Houchang Allahyari: „Als wäre ich nie im Ausland gewesen“

Das Wort Flüchtlinge, sagt Regisseur und Psychiater Houchang Allahyari, gefalle ihm nicht.
Das Wort Flüchtlinge, sagt Regisseur und Psychiater Houchang Allahyari, gefalle ihm nicht.Michaela Bruckberger
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Der Psychiater und Regisseur Houchang Allahyari ist nach 47 Jahren in Österreich wieder in sein Geburtsland Iran gereist – und hat zwei neue Filme daraus gemacht.

Ihre beiden neuen Filme spielen im Iran. Die Dokumentation „Rote Rüben in Teheran“ begleitet Sie und Ihren Sohn durch Ihre alte Heimat. Fanden Sie, dass der Iran genauso riecht wie damals, als Sie das Land verlassen haben?

Houchang Allahyari: Im Iran werden, vor allem, wenn es kalt ist, gegrillte Rote Rüben auf der Straße verkauft. Diese haben einen ganz eigenen Geruch. Die Rote Rübe ist das Symbol für alle anderen Gerüche von dort, die sind bei mir im Gehirn abgespeichert. Ich bin mir bei meiner Rückkehr vorgekommen wie ein 18-Jähriger. Als wäre ich nie so viele Jahre im Ausland gewesen. Vielleicht klingt das kitschig. Aber in der Psychiatrie sagen wir, dass wir das Kind immer mit uns haben. Nostalgische Erinnerungen tauchen auf. Diese Nostalgie wollte ich im Film wiedergeben. Es ist wahnsinnig persönlich geworden. Außerdem war es mein Wunsch, mit meinem Sohn dorthin zu reisen und die Vergangenheit aufzuarbeiten. Diese zwei Filme gehören uns beiden, wir haben miteinander Regie geführt.

Für Ihren Sohn Tom-Dariusch, der in Wien geboren und aufgewachsen ist, war es vermutlich etwas anderes als Nostalgie.

Er konnte sich aber auch nicht als Tourist betrachten. Er hatte auf einmal Schwierigkeiten mit der Identität, weil er gedacht hatte, dass er diese Problematik schon bearbeitet habe: „Ich bin in Österreich geboren, ich bin in einer anderen Kultur aufgewachsen, jetzt komme ich in ein Land, wo die Kultur meines Vaters ist.“ Es war eine ambivalente Situation für ihn. Nachdem er die Freude in mir gesehen hat, war er emotional auch mitbeteiligt. Er war in dieser Konfliktsituation: Bin ich Ausländer oder nicht?

Vor den Filmen waren Sie 47 Jahre lang nicht mehr im Iran. Warum haben Sie so lange gewartet?

Das ist eine gute Frage. Nach der Revolution wollte ich immer wieder hin. Aber in Österreich hat sich eins nach dem anderen für mich ergeben, der Film, meine Arbeit in der Medizin. Das hat mir nicht die Zeit gegeben. Abgesehen davon hatte ich fast niemanden mehr dort. Meine Heimat ist Wien geworden. Meine Mutter und Großmutter waren hier, meine Freude, Trauer, diese Gefühle habe ich alle hier erlebt. Ich hatte keinen zwingenden Grund, in den Iran zu gehen, denn wir haben uns mit der Großfamilie immer in Istanbul getroffen. Aber ich bin froh, dass ich das gemacht habe. Für mich war das wie eine sehr intensive Psychotherapie.

Sie haben einmal gesagt, dass Wien ein Dorf war, als Sie ankamen. Wie würden Sie den Geruch von Wien charakterisieren?

Es fällt mir schwer, diese Frage zu beantworten, weil ich Wien wirklich liebe. Aber als ich hierher kam, hat alles nach Tod gerochen. Es war alles traurig.

Als Sie kamen, lag das Kriegsende gerade einmal 15 Jahre zurück.

Ja, es war Stillstand. Vielleicht kann ich die Frage besser in Farbe als in Geruch beantworten: Es war alles schwarz. Ich bin in Schwechat angekommen, es hat geregnet, es war dunkel, es gab keine Autobahn. Wir sind mit dem Autobus durch die Dorfstraßen gefahren, und ich habe mir gedacht: Wo bin ich? Beängstigend war das.

Warum Wien?

Wien war für mich Musik, Freud, Jung und Adler. Wir haben im Iran Mozart gehört. Für uns Studenten war es eine billige Stadt. Wien habe ich mir als das Paradies vorgestellt, deswegen war auch die Enttäuschung groß. Aber es hat sich so viel verändert. Die heutigen Generationen sind nicht so traurige Figuren wie damals. Manchmal sehe ich im Bermudadreieck am Schwedenplatz die jungen Leute mit ihrer Musik und ihren Veranstaltungen. Es ist so lebendig. Damals war im Bermudadreieck kein Mensch am Samstagabend.

Österreich hat früher aktiv um Studenten im Ausland geworben. Warum gerade im Iran?

Ich weiß nicht, ob sie das in anderen Ländern auch gemacht haben, aber sie wollten ausländische Studenten. Im Iran haben sie viel Reklame gemacht. Ich kann mich erinnern: Wir haben ganz einfach vom österreichischen Konsulat mehrere Prospekte geholt. Kürzlich war ich wieder dort. Sie können nicht einmal bis zur Tür gehen, so viele Leute stehen an.

Sie sind unter anderen Umständen nach Österreich gekommen als die Flüchtlinge heute. Gibt es dennoch Parallelen?

Ich sehe keine. Damals wurden wir wirklich als Gäste betrachtet, und ich habe auch nicht vorgehabt, hier zu bleiben. Die Bevölkerung dachte: Das sind Studenten, die lassen Geld hier, dann gehen sie wieder. Derzeit ist es anders. Das sind arme Leute, die vor dem Krieg fliehen. Ich kann das nicht verstehen, aber jetzt entstehen diese Ängste: Sie nehmen unsere Arbeit weg, unser Geld, usw. Aber Österreich ist groß genug. Geld ist genügend da, niemand wird verhungern. Diese Ängste sind irgendwie auch gezüchtet.

Sagen Sie das als Psychiater?

Nein, ich sage das als einfacher Mensch. Da muss man gar nicht analytisch vorgehen. Kürzlich bin ich mit meinem Assistenten in ein Blumengeschäft gegangen. Wir machen die Tür auf, und die Blumenverkäuferin versteckt sich, weil zwei Ausländer hereinkommen. Ich habe sie darauf angesprochen, und sie sagte: „Ich wurde vor ein paar Tagen beraubt und habe Angst.“ Ich sagte, ja, ich wurde auch einmal in meiner Praxis beraubt, aber der Betreffende war ein Österreicher. Bei ihr steht das jetzt in direkter, negativer Verbindung zu den Ausländern.

Österreich hat sich nach dem Krieg mühsam aufgerappelt, das ist vermutlich noch tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Mit den Flüchtlingen scheint daher auch eine Art Existenzangst zu entstehen – und so etwas wie ein Kultur-Clash mit religiös-konservativen Zuwanderern. Glauben Sie, dass das in Österreich zu viel Konflikt führen wird?

Ich glaube, dass Österreich das überleben wird. Das sind Sachen, die man langsam bearbeiten kann. Schwieriger ist es für die Betroffenen und deren Kultur in ihren eigenen Räumen. Wenn Väter sagen: „Gut, da draußen machen sie das so, aber meine Familie darf das nicht. Die anderen Mädchen dürfen einen Freund haben, aber meine Tochter nicht.“ So gehen zumindest viele in meiner Generation vor, und das finde ich nicht richtig. Das sage ich auch den Flüchtlingen. Übrigens, dieses Wort gefällt mir nicht. Im Iran sagen sie Gäste.

Früher hieß es auch Gastarbeiter. Aber schwingt da nicht auch diese paternalistische Haltung mit? Ein Gast ist von Wohlwollen abhängig, und es wird von ihm die Rückkehr erwartet.

Andererseits ist ein Gast aber auch willkommen. Das ist die positive Seite. Aber man kann wohl jede Bezeichnung positiv und negativ auslegen.

Wenn wir zurück zu den Ängsten gehen: Muss man die kollektive Existenzangst auch kollektiv bearbeiten?

Man braucht gar nicht therapeutisch vorzugehen, wenn man die ganze Sache menschlich betrachtet. Wir sind alle Menschen, mit all unseren Vor- und Nachteilen.

Wenn man an den Iran, an die Iraner denkt, hat man interessanterweise zwei Vorstellungen: die Intellektuellen, wie etwa die Ärzte, und die religiösen Hardliner. Wie können wir das Dazwischen sehen?

Dieses Bild ergibt sich durch die Medien. Die Zeitungen vermitteln das in etwa so: Wenn Sie am Flughafen ankommen, werden Sie aufgehängt. Aber das stimmt nicht. Es gibt wirklich so viele verschiedene Menschen. Sie haben einen Weg gefunden, im Iran ihr Leben in eine kreative Richtung zu gestalten und trotzdem die Gesetze zu befolgen. Für meinen Film „Rote Rüben in Teheran“ habe ich mit vielen von ihnen gesprochen. Wie gehen sie mit ihrer Umgebung um? Wie kann eine Schauspielerin mit Kopftuch in die Rolle hineingehen?

Es ist für Medienvertreter nicht einfach, in den Iran zu reisen und sich selbst ein objektives Bild zu machen. Wir berichten an einem Tag von den diplomatischen Erfolgen des Präsidenten, Hassan Rohani, am nächsten Tag aber wieder von Hinrichtungen und Verhaftungen.

Ich selbst kann sagen, dass es sehr viele Fortschritte gibt. Die Frauen sind im Iran sehr stark. 60 Prozent der Studierenden sind Frauen! Die kommerziellen Kinos haben die Frauen in der Hand. Man darf sie nicht herablassend betrachten, nur weil sie ein Kopftuch tragen. Das alles kann man in der Presse so schwer darstellen. Und Rohani selbst ist in keiner guten Lage. Er will sich bewegen, wird aber von allen Seiten daran gehindert. Zum Beispiel ist das Justizministerium außerhalb der Regierung. Rohani kann nicht eingreifen. Seine Gegner werden alles machen, um sein Image zu zerstören.

Herr Allahyari, darf man Sie auch fragen...


1. . . ob eine modern-demokratische Gesellschaft allgemein weniger Religion braucht?

Das kann ich nicht behaupten. Wir sind in einer Gesellschaft, in der Großfamilie wegfällt. Die Leute haben keine Säule mehr, um sich anzulehnen, können nicht richtig über ihre Gefühle reden. Es bleibt nichts anderes übrig als die Religion. Ich habe in meiner Praxis sehr viele ältere Leute. Die Familie besucht sie nur zu besonderen Anlässen. Da ist die Einsamkeit sehr groß. Das hat mit Ausländer oder Inländer nichts zu tun.

2. . . über wen Sie gern einen Film drehen würden?

Über den großen iranischen Mediziner Avicenna (um 980−1037) würde ich gern eine Dokumentation machen. Er hat viel von der griechischen Medizin übernommen und sich mit Philosophie beschäftigt. Ich habe in seinen Büchern Theorien über das Bewusstsein gefunden, die später auch Freud beschrieben hat. Er hat mich sehr in meiner medizinischen Laufbahn geprägt.

Steckbrief

1941 wird Houchang Allahyari in Teheran geboren. Für sein Medizinstudium kommt er 1959 nach Wien. In den 1970er-Jahren dreht er seinen ersten Film, das Drehen hat er sich autodidaktisch beigebracht.

Bekannt wird Allahyari mit seinen Filmen „I love Vienna“ (1991) sowie „Geboren in Absurdistan“ (1999). Zudem dreht er zwei Filme über die Flüchtlingshelferin Ute Bock. Für „Der letzte Tanz“ (2014) erhält der Regisseur den Großen Diagonale-Filmpreis für den besten österreichischen Spielfilm.

Am 6. Juli findet die Premiere seines Films „Rote Rüben in Teheran“ im Wiener Stadtkino im Künstlerhaus statt (19.30 Uhr). Tickets: office@stadtkinowien.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2016)

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