Carpendale: "So richtig glücklich kann ich nicht sein"

Howard Carpendale
Howard CarpendaleHans-Bernhard Huber / laif / picturedesk.com
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Nach seinem Abschied von der Bühne fiel Howard Carpendale in eine tiefe Depression. Durch die Arbeit mit jungen Songwritern und ein Comeback als Sänger fand er wieder in sein Leben zurück.

Sie schreiben in Ihrem Buch sehr offen über Ihre Depression. Hat Sie nach Ihrem Bühnenabschied 2003 das Nichtstun in die Depression befördert?

Howard Carpendale: Es wäre zu einfach, zu sagen, dass es war, weil ich keine Ziele hatte. Es kamen eine Menge Dinge zusammen. Ein Anlageberater, mit dem ich mich befreundete und der dann nach einem Schwindel mit viel Geld verschwand, war der allerletzte Auslöser. Ich habe dann ein halbes Jahr lang gar nichts gemacht, nicht einmal Golf gespielt, und das will bei mir etwas heißen.

War Ihnen jemals bewusst, dass Sie eine Depression haben?

Nein, das hat meine Familie bemerkt, die weit weg war. Meine Exfrau Claudia beschäftigt sich mit solchen Themen und war die erste, die es ausgesprochen hat.

Ihr Arzt hat Ihnen auch gesagt, dass Sie wohl Selbstmordgedanken hätten. Hatten Sie diese wirklich?

Das erste Mal habe ich das bei einem Besuch in einem Kölner Krankenhaus gehört, da war die erste Frage, ob ich Selbstmordgedanken habe. Und ich habe spontan gesagt: Ja.

Vorher war Ihnen das nicht bewusst?

Ich hätte nie im Leben daran gedacht, ich dachte, das wäre nur etwas für labile Menschen.

Waren Sie dann enttäuscht, als Sie merkten, dass genau das nun Ihnen passiert ist?

Ich glaube nicht, dass man sich in dem Moment analysieren will. Es ist eine Taubheit, alles ist einem völlig egal. Man findet nicht die Energie, etwas zu unternehmen. Es ist eine Krankheit. Vor 15 Jahren hätte ich noch gesagt, es ist eher ein mentaler Zustand.

Was war der Wendepunkt?

Durch Medikamente und Therapien merkte ich eine Besserung. Aber der eigentliche Moment war ein Treffen mit jungen Songwritern, die mir eine neue Welt aufgemacht haben. Plötzlich hatte alles wieder Sinn.

Haben Sie versucht, die Phase Ihrer Depression kreativ zu verarbeiten?

Man ist zwar down bis zum Gehtnichtmehr, aber man ist unglaublich kreativ. Ich habe Briefe gelesen, die ich damals geschrieben habe, die hätte ich in einem Zustand wie heute nicht schreiben können. Man ist unglaublich empfindlich, nur es interessiert einen nicht.

Würden Sie sich jetzt als einen glücklichen Menschen bezeichnen?

Ich weiß nicht, wie ich auf CNN Flüchtlingskinder in Griechenland sitzen sehen und sagen kann, dass ich glücklich bin. Ich habe ein unglaublich glückliches Leben und viel Glück gehabt, auch hart gearbeitet, aber ich habe eine Antenne für unsere Welt, und ich weiß, dass wir im Moment sehr gefordert sind. Nicht nur durch die Flüchtlinge, es kommt momentan von allen Seiten. So richtig glücklich kann ich nicht sein. Ich bin melancholisch. Das ist aber ein Zustand, den ich eigentlich sehr mag.

Was mögen Sie daran?

Wenn jemand ein bisschen melancholisch ist, ist er nicht traurig. Wenn ich melancholische Musik höre oder Bilder anschaue, bin ich am ehesten kreativ.

Sehen Sie dem Tod mit Angst entgegen?

Ich kann einfach nicht begreifen, dass ein Land wie Deutschland nicht einen Schritt nach vorn macht und viel mehr über Sterbehilfe nachdenkt. Ich will mein Leben auf meine Art und Weise leben, und die größte Entscheidung, die man treffen kann, ist, zu sagen, dass man genug gelebt hat. Ich will nicht, dass jemand anders das für mich entscheidet.

Haben Sie sich jemals überlegt, wie Sie gern sterben möchten?

Sicherlich im Schlaf. Ich glaube, die meisten Menschen haben keine Angst vor dem Tod, sie haben Angst vor der Art, wie man stirbt. Natürlich gibt es Menschen, die sich zu wichtig vorkommen, um die Welt zu verlassen. Aber da gehöre ich nicht dazu.

Sie haben ja auch als Soldat ein totes Baby ins Kühlhaus bringen müssen. Wie einschneidend war dieses Erlebnis für Sie?

Wenn man in einem Krankenhaus arbeitet, sieht man viele Sachen. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man sagt, ich muss abschalten. Bei meiner ersten Operation bin ich umgekippt, bei der zweiten habe ich schon zugeschaut. Man gewöhnt sich daran.

Sie haben ja zu drei Ländern eine besondere Beziehung, zu Südafrika, Deutschland und den USA. Welches Land sehen Sie als Ihre Heimat?

Deutschland.

In Südafrika sind Sie aufgewachsen, warum ist das keine Heimat für Sie?

Das Südafrika, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es nicht mehr. Ich bin in der Apartheid aufgewachsen, in einer Gegend, wo man sie aber nicht so auslebte, wie man sich das in Deutschland vorstellt. Ich hatte viele schwarze Freunde. Ich habe wunderschöne Erinnerungen, aber ich würde nicht mehr mit meiner Familie hinziehen, weil es völlig unklar ist, wo das Land hingeht. Es herrschen Chaos und Korruption. Und wenn ich an den Typen, der damals aus Südafrika gekommen ist, denke, hat er mit dem Typen von heute nichts zu tun. Ich war damals ein anderer Mensch, in einem Land, wo man aufwächst mit Sport und Spaß – erst in Deutschland habe ich das Denken richtig gelernt.

Was verbindet Sie noch mit Südafrika?

Eigentlich nichts mehr.

Fahren Sie noch gelegentlich hin?

Seit dem Tod meiner Mutter nicht mehr.

Was hat Deutschland aus Ihnen gemacht?

Deutschland ist ein Land, das das Gespräch liebt. In Südafrika hat man keine Zeit zum Reden, da will man raus aufs Sportfeld. Damals, als ich ins Land von Willy Brandt und Helmut Schmidt kam, war Deutschland führend in der Welt. Ein bisschen davon ist mittlerweile verloren gegangen. Aber ich hoffe nach wie vor, dass Deutschland irgendwann, wenn wir wieder Persönlichkeiten in der Politik haben, wieder zu dem wird, was es mal war. Dass „Made in Germany“ wirklich etwas ist.

Mit der momentanen politischen Führung sind Sie also nicht besonders glücklich?

Sie ist im Moment beschäftigt mit einem Problem, das es zumindest in den letzten 70 Jahren nicht gegeben hat. Dass man direkt dafür keine Lösung hat, kann ich verstehen. Aber ich bin nicht einverstanden mit der Art, wie unsere politische Führung mit den Menschen kommuniziert.

Gehen Sie zu Wahlen?

Wenn ich wüsste, wen ich wählen soll, unbedingt. Im Moment wüsste ich aber nicht, wen ich wählen soll.

Bis zur Bundestagswahl 2017 ist noch Zeit. Werden Sie da wählen gehen?

Ich habe immer gern gewählt. Ich hätte Obama gewählt, wenn ich einen amerikanischen Pass gehabt hätte. Weil ich an ihn geglaubt habe und es heute noch tue. Aber wenn ich mir Deutschland anschaue, da steckt kein Feuer dahinter. Wir leben in einer Zeit, in der Persönlichkeiten nicht mehr die Rolle spielen, die sie früher gespielt haben. Das finde ich schade. Obwohl Persönlichkeiten natürlich auch gefährlich sein können.

Mit Amerika sind Sie aber auch nicht mehr wahnsinnig glücklich?

Am 11. September 2001 hat Amerika eine Kehrtwende um 180 Grad gemacht. Da ist es zu einem anderen Land geworden, mit vielen Ängsten, viel Aggression, es hat sich alles geändert. Die Polarisierung ist massiv. Mit vielen Dingen, die ich gesagt habe, etwa zum Irak-Krieg, habe ich mich nicht beliebt gemacht. Und jetzt haben wir einen Donald Trump. Ich kann nur hoffen, dass er nicht gewählt wird. Aber das ist nie sicher. Wenn es etwa in Amerika einen Terroranschlag geben sollte, könnte es sich für ihn ausgehen.

Und was, wenn er Präsident wird?

Er hat nicht die Qualifikation. Ich behaupte sogar, dass er ein sehr dummer Mensch ist, aber ein unglaublicher Verkäufer.

Es gab ja den American Dream, vom Tellerwäscher zum Millionär. Gibt es den noch?

Den hat es nie gegeben. Das war sehr clever ausgedacht, um den armen Menschen Hoffnung zu geben. Wie viele Menschen haben diesen American Dream geschafft? Es gibt so viele Klischees in Amerika. Die Freiheit, zum Beispiel. Ich bin in Deutschland freier, als ich in Amerika jemals gewesen bin. Ich habe den American Dream in Deutschland gelebt.

Herr Carpendale, darf man Sie auch fragen...


1. . . was Sie daran stört, wenn Sie jemand „Howie“ nennt?

Ich habe Howie noch nie im Spiegel gesehen. Das bin ich nicht.


2. . . ob Ihnen Schlagermusik manchmal auf die Nerven geht?

Überhaupt nicht. Es hat in den letzten 50 Jahren in Deutschland wunderschöne Schlager gegeben. Das Schubladendenken hat mich immer gestört: warum es Schlager heißt, wenn es auf Deutsch gesungen wird, und auf Englisch als Popmusik bezeichnet wird. Das Wort war für mich fremd, als ich nach Deutschland kam. Ich suche heute noch nach der Definition.


3. . . ob Sie das Lied vom Pumuckl, das Sie mitkomponiert haben, jemals selbst gesungen haben?

Nein, ich habe es nie selbst gesungen. Es war damals ein großer Spaß, das Lied zu komponieren. Gefühlt haben wir nicht mal eine Stunde dafür gebraucht. Jetzt, wo ich wieder daran denke, sollte ich es mal wieder hören, und eventuell singe ich dann mit.

Steckbrief

Howard Carpendale
(geb. 1946) wuchs in Südafrika auf, feierte als Sänger seine größten Erfolge aber in den 1970er- und 1980er-Jahren in Deutschland, etwa mit „Hello again“ oder „Ti amo“.

Comeback
2003 zog er sich aus dem Showgeschäft zurück. Nachdem er in eine Depression verfallen war, feierte er 2008 aber ein Comeback.

Familie
Mit seiner ersten Frau, Claudia, hat er einen Sohn (Wayne), mit seiner zweiten Frau, Donnice, einen weiteren (Cass).

ERSCHIENENDas ist meine Zeit. Von Howard Carpendale und Stefan Alberti. Edition Koch. 20,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2016)

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