.
Der Eurovision Song Contest sei seit einigen Jahren wieder ein richtig gutes Event, sagt Leandros.Die Presse
  • Drucken

Ihre Ausrichtung war schon in jungen Jahren strikt international. Sie sang Chanson, Folklore, Soul, Pop – und eben auch Schlager. Am 30. April feiert Vicky Leandros im Wiener Konzerthaus ihr 50-Jahr-Bühnenjubiläum.

Sie feiern heuer ihr 50-Jahr-Bühnenjubiläum. Das klingt, wenn man zurückrechnet, nach Kinderarbeit. Stellten Sie sich freiwillig auf die Bühne?

Vicky Leandros: Seitdem ich überhaupt denken kann, wollte ich Sängerin werden. Meine erste Aufnahme „Messer, Gabel, Schere, Licht“ war zunächst nur Spaß. Ich ging danach weiter brav zur Schule. Keiner in der Familie wollte, dass ich singe. Sie hielten mich nicht einmal für fähig dazu. Ganz schlimm.

Am Ende war Komponist und Sänger Leo Leandros, der heute 90-jährige Herr Papa, aber doch von seiner Tochter als Sängerin überzeugt?

Ja. Als ihm klar wurde, dass ich sein Gesangstalent geerbt habe, hat er mich produziert und fast alle meine Erfolgstitel komponiert. Aber zu Beginn hat er noch ein wenig damit spekuliert, dass ich es mir vielleicht doch noch anders überlege. Er meinte es nur gut. Ihm lag viel an meiner Bildung.

Polyglott waren Sie jedenfalls . . .

Scheint mir auch so. Ich habe von Beginn an in sechs Sprachen aufgenommen. Ich hatte schon als junges Mädchen viel Disziplin. Vater meinte, die hätte ich immer schon in mir gehabt.

Warum hat er eigentlich die für Sie bestimmten Lieder unter dem Pseudonym Mario Panas komponiert?

Genau weiß ich das nicht. Er hat jedenfalls gleichzeitig mit Sängern wie Demis Roussos und Julio Iglesias gearbeitet. Allein sein Lied „Goodbye, My Love, Goodbye“ hat in der Version von Roussos mehr als 25 Millionen Platten verkauft.

Erinnern Sie sich an Ihren allerersten Auftritt vor Publikum?

Natürlich. Das passierte im fernen Kanada, in Montreal. Ich sollte noch ein wenig auf fernem Territorium üben. Dabei war ich dort von Anfang an sehr erfolgreich. Ich brachte jedes Jahr ein französisch gesungenes Album heraus.

Das half Ihnen wohl kaum beim deutschen Publikum?

Das wohl nicht. Dafür hat es mir den Weg zum Grand Prix d'Eurovision geebnet. 1967 sang ich in Wien den Titel „L'amour est bleu“ für Luxemburg und wurde gleich Vierte.

Die Eröffnungsnummer Ihres 1966 erschienenen Albumdebüts in Deutschland war kurios. Sie sangen Bob Dylans „Don't Think Twice, It's Alright“ auf Französisch.

Ach, das hab ich gern gesungen. Was für ein tolles Lied! Entdeckt habe ich es zunächst in der Version von Peter, Paul & Mary, aber ich liebe natürlich längst auch das Original.

Schon als junges Mädchen hatten Sie ganz viel Melancholie in der Stimme. Woher rührte das?

Als Griechin hat man das in sich. Es ist etwas Schönes und hat nichts mit Depression oder Traurigkeit zu tun.

Hatten Sie in Ihrer frühen Zeit sängerische Vorbilder?

An erster Stelle Ella Fitzgerald. Und später Barbra Streisand. Mit ihren Liedern habe ich mich gern vor Konzerten eingesungen.

Folklore, internationale Popmusik, Chanson und eben Schlager – Sie haben von Anbeginn auf Ihren Platten die Genres wild gemischt. Warum?

Weil mir eine gewisse Internationalität immer schon künstlerisches Anliegen war. Gerade in den Sechzigerjahren gab es so viele wunderbare, neue Musik. Bob Dylan, Joan Baez, die Beatles und, und, und.

Wie erinnern Sie sich an den damaligen Zeitgeist?

Es war schon atemberaubend. Begonnen hat es mit den Beatles, dann kamen die ganzen Freiheitsbewegungen. Die Emanzipation der Frauen, die Hippies – durch all das kam man aus dem Bravsein heraus.

Noch bis Mitte der Siebzigerjahre konnten Ehemänner in Österreich ihren Frauen das Arbeiten verbieten. Wie haben Sie die Veränderung im Verhältnis von Mann und Frau seit 1968 erlebt?

Kaum eine Frau aus der Generation meiner Mutter hat studiert. Das änderte sich in den späten Sechzigerjahren rasant. Auf privater Ebene war ich früh durch meinen Erfolg unabhängig. Wenn ich Freundinnen in die Bar oder Disco einlud, begann oft das Rätseln, wer uns denn begleiten und die Rechnung begleichen würde. „Ich mache das“, sagte ich dann. Sogar Frauen meines Alters hatten lang die Vorstellung, dass ein Kavalier vonnöten sei, um ausgehen zu können.

In Paris war man sicher damals schon emanzipierter. Welche Folgen hatte Ihr Sieg beim Grand Prix Eurovision 1972 mit „Après toi“?

Es wurde ein internationaler Hit, aber das meiste habe ich in Frankreich verkauft. Es kamen so viele Konzertangebote, dass ich mich in Paris ansiedelte. Drei Jahre lang lebte ich dort. Es war eine wunderschöne Zeit.

Wie beurteilen Sie den nun in Eurovision Song Contest umbenannten, heutigen Gesangswettbewerb?

Er ist seit einigen Jahren wieder ein richtig gutes Event geworden, ein Spektakel, das man sich gern anschaut. Gute Sänger, außergewöhnlich Titel – ich mag ihn wieder.

War der Sieg von Conchita Wurst eher dem Spektakel oder doch der Sangesdarbietung geschuldet?

Ihr Aussehen ist wohl außergewöhnlich, aber für mich normal. Ich finde sie schön. Das Wichtige aber war, dass sie hervorragend gesungen hat. Das Lied war auch gut. Für einen Sieg muss sich einfach alles ineinanderfügen.

Hat es Sie denn nie in die englischsprachige Popwelt gezogen?

Doch. Ende der Siebzigerjahre hätte ich die Produzenten von Barbra Streisand und Neil Diamond in Los Angeles treffen sollen. Aber ich fühlte mich dort nicht so wohl. Mir fehlte das Europäische, und ich buchte spontan einen Flug zurück nach Deutschland. Darüber waren die Herren ziemlich erstaunt.

Woran machen Sie das Europäische fest?

An der reichen Historie und an den in den einzelnen Staaten so unterschiedlichen, aber irgendwie auch ähnlichen Traditionen. Wien ist übrigens eine meiner Lieblingsstädte. Hier spürt man Geschichte.

Dem Schlager wird gern vorgeworfen, dass er die Verhältnisse schönt und damit verfestigt. Hat der Mensch ein Recht auf Eskapismus?

Auf jeden Fall. In Deutschland wurde aber auch vieles von mir, was gar kein Schlager war, als solcher verstanden. Mein Hit „Ich habe die Liebe gesehen“ ist eine komplizierte Mikis-Theodorakis-Komposition. Der deutsche Text ist unpolitisch, aber deshalb war der Song noch lang kein Schlager.

Wie erleben Sie Ihre eigenen Konzerte?

Aus meiner Perspektive findet auf der Bühne Wahrheit statt. Ich zeige mich so, wie ich bin. Sich zu öffnen, Gefühle herauszulassen, darum geht es. Das verstehen die Menschen im Saal.

Für den US-Songwriter Tom Waits ist das Publikum eine Bestie, die es zu züchtigen gilt und die man nie ganz zufriedenstellen darf. Hat er recht?

Jeder hat eben andere Methoden, um das Publikum zum gemeinsamen Erfolg zu führen. In Berlin, Hamburg und eben Wien sind die Fans bei mir am unberechenbarsten. Das macht Spaß und fordert. Essenziell für mich ist die Dramaturgie eines Konzertabends. An ihr tüftle ich lang.

Sie haben eben mit „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ (Ariola/Sony Music) ein exquisit arrangiertes, neues Album herausgebracht. Der Titel ist ein wenig erschreckend, hofft man doch stets, dass man aus dem Schlager tiefe Weisheiten herauskitzeln kann.

Oder eben dann doch nicht. Humor ist mir in meinen Liedern, die ich mitkomponiere, wichtiger geworden. Für die Weisheit fehlt mir der lange Atem. Als Mensch macht man ja oft die gleichen Fehler. Das ist auch gut so. Ein bisschen Unvernunft muss bleiben, sonst wird das Leben ungenießbar.

Wissen Sie eigentlich um die österreichischen Wurzeln Ihres Megahits „Theo, wir fahr'n nach Lodz?“

Ich fürchte, nein. Ich weiß nur, dass mein Vater eine alte Melodie adaptierte, zu der Klaus Munro einen neuen Text verfasst hat.

Die Originallyrics stammen vom berühmten Fritz Beda-Löhner. Das Lied hieß „Rosa, wir fahren nach Lodz“ und stammt aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Es lobt einen österreichischen Mörser, eine Wunderwaffe, vergleichbar mit der berühmten, deutschen Dicken Bertha.

Ich staune.

Frau Leandros, darf man Sie auch fragen...


1. . . ob Sie das Singen als etwas Karthatisches empfinden?

So würde ich es nicht nennen. Es war immer meine Leidenschaft. Wenn man eine Stimme hat, dann muss man damit raus.

2. . . ob Sie nach all den Jahren noch an Lampenfieber leiden?

Eine gewisse Anspannung vorher ist schon da. Das muss so sein. Aber nach ein paar Liedern legt es sich, und alles wird wunderschön. Letzten Endes kann man sich auf der Bühne nicht verstellen. Man ist da so, wie man wirklich ist. Deine Empfindungen, dein Humor, deine Sensibilität – all das kommt aus dir hervor.


3. . . ob die heutige Schlagerszene die gleiche Qualität hat wie jene der Siebzigerjahre?

Die Art der Musik hat sich natürlich geändert. Aber ich finde trotzdem, dass der Schlager in den vergangenen Jahren besser, weil internationaler geworden ist. Eine Helene Fischer finde ich sehr gut.

Steckbrief

1952 auf Korfu geboren. Die Tochter des bekannten griechischen Komponisten und Sängers Leo Leandros kam mit fünf Jahren nach Deutschland.

1965 nimmt sie mit 13 Jahren „Messer, Gabel, Schere, Licht“, ihre erste Single, auf. Ein Jahr später folgt ihr erstes Album, „Songs und Folklore“.

1972
nimmt sie zum zweiten Mal am Grand Prix Eurovision teil. Sie gewinnt mit dem Titel „Après toi“. Das Stück verkauft sich
5,5 Millionen Mal.

2000 nimmt sie ihr erstes Album ausschließlich mit selbst komponierten Liedern auf. Von 2006-2008 arbeitet sie als Vizebürgermeisterin und Kulturstadträtin in Piräus.

2015
veröffentlicht sie ihr Album „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.

2016 geht sie auf große Tournee zum 50-Jahr-Bühnenjubiläum. Am 30. April gastiert sie im Wiener Konzerthaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.