Phil Klay: "Man schneidet ein Stück aus dem Chaos"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Heute vor 13 Jahren, am 1. Mai 2003, haben die Amerikaner den Irak-Krieg offiziell für beendet erklärt. Tatsächlich war es erst der Auftakt einer blutigen Epoche. Phil Klay hat über seine Erfahrungen als Soldat ein Buch mit Erzählungen geschrieben.

Gleich in Ihrer ersten Geschichte schildert der Erzähler, wie die Soldaten im Irak auch auf Hunde geschossen haben. Zurück daheim kümmert er sich liebevoll um seinen eigenen alten Hund – und erschießt ihn am Ende, um ihn vom Leiden zu erlösen. Schon diese erste Kurzgeschichte zeigt die absurde Diskrepanz zwischen hier und dort, Alltag und Krieg.

Phil Klay: Absolut. Das war die erste Geschichte, die ich je geschrieben habe, ein paar Monate, nachdem ich aus dem Irak zurückgekehrt war. Ich hatte Freunde, die in der zweiten Schlacht von Falludscha gekämpft hatten. Sie haben Hunde erschossen, um zu verhindern, dass sie Leichen fressen. Es gibt einen Trennschalter: Das, was im Krieg sinnvoll erscheint, ist etwas anderes als das, was in der Welt der Zivilisten Sinn ergibt. Das erschien mir ein guter Einstiegspunkt für die Dinge, die mich beschäftigt haben – nicht nur Dinge, die im Irak passiert sind, sondern auch jene, die zu Hause passieren. Schon diese erste Geschichte ist eine über das Heimkommen.

Dieser Soldat tut sich mit seinem Hund leichter als mit seiner Ehefrau.

Weil ein Hund keine Ansprüche stellt. Und von einem nicht erwartet, dass man wächst.


Ist so eine Kriegserfahrung etwas, das einen für immer von seinen Mitmenschen trennt?

Ich glaube nicht, dass das nur Krieg betrifft. Jede Art von intensivem, moralisch bedeutsamem Ereignis ist etwas, für das man Zeit braucht, um es ins eigene Leben zu integrieren. Und die anderen Menschen in deinem Leben spielen da eine wichtige Rolle. Für mich hat das Schreiben nicht nur bedeutet, in meinen eigenen Kopf zu schauen, und auch nicht nur, mit anderen Veteranen zu sprechen, sondern auch mit Zivilisten. Sie meine Arbeit lesen zu lassen, mir Dinge über das Militär zeigen zu lassen, gegenüber denen ich selbst blind war, weil ich aus dieser Kultur kam.


Braucht man deren Männlichkeitskult, den derben Humor der Marines, damit man tun kann, was man tun muss?

Ich glaube nicht. Es gibt Aspekte einer Brüderkultur, die wichtig und in einer maskulinen Organisation wie dem Marine Corps konzentriert sind. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Struktur verändert, weil Frauen auch die Rolle der Kämpfer übernommen haben. Aber ich glaube nicht, dass diese Art von toxischer Männlichkeit beim Militär notwendig ist. Ich glaube sogar, dass sie ihm schadet. Aber es gibt natürlich auch Marines, die eine sehr gesunde Haltung haben. Für jeden angeberischen, unsicheren Typen gibt es auch Leute, die sehr zentriert sind bei dem, was sie tun und in ihrer Beziehung zu sich selbst. Wenn man ein junger Mann ist, ich war 21, als ich zum Marine Corps kam, ist es hilfreich, diese verschiedenen Charaktere zu sehen. Man kann darüber nachdenken, wer man sein will und wer nicht.

Warum haben Sie sich verpflichtet?

Weil wir im Krieg waren. Ich habe mich nie besonders fürs Militär interessiert. Wenn man mich in der High School gefragt hätte, hätte ich geantwortet, dass ich gern in den Auswärtigen Dienst gehen würde. Mein Großvater war Diplomat, ich habe mich für Außenpolitik interessiert. Als ich dann im College war, war die große Sache, die das Land bewegte, Krieg. Also habe ich 2004 mit der Ausbildung begonnen. Es ging längst nicht mehr um die Frage, ob wir im Irak oder in Afghanistan einmarschieren sollten, wir waren schon dort. Ich hatte das Gefühl, dass das ein Weg wäre, um die Dinge zum Besseren zu wenden.

Und warum wollten Sie zu den Marines?

Weil sie eine Elite sind.

Von denen Sie wahrscheinlich, wie alle, ein popkulturell geprägtes Bild hatten.

(Lacht.) „Full Metal Jacket“ hat ein paar berühmte Szenen über das Training der Marines – die den Nagel ziemlich auf den Kopf treffen. Ich hatte natürlich Kinofilme gesehen. Aber mein älterer Bruder war schon bei den Marines, daher hatte ich eine etwas nüchternere Perspektive. Rekrutierungswerbespots hatten jedenfalls nie viel Einfluss auf mich. Als ich ein Kind war, gab es so einen Spot, man findet ihn heute noch auf YouTube: Ein Kandidat rennt in einer Art Röhre über Lava, aus der ein riesiges Feuermonster kommt, er schnappt sich ein Schwert und tötet das Monster. Ich war jedenfalls ziemlich sicher, dass das nicht passieren würde.

Was haben Sie erwartet?

Mein Mentor, Tom Sleigh, ein großartiger Dichter, ließ mich Célines „Reise ans Ende der Nacht“ lesen, Hemingway, „Krieg und Frieden“, auch Isaak Babels „Reiterarmee“. Ich habe viel gelesen, bevor ich hinging. Aber ich hatte keine Ahnung, was ich erwarten sollte.


Haben Sie sich mit dem Gedanken auseinandergesetzt, dass Sie sterben könnten?

Ich habe mich nicht sehr gesorgt. Zum einen war ich ja für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, hatte also einen viel sichereren Job als viele andere. Aber natürlich: In meinem ersten Monat gab es einen Selbstmordanschlag vor dem Haupttor unserer Basis. Ein Attentäter sprengte sich in einer Gruppe von Familien in die Luft, die auf dem Weg in die Moschee waren. Ich hatte nie zuvor solche Verletzungen gesehen. Ich hatte nie zuvor so viele verletzte Menschen gesehen. Die Ärzte haben auf dem Boden operiert. Darüber habe ich viel nachgedacht.

Haben Sie sich betreuen lassen? Bei Ihnen liest man, dass Marines eher mit dem Priester reden als mit dem Psychologen, weil das weniger nach Schwäche ausschaut.

Ich hatte kein Trauma. Diskussionen über Krieg werden oft auf Trauma reduziert. Du hast eine Reaktion auf etwas, das du gesehen hast – also geh zum Psychologen und lass dir helfen, sie loszuwerden. Natürlich gibt es psychologische Wunden, ich habe Freunde mit posttraumatischem Stress. Aber das ist etwas anderes, als zu versuchen, moralisch mit Dingen zu ringen, die man gesehen hat und zu denen man in Beziehung steht – als Soldat eines Landes, das im Irak einmarschiert ist und jetzt versucht, ihn zu stabilisieren. Das ist kein Trauma, das ist eine tiefere Frage.

Sie zu beantworten wird ja von keinem Soldaten verlangt.

Solange man dort ist, gibt man sein Bestes, um seine Aufgabe gut zu erledigen, auch wenn das, was passiert, größer ist als die Aktionen eines Einzelnen. Und es herrschen alle möglichen Arten von Chaos. Was die Leute machen, ist, ein kleines Stück aus dem Chaos herauszuschneiden und zu versuchen, darin eine Art Ordnung herzustellen. Aber das ist nicht nur im Krieg so. Wir sind alle Teil von komplizierten Organisationen und Systemen, die andere Menschen manchmal im Positiven beeinflussen, manchmal im Negativen. Herauszufinden, welchen Sinn die eigene Rolle darin hat und wie man eine ethische Person wird – das ist unsere Aufgabe als Mensch. Aber sie wird dringlich, wenn vor dir Menschen gestorben sind.


Wird man mental vorbereitet?

Die Marines sind sehr gut darin, Leute auf ihre Rolle vorzubereiten. Aber die Fragen, denen ich nachgehe, kann das Militär nicht beantworten. Es geht nicht nur darum, wie Menschen mit ihrem Einsatz umgehen, sondern auch darum, wie sie mit dem Land umgehen, zu dem sie gehören und das für unsere militärische Strategie verantwortlich ist. Ich habe Freunde, die sich vor dem 11. September verpflichtet haben. Freunde, die sich danach verpflichtet und erwartet haben, nach Afghanistan geschickt zu werden, die aber im Irak gelandet sind. Ich habe Freunde, die gegen den Irak-Krieg protestiert und dann unterschrieben haben, weil sie dachten, dass sie angesichts dessen, was unser Land getan hat, eine Verpflichtung hätten, im Irak zu versuchen, die Dinge wieder zu richten – und die dann nach Afghanistan geschickt wurden.

Was war das Schlimmste an Ihrem Einsatz?

Es war gar nicht so schlimm. Denn es ist auch so: Man ist von Leuten umgeben, denen man vertraut. Man arbeitet gemeinsam auf ein Ziel hin, an das man glaubt. Man weiß, dass es wichtig ist, weil buchstäblich Menschen sterben. Es war also nicht unbedingt meine Zeit dort schwer, sondern im Nachhinein damit klarzukommen. Teil der Veteranengemeinschaft zu sein, die beobachtet, was im Irak passiert. Das ist viel schwieriger.


Zu wissen, dass die Operation Iraqi Freedom nicht die große Freiheit gebracht hat?

Man denkt nicht nur an die toten Marines, sondern auch an die Menschen, die man dort kennengelernt hat. Was dort bis heute passiert, bedeutet vor allem viel Leid. Man beobachtet das mit einer Mischung aus Trauer und Wut.


Heute suchen Syrer, Iraker und Afghanen hier in Europa Zuflucht.

Es ist schlimm, ich weiß. Ich versuche, in meinem Land eine Politik zu unterstützen, die Menschen, die unter dieser Krise leiden, willkommen heißt. Wir haben auch da eine Verantwortung.

Steckbrief

1983
wurde Phil Klay in White Plains, New York, geboren. Er studierte Kreatives Schreiben und Geschichte am Dartmouth College, später am Hunter College und im Veterans Writing Workshop der New York University.

Von 2005 bis 2009
diente er im U.S. Marine Corps, von 2007 bis 2008 als Public Affairs Officer in der irakischen Provinz Al-Anbar.

2014
erschien seine Short-Story-Sammlung „Redeployment“, die u. a. mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde. Die deutsche Übersetzung erschien unter dem Titel „Wir erschossen auch Hunde“ (Suhrkamp Nova).

Klay
ist verheiratet und Vater einer Tochter. Er lebt in Brooklyn und arbeitet an einem Roman über das Engagement Amerikas in Kolumbien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2016)

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