Seit bald dreißig Jahren entwirft Ian Griffiths Mode für Max Mara und findet, dass der Mantel seinen Träger wie eine Behausung begleitet.
Dreißig Jahre sind eine lange Zeit, ob als Lebensspanne, in einer Beziehung oder in einem Arbeitsverhältnis. Und in der Mode, wo die Kollektionen einander quasi aus den Regalen jagen, fühlen sie sich endgültig wie die sprichwörtliche Ewigkeit an. Ian Griffiths jedenfalls, der 1987 zum Designteam der italienischen Modemarke Max Mara gestoßen ist, fühlt sich mittlerweile fast als Teil der Besitzerfamilie der Maramottis. Sein Abschluss eines Architekturstudiums, meint der gebürtige Brite, komme ihm außerdem beim Konstruieren des perfekten Mantels – Herzstück jeder Max-Mara-Kollektion – entgegen. Schließlich funktioniere er wie das textile Pendant zu der Behausung jedes Einzelnen.
Vor wenigen Wochen wurde in Mailand Ihre Herbstkollektion für Max Mara gezeigt, inspiriert von der Bauhaus-Bewegung. Arbeiten Sie immer mit so konkreten Bezügen?
Je länger ich meiner Arbeit nachgehe, desto eher habe ich das Gefühl, dass es so sein sollte. Heute geht es so stark um Kommunikation und Mitteilungsbedürfnis, dass man sehr konkret sein muss, wenn man mit seiner Botschaft durchdringen will. Andernfalls geht sie einfach im Ozean der Informationen unter. Was man sagen will, und wie, das sehr klar zu machen und mit allen verfügbaren Mitteln zu tun ist wichtiger denn je.
In den Fünfzigerjahren, als Max Mara von Achille Maramotti gegründet wurde, wandte man sich an den rasant wachsenden Mittelstand. Es war von der „moglie del dottore“ die Rede, also der Arztgattin. Ist diese Verankerung im Mittelstand ungebrochen?
Ursprünglich gab es diese mittelständische Identität, ja. Aber vielleicht noch wichtiger war die Tatsache, dass Frauen zu arbeiten begannen, ihr Geld verdienten, selbstständiger agierten. Und Max Mara war auch in den Achtzigerjahren eine der Modemarken, die das Power-Dressing erfolgreicher Geschäftsfrauen maßgeblich prägten. Eher, als sich auf diese oder jene Gesellschaftsschicht festzulegen, wenden wir uns an jene Frauen, die voll im Leben stehen.
Wenn Sie in ein Geschäft gehen und ein aktuelles Modell sehen, das Sie jedoch ein Jahr zuvor entworfen haben: Ist das so, als würden Sie der Vergangenheit einen Besuch abstatten?
Wissen Sie, so oft gehe ich gar nicht in unsere Boutiquen. Aber was für mich immer schön ist, unabhängig davon, wie viele Kollektionen ich entwerfe, ist, eine Frau zu sehen, die einen Mantel von mir trägt. Ob das in Italien ist oder wenn ich zu Hause in London bin und mit dem Bus fahre. Denn das ist auch die schönste Belohnung für einen Designer: zu sehen, wie meine Entwürfe es vom Catwalk in den Kleiderschrank eines Menschen schaffen. Dann ist erst der Kreislauf geschaffen, dann sind meine Entwürfe zu Mode geworden.
Ihre erste Berührung mit Max Mara geht in die Zeit Ihres Studiums zurück – wie ist das vonstatten gegangen?
Ich studierte Mode am Royal College of Art in London, war 1987 frisch an der Universität. Und da wurde von Max Mara ein Wettbewerb unter Studierenden ausgelobt, den ich gewann. Unter anderem hat man mir damals einen Job auf Lebenszeit in Aussicht gestellt, und es sieht fast so aus, als wäre es so gekommen. Hier bin ich also noch immer, fast dreißig Jahre später. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass ich mit der Marke gewachsen bin und wir uns gemeinsam entwickelt haben, und dass ich mich auch völlig mit unseren Kundinnen identifizieren kann.
Was für ein Bild hatten Sie als Student von der Marke und dieser Art von Mode?
Damals gefiel mir alles andere eher als klassische, zurückhaltende Mode. Ich war ein Punkrocker; das Wilde und Ausgelassene faszinierte mich. Andererseits habe ich zuvor Architektur studiert, und der Mantel, das Herz von Max Mara, ist ein Kleidungsstück, das man sehr genau und korrekt konstruieren muss: Es gilt, auf die richtigen Proportionen zu achten, die Ausgewogenheit der Form. Ein Mantel muss gut durchdacht sein, konstruiert, proportional ausgewogen. Wenn alles zusammenspielt, verleiht er dem Träger einen Status, aber auch Sicherheit und Rückhalt. Ich würde fast sagen, ein Mantel gehört zum Zuhause jedes Menschen, und wenn er auf die Straße hinausgeht, nimmt er einen Teil seiner Behausung mit.
Steht der Mantel, oder auch der Gedanke an ihn, sagen wir, ein Hauch von „Coatiness“ vielleicht, stets im Zentrum einer Max-Mara-Kollektion?
Ja, das ist schon so. Irgendwo in der Geschichte, die eine Kollektion erzählt, ist der Mantel immer präsent. Doch auch mir als Designer bereitet das Entwerfen eines Mantels die größte Genugtuung. Das Archiv der Marke in Reggio Emilia genießt unter Insidern fast Kultstatus. Wie viele Kleidungsstücke hängen dort, und wie wichtig ist das Archiv für Ihre Arbeit?
Wie viele es genau sind, kann ich Ihnen ad hoc nicht sagen, aber es sind wirklich Abertausende. Viele, viele Mäntel, aber auch andere Exponate werden dort verwahrt, aus der gesamten Firmen-
geschichte bis zurück zum Gründungsjahr 1951. Das Archiv ist wirklich ein ganz besonderer Ort und eine sehr wertvolle Quelle für meine Arbeit. Letztes Jahr wurde es neu strukturiert und um-gebaut und ist so noch leichter zugänglich für uns. Meine letzte Pre-Fall-Kollektion habe ich etwa auf hauseigenen Entwurfskizzen aus den Achtzigerjahren aufgebaut. Geschichte und die Bereitschaft zurückzublicken ist in meinen Augen ein unverzichtbarer Ausgangspunkt für unsere kreative Arbeit.
Sie arbeiten seit bald dreißig Jahren als Designer für die Kernmarke, die Kreativdirektorin aller Kollektionen, Laura Lusuardi, hat 1964 für die Firma zu arbeiten begonnen. Der Kommunikationschef, Giorgio Guidotti, ist wie Sie seit den Achtzigerjahren Teil des Unternehmens. Was hält Sie alle seit so langer Zeit bei Max Mara?
Nun ja, es handelt sich ja nach wie vor um ein Familienunternehmen, und ich glaube, das erstreckt sich auch auf diejenigen, die nicht Mitglieder der Maramotti-Familie sind. Wir teilen eine Vision für die Marke, und im Zentrum steht, wie bereits erwähnt, das Bild der Frau, der wir unser Produkt anbieten möchten. Nach so langer Zeit wäre es für mich auch völlig unvorstellbar, für irgendjemand anderen in der Branche zu arbeiten. Das wäre so, als entschlösse man sich, von einem Tag auf den anderen seine gesamte Familie zu verlassen.
Die Reise des Autors nach Mailand wurde zum Teil von Max Mara finanziert.