Andrea Eckert: Geisterstunde!

Raimund. Andrea Eckert spielt in Gutenstein die Hoffnung und den Kolibri.
Raimund. Andrea Eckert spielt in Gutenstein die Hoffnung und den Kolibri.(c) Laurent Ziegler
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Andrea Eckert über Sehnsüchte ihrer Kinderzeit, ihre Reisen, die Raimundfestspiele Gutenstein, Einsamkeit und ihre Großmutter.

Raimund „die Maske der Wiener Gemütlichkeit abnehmen“, das wünscht sich Andrea Eckert, die heuer für die Raimundfestspiele Gutenstein verantwortlich sein wird. Vorerst nur für ein Jahr: „Ich habe Bindungsängste. Wir werden sehen, wie es geht“, sagt die Schauspielerin, die mit ihren Soloprogrammen viel unterwegs ist – im Iran wie in Israel –, und sie erzählt von ihrer widerspruchsvollen Familie zwischen Patriarchat und Matriarchat, Bürger- und Künstlertum: „Ich musste flüchten. Am Theater fand ich meinen Platz.“

Sie sind mit Ihren Liederabenden über Greta Keller oder Lotte Lenya auch gereist, zum Beispiel in den Iran. Wie war das?
Unglaublich interessant. Ich habe im Österreichischen Kulturinstitut in Teheran gesungen – ein geschützter Raum –, Frauen dürfen sonst nicht solistisch auftreten, und im Publikum waren viele selbstbewusste junge Frauen, die alle Deutsch gesprochen haben. Frauen fahren Auto. In den Salons de Thé sitzen wunderschöne, geschminkte Mädchen mit Leggings und Wasserpfeife, auf den ersten Blick ist alles sehr frei und westlich. Aber es gibt auch ein Haus, in dem die Todesurteile vollstreckt werden.


Sie sind mit Ihren Chanson-Abenden in Israel aufgetreten. Die zwei Länder sind verfeindet. Man braucht zwei Pässe.
Ja, so ist das eben. In Israel sind viele betagte Menschen im Publikum, die sich nach den Liedern ihrer Jugend sehnen: Friedrich Hollaender, Hermann Leopoldi, Ralph Benatzky, Löhner-Beda, da sind sie zu Hause. Es berührt mich zutiefst, dass Menschen, denen in ihrer Heimat so grauenhaft mitgespielt wurde, noch immer ihr Heimweh mit sich tragen und sich über die Musik freuen, die sie an einem Ort kennengelernt haben, von dem sie unbarmherzig vertrieben wurden. Ich durfte über Frederic Morton einen Film machen: „Durch die Welt nach Hause“. Aus dieser Begegnung ist eine innige Freundschaft geworden. Wenn ich bei ihm in New York war, habe ich ihm Mohntorte oder Topfenknödel gemacht. Er hatte eine alte, zerkratzte Schallplatte mit dem Lied „Mei Muatterl war a Weanerin“. Die haben wir gemeinsam angehört. Frederic hatte eine wunderschöne Wohnung in Manhattan, am Riverside Drive, die Fenster gingen auf den Hudson. Er hat gesagt: „Weißt du, da steh ich oft und schau hinaus und stell mir vor, der Hudson ist die Donau.“


Sie haben für heuer die Intendanz der Raimundfestspiele in Gutenstein übernommen. Wieso nur für ein Jahr?
Ich habe Bindungsängste. Wir werden sehen, wie es geht.


Haben Sie schon einmal Raimund gespielt?
Ich habe vor Jahren in „Der Diamant des Geisterkönigs“, der dieses Jahr in Gutenstein auf dem Programm steht, die Hoffnung gespielt. Helmut Wiesner inszenierte das Stück 1993 am Volkstheater. Ich erinnere mich noch, dass ich mit meinem Rad auf die Bühne gekommen bin. Mich freut die Intendanz in Gutenstein, weil ich immer den Traum hatte, den Menschen, die ich künstlerisch schätze, einen Ort anbieten zu können, um gemeinsam zu arbeiten. Das war auch der Grund, warum ich mich damals um die Intendanz des Volkstheaters bemüht habe. Cornelia Rainer, die unter anderem bei den Salzburger Festspielen inszeniert hat, am Burgtheater „Pünktchen und Anton“ nach Kästner und mit ihrer Produktion „Lenz“ zum Theaterfestival in Avignon eingeladen ist, führt Regie. Ich bin gespannt darauf, wie sie Raimund sanft die Maske der Wiener Gemütlichkeit abnehmen wird, um dahinterzuschauen – auf die tiefe Verlorenheit und Traurigkeit, die man wohl in Raimunds Leben findet, aber nicht auf den ersten Blick in seinen Stücken. Die Hoffnung wird wieder mein Part sein – diesmal in jeder Hinsicht – und der kleine Kolibri. Ich bin ja aufs Dramatische abonniert, und der Kolibri hat etwas Heiteres, Kindliches. Das ist schön.


In dem Stück geht es um eine Schatzsuche und um die Suche nach Wahrheit und Liebe. Der berühmteste Satz daraus ist: „Ich bin dein Vater Zephises und habe dir nichts zu sagen als dieses.“ Ein rätselhafter Satz, den der tote Zauberer Zephises zu seinem Sohn Eduard sagt, als dieser ihn aus dem Jenseits zurückholt und um Rat fragt.
Wie man diesen Satz beurteilt, als Witz oder als Armutszeugnis, das ist Entscheidungssache. Man kann es auch so sehen: Zephises sagt zu Eduard, ich bin zwar dein Vater, aber ich kann dir nicht helfen. Eduard ist zornig und verzweifelt darüber, für ihn ist das eine existenzielle Erfahrung: Er ist allein. Zum Glück hat er den wunderbaren Florian als Diener an seiner Seite. Wir wünschen uns doch alle, dass uns jemand durchs Leben hilft, aber letztlich reisen wir allein und können uns nur selbst helfen.


Führen Sie Gespräche mit Verstorbenen?
Ich rede oft mit meiner Großmutter. Sie wurde 1900 geboren und war eine ungeheuer autonome Frau. Sie hat zwar geheiratet und eine Tochter – meine Mutter – gehabt, aber sie hat sich nie ganz in die familiären Strukturen integriert oder sich ausschließlich darüber definiert. Sie war Buddhistin und hat ihre Familie erhalten, indem sie Romane geschrieben hat, wie ihre eigene Mutter davor und ihre zwei Schwestern. Mit dieser Großmutter rede ich oft, sie ist 1984 gestorben, und sie wird mir immer fehlen.


Glauben Sie an Geister?
Ich weiß aus Erfahrung, dass Verstorbene nicht gleich gehen. Sie brauchen Zeit, um sich von dem Ort zu entfernen, der ihr Lebensmittelpunkt war. Irgendwann sind sie dann fort und leben in unserer Erinnerung.


Bei Raimund treten auch öfter Feen auf. Glauben Sie an Feen?
Leider nein.


Sie wollten auch selbst als kleines Mädchen keine Fee sein?
Nein gar nicht, sondern „Indianerin“ oder noch lieber „Zigeunerin“ – damals sagte man noch so. Irgendetwas Wildes halt.


Wollten Sie ein Bub sein?
Nein. Aber ich habe nie verstanden, warum, wenn zum Beispiel bei Tisch etwas gefehlt hat, ich es holen sollte und nicht mein von mir geliebter Bruder, der das sicher auch gemacht hätte. Darüber habe ich dann Grundsatzdiskussionen geführt, bis meine Mutter sagte: „Ich hole das Salz lieber selbst.“ Und böse auf mich war. Ich bin in der kleinen Stadt Baden aufgewachsen. Mein Vater war Anwalt, und die ganze Familie Eckert war ziemlich patriarchalisch organisiert. Es war schwierig für meine Mutter. Ich wünsche jetzt so oft, ich hätte ihr helfen können, aber damals musste ich flüchten, um dem allen zu entrinnen. Während eines Jahres in Paris habe ich Kraft gesammelt und mich für das Theater entschieden. Seither habe ich einen Platz auf der Welt.

Tipp

Raimundfestspiele. „Der Diamant des Geister­königs“ von 21. Juli bis 15. August in Gutenstein.

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