Jeremy Irons: "Filme sind das Sahnehäubchen"

Actor Jeremy Irons takes part in a panel discussion for the show 'The Borgias' in Pasadena
Actor Jeremy Irons takes part in a panel discussion for the show 'The Borgias' in PasadenaREUTERS/Gus Ruelas
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Schauspieler Jeremy Irons spricht über seinen neuen Film, "Die Poesie des Unendlichen", die Anfänge seiner Karriere und sein Verhältnis zu seinem Sohn, der in seine Fußstapfen getreten ist.

Es ist eine wahre Geschichte, so erstaunlich und unwahrscheinlich sie heute erscheinen mag: Ein einfacher Buchhalter aus dem indischen Madras erhält während des Ersten Weltkriegs ein Stipendium für Cambridge und revolutioniert die Wissenschaft der Zahlen. Nun wurde die Geschichte von Srinivasa Ramanujan als „Die Poesie des Unendlichen“ (seit Freitag im Kino) verfilmt. Neben Dev Patel ist Jeremy Irons als launischer Professor zu sehen. Er freundet sich mit dem Exoten an und führt ihn an Wissenschaft und Bräuche der britischen Elite-Universität heran. Irons im Interview.

Wie gut waren eigentlich Sie in Mathematik?

Jeremy Irons: Überhaupt nicht gut. Meinem Körper wohnt kein mathematisches Gehirn inne. Vielleicht lag es aber auch an der trockenen Art, wie ich in der Schule an Mathematik herangeführt wurde.

Wie schwer war es dann, sich in die Geschichte der zwei Mathematikgenies einzufühlen – der eine ein angesehener Professor aus Oxford, der andere ein Autodidakt aus der indischen Provinz, der die Mathematik revolutionierte?

Weil ich keine Affinität zu Zahlen habe, habe ich mich dem Thema nicht wissenschaftlich genähert. Ich bin ja auch nie auf eine Universität gegangen. Aber ich habe ein Buch gefunden, „A Mathematician's Apology“, das mich begeistert hat und Mathematik als Kunstform pries. Ich habe erst dann kapiert, dass Mathematik eine außergewöhnliche, spannende Sprache ist.


Zahlen, Zahlen, Zahlen – trotz der wenig sinnlichen Materie ist dieser Film sehr berührend. Woran liegt das?

Wahrscheinlich an den zwei sehr unterschiedlichen Männern, die durch die gemeinsame Leidenschaft verbunden sind. Der eine ist Cambridge-Professor, ein Genie und dadurch ein Außenseiter. Ihm fehlt die Erfahrung einer emotionalen Bindung. Er weiß gar nicht, wie zwischenmenschliche Kommunikation funktioniert. Die Arbeit und Freundschaft mit Ramanujan, dem Autodidakten aus der indischen Provinz, überrascht ihn, in seinen Memoiren nennt er sie „den einen romantischen Vorfall meines Lebens“.


Der 25-jährige Dev Patel, der Senkrechtstarter aus „Slumdog Millionaire“, war extrem nervös, mit Ihnen vor der Kamera zu stehen. Waren Sie mit 25 ähnlich nervös, als Sie mit großen Kollegen gearbeitet haben?

Oh ja, bei Sir Laurence Olivier etwa oder bei Sir John Gielgud dachte ich die ganze Zeit, ich werde nie in der Lage sein, wirklich so gut zu spielen, wie ich möchte. Mit Olivier hatte ich auch noch so eine schwierige Szene, in der ich viel sprechen musste, und war völlig fertig. Mit Dev habe ich daher das gemacht, was ich mit allen mache, mit denen ich zum ersten Mal arbeite – ich spiele den Clown.


Das ist Ihr Rezept, um Schauspieler zu täuschen – für sie den Clown zu geben?

Letzten Endes sind wir doch nichts anderes als Kinder, wenn wir „schau- spielen“. Egal, wie viel Erfahrung du hast. Also habe ich Dev den Druck genommen, indem ich gezeigt habe, dass ich nicht wirklich weiß, was ich da eigentlich tue.


Und wissen Sie immer, was Sie tun, wenn Sie spielen?

Nein.


Es wirkt aber so.

Das ist gut. Ich habe schon eine genaue Vorstellung davon, was ich anstrebe. Aber mitten in der Szene musst du so spielen, wie es aus dir herauskommt. Das ist wie mit einem Tennisspieler: Du übst viel, hast ein Gespür, wie das Match verlaufen könnte, schätzt deinen Gegner ein und hoffst, gut vorbereitet zu sein. Doch im Match arbeitest du dich von einem Moment zum nächsten vor. Am Ende weißt du, in welchen Momenten du das erreicht hast, was du dir vorgenommen hast.


Hat sich Ihre Leidenschaft für den Beruf im Laufe der Jahre verändert?

Als ich mit 50 Jahren nicht mehr die Hauptrollen in Filmen bekam, habe ich eine zweijährige Pause eingelegt und mein Schloss renoviert. Als ich dann wieder voll einstieg, musste ich mich nicht mehr so beweisen. Ich bin an einem Punkt, an dem ich weiß, wie unwichtig Ruhm letztlich ist. Die Proportionen sind zurechtgerückt: Ich spiele in Filmen mit, auf die ich Lust habe, und bin nicht mehr versessen, eine bestimmte Rolle zu ergattern. Seitdem genieße ich meine Arbeit noch mehr.


Was genießen Sie sonst noch im Leben?

Auf meinem Boot zu segeln, mein Pferd zu reiten, Motorrad zu fahren, mit meinem Hund spazieren zu gehen und im Garten zu arbeiten. Aber ich bin nirgends glücklicher als in meinem Schloss. Es tut jedes Mal weh, diesen Ort zu verlassen.


Für Ihr Schloss hätten Sie angeblich fast Ihre Karriere an den Nagel gehängt – dann wurde es doch „nur“ die zweijährige Pause. Was genau fasziniert Sie noch an der Schauspielerei?

Als ich jung war, fand ich es jedes Mal aufregend, zu drehen und berühmter zu werden. Doch mit der Zeit nutzt sich die Freude darüber ab. Am Ende zählen die Menschen, mit denen man gern zusammengearbeitet hat. Sie bleiben dir in Erinnerung.


Wie empfanden Sie die Kollegen bei „Die Poesie des Unendlichen“?

Das war so eine angenehme Erfahrung: Wir hatten ein knappes Budget, wenig Zeit für unser Pensum und einen angenehmen, aber recht unerfahrenen Regisseur. Also mussten wir gut zusammen funktionieren, um die Aufgabe zu meistern. Aber solche Umstände sorgen dafür, dass die Arbeit Spaß macht. Im Theater ist es ähnlich. Da versuchst du, innerhalb einer begrenzten Zeit durch Worte eine Welt hervorzuzaubern, die das Publikum für sich einnimmt.


Ihr 30-jähriger Sohn Max behauptet sich immer erfolgreicher in Ihrem Metier. Betrachten Sie seine Karriere mit gemischten Gefühlen?

Max hat zwar den Weg der Schauspielerei eingeschlagen, aber ich kann ihm keine Ratschläge geben, weil sich die Zeiten so verändert haben und das Geschäft so anders funktioniert. Ich rate immer, er soll zurück ans Theater gehen, weil das der Ort ist, an dem man etwas lernen kann. Filme sind das Sahnehäubchen. Doch der Kuchen selbst sollte aus Experimenten und Risiko bestehen. Das ist im Film nicht möglich, weil es dabei um so viel Geld geht.


Sprechen Sie oft über die Karriere?

Nur, wenn er unsicher ist. Er hört sicher mehr auf seinen Agenten als auf seine Eltern. Das ist auch nicht verkehrt. Es ist schon schwer, sich aus dem Schatten der Eltern zu lösen, wenn sie beruflich dasselbe machen. Ich werde Max so gut helfen und beschützen, wie ich kann. Trotzdem muss er sein eigenes Feld bestellen.


Medien sind heute mehr an Schönheit als an Weisheit interessiert, behaupten Sie. Wird Können weniger geschätzt?

Ich gebe dem Konsumdenken die Schuld, das uns unermüdlich antreibt, irgendetwas zu kaufen. Deswegen werden uns ständig Leute vorgeführt, denen man nacheifern soll. Klamotten werden billig hergestellt, damit wir sie nach einem Jahr wegwerfen und uns neue zulegen. Ich habe mir meinen Lieblingsanzug mit 25 nähen lassen, und den trage ich immer noch. Ab und an muss ich ihn ausbessern, wenn die Motten ihr Unwesen treiben. Aber sonst ist er tipptopp.


Sie sehen immer elegant aus. Hat Ihr Anzug wirklich 40 Jahre auf dem Buckel?

Ja. Ich selbst komme mir gar nicht elegant vor. Vielleicht wirkt das manchmal so, weil ich groß bin, aber ich trage meist unpassende Outfits. Eigentlich ziehe ich einfach die Sachen an, die ich gern trage. Die Auswahl an Kleidung, die ich dabei habe, ist eher spärlich, und etwas Hippes ist sicher auch nicht darunter. Mir ist wichtiger, warm angezogen zu sein (lacht).

Steckbrief

1948
wurde Jeremy Irons in der britischen Hafenstadt Cowes geboren.

1981
gelang ihm mit dem Drama „Die Geliebte des französischen Leutnants“ der internationale Durchbruch.

1991
wurde er für seine Darstellung des Claus von Bülow in „Die Affäre der Sunny von B.“ mit einem Oscar ausgezeichnet. In den Jahren darauf folgten Erfolgsfilme wie „Stirb langsam – Jetzt erst recht“, „Der Mann in der eisernen Maske“ und „The Time Machine“. Zuletzt war er in „Batman v Superman: Dawn of Justice“ im Kino zu sehen. Jeremy Irons ist seit 1978 mit der Schauspielerin Sinéad Moira Cusack verheiratet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2016)

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