Indien boomt – und rettet das Netz

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Der Subkontinent überholt China beim Wachstum. Aber Tech-Konzerne holen sich dort blutige Nasen. Facebook erlebt mit dem Verbot seines „Internets für Arme“ ein Debakel.

Wien/New Delhi. Wenn die neuen Zahlen stimmen, sprechen sie für sich: Indiens Wirtschaft ist im Vorjahr mit 7,5 Prozent stärker gewachsen als jene Chinas (mit 6,9 Prozent). Schon seit drei Jahren beschleunigt sich das Wachstum auf dem Subkontinent, seit fünf Jahren flaut es im Reich der Mitte ab. Hier wie dort zweifeln zwar Analysten an der Verlässlichkeit der Daten. Der Trend aber ist klar: Inmitten einer Welt, in der die Schwellenländer an Dynamik verlieren, bleibt Indien ein Garant für üppige Zuwächse. Da die drittgrößte Volkswirtschaft Asiens arm an Rohstoffen ist, profitiert sie von deren Baisse. Der niedrige Ölpreis dämpft die Inflation und verbessert die Leistungsbilanz. Dazu kommt die Demografie: Schon bald könnte Indien zum bevölkerungsreichsten Staat der Erde aufsteigen.

Freilich sind die meisten der knapp 1,3 Milliarden Inder immer noch sehr arm. Das BIP pro Kopf liegt nur bei einem Fünftel des chinesischen. Positiv gewendet: Das Potenzial ist enorm. Besonders für Anbieter von Handys und Internetdiensten. Zu den ersten größeren Anschaffungen, die sich ein indischer Bauer oder Fischer leistet, gehört oft ein Billig-Smartphone. Amerikas IT-Giganten setzen auf den Hoffnungsmarkt – zumal die weltgrößte Demokratie, anders als das autoritäre China, keine Zensur für ihre Inhalte kennt. Doch die Inder haben die Zeit der britischen Besatzung nicht vergessen. Sie wehren sich selbstbewusst gegen alles, was sie als neuen Kolonialismus empfinden.

Apple etwa will auch in indischen Metropolen seine Stores eröffnen. Aber das Gesetz verlangt von Händlern einer einzigen Marke, dass mindestens 30 Prozent im Inland produziert wird. Das kann Apple nicht bieten. Nun hat man einen neuen Antrag gestellt, als Hersteller von „Hochtechnologie“, womit eine Ausnahme wirksam würde. Dieses Match ist noch offen – anders als bei Facebook. Das größte soziale Netzwerk hat diese Woche sein indisches Waterloo erlebt: Die Telekomregulierungsbehörde hat seinen Dienst Free Basics verboten. Er soll den Armen in Entwicklungs- und Schwellenländern mit den Segnungen des Internets vertraut machen. So will der großmütige Gründer Mark Zuckerberg „Menschen aus der Armut befreien und Millionen Jobs schaffen“.

PR-Kanone ging nach hinten los

Freilich ist der Zugang sehr eingeschränkt: auf Facebook und hundert weitere Apps und Dienste, die der kalifornische Konzern aussucht. Die Suchmaschine Google zählt nicht dazu. Nur die handverlesenen Seiten lassen sich in stark vereinfachter Form auf dem Handybildschirm aufrufen. Gratis, denn ein Telekomanbieter ist als Sponsor im Boot – in der Hoffnung, dass die Nutzer später Datenpakete kaufen. Kritiker fürchten das Gegenteil: dass die Armen beim Rumpfinternet hängen bleiben und Facebook für sie das digitale Maß aller Dinge bleibt. Firmen sind dann gezwungen, sich über das mächtige Netzwerk statt auf eigenen Webseiten zu präsentieren.

Am lautesten aufgeschrien haben aber indische Internet-Start-ups, die sich im Wettbewerb benachteiligt fühlen. Das rief die Regulierer auf den Plan. Sie sehen die Netzneutralität bedroht. Das Prinzip besagt: Alle Seiten im Netz sind für alle gleich zugänglich. Hier konkret: Datentarife müssen unabhängig von den aufgerufenen Inhalten bleiben.

Im Dezember setzte die Behörde Free Basics aus und startete eine öffentliche Anhörung. Facebook reagierte mit einer massiven Kampagne: Anzeigen in den größten Zeitungen, Plakate, Aufrufe an Nutzer, die Beamten mit Briefen und E-Mails zu überfluten. Zuckerberg wunderte sich in Interviews von oben herab: „Wer kann ernsthaft gegen unsere Initiative sein?“ Doch der Schuss aus der PR-Kanone ging nach hinten los. Der gereizte Regulator beschuldigte Facebook, die Firma wolle eine „sinnvolle Anhörung“ in eine „plumpe und orchestrierte Meinungsumfrage“ verdrehen. Das Verbot ist für Facebook ein strategischer Rückschlag, auch international – weil sich viele Entwicklungsländer gern am Vorbild Indien orientieren.

INDIEN IN ZAHLEN

Um 7,5 Prozent ist Indiens Wirtschaft im Vorjahr gewachsen. Seit 2012 (mit 5,1 Prozent) beschleunigt sich das Wachstum kontinuierlich, während es in China abflacht. Auch die Bevölkerung wächst auf dem Subkontinent stärker, mit 1,2 Prozent (in China: 0,5 Prozent). Doch das indische BIP pro Kopf bleibt mit 1700 Dollar noch weit hinter dem chinesischen Niveau von 8300 Dollar zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2016)

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