Per Kopfsprung in den Zauberwald

Veronika Glatzner will auf der Bühne nicht nur spielen, sondern eintauchen. In Perchtoldsdorf etwa in den "Sommernachtstraum".

Als sie das erste Mal auf einer Bühne stand, wäre sie fast in ein schwarzes Loch gefallen. Es war im Jahr 2008, Michael Sturminger inszenierte am Wiener Volkstheater "Peer Gynt", und Veronika Glatzner, damals noch Schauspielstudentin, spielte eine kleine Nebenrolle. "Ich kam raus und habe gemerkt, da sitzen Tausende Menschen in diesem schwarzen Loch. Wenn ich diesen Gedanken jetzt zulasse, dann verschluckt er mich", erzählt sie acht Jahre später. Ihre einzige Chance, befand sie, sei voll in die Situation, die sich auf der Bühne abspielt, einzusteigen.
Heute habe sie keine Panik mehr vor dem Publikum, doch ihre Strategie sei dieselbe geblieben, verrät Glatzner: "Ich werfe mich einfach ins Geschehen." Ab Juni wird sich die Wienerin in einen verzauberten Wald werfen, und wieder wird es Michael Sturminger sein, der das Geschehen anleitet: Bei den Perchtoldsdorfer Sommerspielen inszeniert der Regisseur, der das Festival auch seit mittlerweile drei Jahren leitet, Shakespeares "Sommernachtstraum". Glatzner spielt die Elfenkönigin Titania, die im Ehe-Clinch mit ihrem Mann Oberon liegt und auf dessen Geheiß vom Kobold Puck verzaubert wird, woraufhin sie sich in einen Esel verliebt.
Auf die Szene mit dem Esel freut sie sich am meisten, doch überhaupt sei Titania eine faszinierende Figur: "Sie ist sehr selbstständig und selbstbezogen, will sich nicht von Oberon abhängig machen. Ich habe das Gefühl, sie hat eine ungestillte Liebessehnsucht. In der Begegnung mit dem Esel ist sie mehr in den Rausch, in das Begehren, als in ihn verliebt. Sie sucht nach Aufregung. Nach einem Funken, der sie aus dieser Langeweile, aus dem Überdruss herausholt", sagt Glatzner.

Dass ihre Worte nach einer Beschreibung der Generation Y klingen, jener Gruppe der 15- bis 35-Jährigen, die sich durch gute Ausbildung und latente Unzufriedenheit auszeichnet, ist kein Zufall. Glatzner wurde, wenn man so will, im zweiten Bildungsweg Schauspielerin, zuvor studierte sie Soziologie ein Fach, das, wie sie meint, auch auf ihre Rollenentwicklung abstrahlt. "Die Fragen, die ich mir stelle, sind anders als die der anderen Schauspieler. Nicht so psychologisch, sondern gesellschaftspolitisch. Ich würde fragen: Welche Beziehungsmuster gibt es bei verschiedenen Generationen? Welche Modelle des Begehrens?"

Träumen vom Theater

Dabei blieb die Soziologie stets nur Plan B in Glatzners Karriereplanung. Schon im Kindergarten führte sie Puppenspiele für ihre Freunde auf und genoss die Bewunderung, die sie dafür erhielt. "Ich versuche, meinen Narzissmus zu zügeln aber auf der Bühne bekommt man eben diese Art von Aufmerksamkeit", meint sie grinsend. Auf der Waldorfschule begann sie zu schauspielern. Danach studierte sie, arbeitete eine Zeit lang als Soziologin und bewarb sich an Schauspielschulen anfangs ohne Erfolg. Doch Veronika Glatzner hielt an ihrem Wunsch fast: "Damals habe ich einmal im Monat vom Theater geträumt. Da habe ich gewusst, ich kann diesen Traum nicht aufgeben."

Schließlich klappte es, sie wurde am Konservatorium aufgenommen. Von da an ging es schnell: 2010 wurde sie ins Ensemble des Wiener Schauspielhauses bestellt, 2013 spielte sie Alma Mahler und Richard Wagners zweite Ehefrau Cosima in Paulus Mankers Inszenierungen im verfallenen Post- und Telegrafenamt. Seit 2014 also seit Stur-minger die Intendanz übernahm spielt sie in Perchtoldsdorf, im Vorjahr etwa den Inselureinwohner Caliban in Shakespeares "Sturm". Für drei Produktionen wurde sie in dieser Saison als Gast am Grazer Schauspielhaus engagiert.

Im September wird sie ihr Regiedebüt geben, und wieder wird ihre Soziologieausbildung eine Rolle spielen: Der von ihr gegründete Verein Tempora realisiert Theaterprojekte in leer stehenden Gebäuden Glatzner hat sich im Studium auf Stadtentwicklung spezialisiert. Im Vorjahr spielte sie mit vier anderen Schauspielern in Schaufenstern leerer Geschäfte, die Monologe hatten junge Autoren, u. a. Ferdinand Schmalz, eigens für das Projekt geschrieben (es wird am 6. Juni im Rahmen des Festivals der Bezirke in der Mariahilfer Straße wiederholt). Bei ihrem nächsten Projekt wird Glatzner erstmals selbst inszenieren: Zusammen mit einer Choreografin und Schauspielerinnen, die Erfahrung mit Physical Theatre haben, will sie eine Art von Tanztheater über die Frauenfiguren in Kafkas "Prozess" erarbeiten. Schauplatz soll ein leer stehendes Haus sein, in dem mehrere Räume parallel bespielt werden: "Man kann als Zuschauer durch dieses Haus gehen und selbst entscheiden, welchen Szenen man folgt."
Immer wieder ist Glatzner in Filmen und Fernsehproduktionen zu sehen es sind "die Genauigkeit und Reduktion", die sie am Spiel vor der Kamera reizen. Die große Liebe aber bleibt das Theater: "Ich brauche, ich liebe das Publikum! Ich bin immer erst gut, wenn Publikum da ist." Dem Publikum gegenüber verspürt sie auch eine große Verantwortung: "Ich will immer alles geben. Ich schone mich da nicht. Die Leute im Publikum haben teure Karten bezahlt, da finde ich es nicht richtig, nur so aus der Hüfte zu schießen." Das Ziel sei erreicht, wenn das Publikum nicht mehr den Schauspieler hinter einer Rolle wahrnimmt, sondern nur die Rolle selbst. Wenn auf der Premierenfeier nicht gesagt wird, ein Darsteller sei großartig gewesen, sondern wenn die Besucher erzählen, was eine Figur bei ihnen ausgelöst hat. "Und ich hasse es, wenn Schauspieler auf der Bühne aussteigen. Wenn zum Beispiel etwas Unvermutetes auf der Bühne passiert, was sie amüsiert, weil sie das Stück jetzt schon 25-mal gespielt haben, und sie dann lachen ich merke das sofort. Dann fühle ich mich als Zuschauerin nicht ernst genommen. Dann werde ich aus dieser Illusion herausgerissen und ich möchte doch daran glauben können." Das gelte auch, wenn sie selbst auf der Bühne steht: "Für mich heißt Schauspiel auch, an die Situation und an die Figur zu glauben. Ich möchte eintauchen. Nur dann kann ich die Erfahrung machen, die ich auf der Bühne machen will: Nämlich nicht Veronika Glatzner zu sein."

Kein Märchenwald

Das "Kulturmagazin"-Covershooting mit der Schauspielerin fand inmitten von Seidenblumen in der Wiener Antik Galerie im Lichtental statt hier herrscht Märchenwald-Atmosphäre, Titania in ihrem gewohnten Habitat, quasi. Einen klassischen Märchenwald wird es in seiner Inszenierung des "Sommernachtstraums" aber nicht geben, verrät Michael Sturminger. "Es wird eine sehr zeitgenössische Inszenierung, die durch die Zeiten zurückreist. Das Zusammentreffen von verschiedenen Welten wird geschildert." Die Aufführung werde mit einer leeren Bühne beginnen, die sich im Lauf des Abends füllt. Vor den Augen der Zuschauer werden Rollen gewechselt, wird umgestaltet, umgezogen, geschminkt, ein Bühnenbild gebaut. "Wir zeigen keine fertige Illusion, sondern lassen sie vor den Augen der Zuschauer entstehen", so Sturminger. "Wir zaubern offen."

Gezaubert hätte fast auch Veronika Glatzner, die ursprünglich für die Rolle des Puck angedacht war: "Ich glaube, weil ich voriges Jahr in ,Der Sturm Caliban gespielt habe, und weil ich sehr gern körperlich arbeite auf der Bühne, was beim Puck nicht ungünstig ist. Ich habe mich dann aber für Titania entschieden." Dazu Sturminger: "Ich wollte, dass sie nach dem Caliban einmal eine attraktive junge Frau spielt und nicht wieder ein Monster. Sie soll zeigen können, dass sie auch ganz andere Saiten aufziehen kann."

Am liebsten würde sie ja Hamlet spielen, sagt Glatzner auf die Frage nach ihrer Shakespeare-Traumrolle und lacht. Zumal es keine Frauenrollen im klassischen Theater gebe, die so spannend seien wie die des Hamlet. "Ich würde gern seine Gefühle auf der Bühne empfinden und nach dem Sinn des Lebens fragen, wie Hamlet das tut. Es gibt wenige Rollen im klassischen Theater für Frauen, und keine so spannenden wie Hamlet. Ich finde das ungerecht, dass ich nur wählen könnte zwischen der Mutter und Ophelia."

Tipp

"Ein Sommernachtstraum". Von William Shakespeare. Regie: Michael Sturminger. Mit: Nick Barton, Veronika Glatzner, Andreas Patton.
29. Juni bis 30. Juli, Marktplatz Perchtoldsdorf.
sommerspiele-perchtoldsdorf.at

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