Maria Radutu: Angstgepeitscht und hoffnungsfroh

Maria Radutu spielte sich von den Plattenbauten Bukarests auf die Bühnen der Welt.
Maria Radutu spielte sich von den Plattenbauten Bukarests auf die Bühnen der Welt.(c) Andrej Grilic
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Die Pianistin spielte sich aus dem Bukarester Plattenbau auf die großen Bühnen. Mit "Insomnia" legt sie ein hinreißendes Album zur Schlaflosigkeit vor.

Sie war ein Wunderkind des Ostblocks. Aufgewachsen in einem Plattenbau in Bukarest, wo etwa ein Viertel des rumänischen Nationalorchesters gelebt hat, halfen die Nachbarn, dass die kleine Maria Radutu das beste Klavier bekam, das möglich war. Mit sechs Jahren hat sie ihre Ausbildung begonnen. Nach der ersten Klasse wurde es ernst mit der Teilnahme an Wettbewerben. Mit neun war sie das erste Mal im Fernsehen, übte fünf Stunden täglich. Drill war es dennoch keiner. „Wunderkind? Das sehe ich nicht als Kompliment. Aber ich muss sagen, man hat sehr auf die Kinder geachtet. In der Pubertät muss man letztlich für sich selbst entscheiden, ob man diesen Weg weitergehen will“, erzählt die heute 32-jährige Maria Radutu kurz vor Erscheinen ihres Konzeptalbums „Insomnia“. Die nocturnen Stimmungen liegen ihr, aber an Schlaflosigkeit leidet sie im wirklichen Leben dann doch nicht. Ihre feinsinnige Auswahl an Stücken von Scriabin, Fauré, Sibelius, Arvo Pärt und sogar Jazzer Christoph Cech sowie die quecksilbrige Interpretation derselben, machen „Insomnia“ zu einem Hörerlebnis ersten Ranges.

Lehrjahre in Wien

1998 kam Radutu zur weiteren Ausbildung nach Wien. Sie war damals erst 14 Jahre alt. Zunächst begleitet von ihrer Mutter, fand sie sich mit 15 dann ganz allein in einer fremden Stadt. Ihr erster Eindruck? „Der erste, arge Moment kam an einem Sonntag. Ich ging auf die Straße und sie war leer. Das war mir unbegreiflich. In Bukarest flanieren die Menschen am Sonntag durch die Straßen. In der Wohnung war es auch nicht gerade unterhaltsam. Da gab es kein Fernsehen, kein Radio, nicht einmal einen CD-Player. Computer oder Internet sowieso nicht.“

Entschädigt wurde die aufstrebende Virtuosin durch das hiesige Angebot an Konzerten, etwa von einem ihrer Idole, dem Pianisten Alfred Brendel. Doch auch auf diesem, ihr vertrautem Terrain kam es zu negativen Überraschungen. Radutus Augen weiten sich, als sie in den Tiefen der Erinnerung kramt. „Was war das für Schock, als ich einmal in ein ausverkauftes Brendel-Konzert im Musikverein nicht reinkam. Ich hatte genug Geld mit, ging deshalb vertrauensvoll hin. Aber man verweigerte mir den Eintritt, weil ich kein Ticket hatte. Unbegreiflich, in Bukarest kommt man auch in ausverkaufte Konzerte rein, da sitzt man halt irgendwo am Boden. Ich ging weinend.“

Mittlerweile hat sie mehr Verständnis für die hiesigen Gepflogenheiten. Und sie hat so etwas wie eine Doppelidentität entwickelt. „Ich bin jeweils eine andere Person in Wien und Bukarest.“ Ihr Leben verkompliziert hat auch die Übersiedlung ihrer Eltern nach Paris. Jahrelang pendelte Radutu zwischen Bukarest, Wien und Paris. „Im Nachtzug wurde in mir eine Art Freiheitsgefühl wach. Da und nur da war ich weder die Studentin noch die Tochter noch die kleine Schwester – da war ich einfach ganz bei mir.“ Und so lernte sie während der nächtlichen Bahnreisen die temporäre Schlaflosigkeit, die sensibler macht für die Strebungen des Unbewussten, zu lieben. Der britische Komponist Max Richter hat jüngst mit „Sleep“ ein achtstündiges Schlaflied kreiert, für dessen Aufführung er Feldbetten fürs Publikum aufstellen ließ. Manche schliefen, andere wachten. Dieses Konzept bringt Radutu zum Lachen.

Entspannung statt Schlaf

„An den Schlaf will ich meine Hörer nicht verlieren, nur eine gewisse Ruhe sollen sie gewinnen.“ Gibt es in unserem Zeitalter der Zerstreuungen überhaupt noch Menschen, die zuhören? „Man muss in erster Linie auf sich selbst achten. Die Welt verändert sich und damit das Hören. Wichtig ist, das Interesse des Publikums zu wecken.“ Und was findet sie selbst in der Kunst, das im Leben nicht zu finden ist? „Es sind immer die gleichen paar Gefühle, die in der Kunst, egal ob sie hundert Jahre oder dreihundert Jahre alt ist, reflektiert sind. Sehnsucht nach Liebe, Angst, Euphorien und Depressionen – alles Auf und Ab des Lebens muss in der Musik abgebildet sein. Keine Kunst lässt tiefer fühlen als Musik. Sie braucht den Umweg über das Denken nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2016)

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