Der ganz normale Pokémon-Wahn

FILES-JAPAN-US-IT-NINTENDO-POKEMON-LIFESTYLE
FILES-JAPAN-US-IT-NINTENDO-POKEMON-LIFESTYLE(c) APA/AFP/TORU YAMANAKA
  • Drucken

„Pokémon Go“ ist der Hit des Jahres. Die Nintendo-Aktie hat gewaltig zugelegt – und dann verloren, weil man nur zu 32 Prozent an Pokémon beteiligt ist. Annäherung an ein Phänomen.

Wien. Sommer 2016 in Wien: Der Stadtpark wird nicht nur von jungen Familien und Touristen belagert, sondern auch von Hunderten Menschen, die die Nase tief ins Handy vergraben haben. Sie spielen „Pokémon Go“, den neuesten Gaming-Hit aus Japan. Der Stadtpark ist eine der wichtigsten Zentralen in Wien für das Handy-Spiel, das sich der GPS-Koordinaten der Spieler bedient. Es sind sogar schon Polizeiwagen gesichtet worden, die sich im Schritttempo durch den Park bewegen, damit den Beamten kein einziges Pokémon entgeht.

Das Handy-Spiel hat die Nintendo-Aktie zuletzt in lichte Höhen geschickt. Zeitweilig hatte die Firma hinter Gameboy, Wii, Mario und Co. dieselbe Marktkapitalisierung wie der ungleich größere Elektronikriese Sony. Aber dann ist den Investoren etwas aufgefallen. Nintendo ist lediglich teilweise an der Firma beteiligt, die „Pokémon Go“ betreibt. Das ist keine Neuigkeit, sondern war immer bekannt. Aber die Märkte haben den Umstand einfach ignoriert und sich an dem globalen Wahn rund um das Handyspiel beteiligt. Bis Nintendo die Sache am Freitag in einer Aussendung klarstellen musste: Ja, „Pokémon Go“ sei ein Riesenhit. Aber die positive Wirkung auf die Bilanz des Unternehmens werde sich in Grenzen halten, da Nintendo das Spiel nicht im Alleingang betreibe. „Pokémon Go“ ist eine Kooperation zwischen Niantic Labs und der Pokémon Company, an der Nintendo zu 32 Prozent beteiligt ist.

Stadtpark bis Central Park

Die Börsen reagierten erwartungsgemäß. Am Montag fiel die Nintendo-Aktie plötzlich wie ein Stein – um bis zu 18 Prozent, dem maximal an einem Tag erlaubten Verlust an der Börse Tokio. Binnen eines Tages hat Nintendo mehr als sechs Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung eingebüßt – die man zuvor hinzugewonnen hatte. Und alles wegen eines Handy-Spiels. Rund 400 Mio. Dollar soll Nintendo heuer an „Pokémon Go“ verdienen.

Aber was macht man da eigentlich? Was bringt Hunderte Menschen dazu, mit den Augen am Display durch den Stadtpark in Wien oder den Central Park in New York zu huschen? Und warum sind die Börsen zuerst himmelhoch jauchzend – und dann zu Tode betrübt, wenn das Spiel noch dazu gratis ist – also beim Runterladen nichts kostet. Die zweite Frage ist relativ simpel zu beantworten. Wie andere Handy-Spiele auch setzt „Pokémon Go“ auf In-App-Käufe. User können sich gewisse Vorteile im Spiel verschaffen oder Zeit sparen, indem sie echtes Geld einsetzen. Das klingt simpel, ist aber delikat. Zwar lässt sich so sehr viel verdienen. Mitunter sogar mehr als durch das klassische Modell, bei dem ein Spiel einmal gekauft wird und dann im vollen Umfang gespielt werden kann. Es kommt aber auf die Balance an, denn In-App-Käufe dürfen keine unfairen Vorteile bringen.

Pokémon bringt aber auch Geld, weil man Spieler in die Filialen von kommerziellen Partnern locken kann, die dafür bezahlen – etwa McDonald's. Bleibt die Frage nach der Funktionsweise. Vereinfacht gesagt geht „Pokémon Go“ so: Der User muss sich an bestimmte Stellen begeben, um virtuelle Wesen (Pokémons) zu fangen. Hat er welche erwischt, muss er sie hegen und pflegen und trainieren. In beiden Phasen helfen In-App-Käufe, um das Spiel zu beschleunigen. Wichtig ist aber: Man kann Geld ausgeben – man muss aber nicht.

Bis der Akku leer ist

Ab einem gewissen Level muss der Spieler sich dann für eines von drei Teams entscheiden: Rot, Blau oder Gelb. Ist man Teil eines Teams, kann man bestimmte Punkte einer Stadt durch Pokémon-Kämpfe für sein Team erobern – oder verteidigen – und so immer mehr Punkte sammeln.

Das führt zu einer völlig neuen Art des Computerspielens, als wir es bisher kennen. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Kids tagelang im Keller vor der Flimmerkiste gesessen sind. Plötzlich sind sie für jeden Familienausflug zu haben – vorausgesetzt am Zielort sind Pokémons zu finden – und der Handy-Akku ist voll, denn das Spiel braucht ganz schön Saft.

AUF EINEN BLICK

„Pokémon Go“ ist ein Spiel von Niantic und Nintendo, das die Welt im Sturm erobert hat und sich um das Sammeln virtueller Wesen dreht, denen man mit dem Handy hinterherjagt. Geld machen die Betreiber über In-App-Käufe und Kooperationen. Die „Presse“-Redaktion (Hainburger Straße) ist übrigens ein Pokémon-Gym, wo man trainieren kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

FILES-JAPAN-US-IT-NINTENDO-POKEMON-LIFESTYLE
Tech

Die Welt ist im "Pokémon"-Fieber

Das Smartphone-Spiel "Pokémon Go" ist auf Erfolgskurs. Dafür gibt es mannigfaltige Gründe – für Jung und Alt. Ein Ausflug in eine magische neue Welt, die sich durchaus lohnt.
Recht allgemein

"Pokémon Go": Der Jäger wird zum Gejagten

Wer die Onlinemonster sammelt, muss viele Daten preis- und Einverständniserklärungen abgeben. Das könnte rechtswidrig sein. Brisant ist, dass Daten aus der virtuellen und der realen Welt miteinander verknüpft werden können.
Pokémon-Go-Spieler in Sydney.
Weltjournal

Pokémon Go: Fans machen selbst vor Minenfeldern nicht Halt

Bereits kurz nach dem Start der Augmented Reality App sind Alt und Jung dem Pokémon-Go-Wahnsinn verfallen. Behörden reagieren mit Verhaftungen und Verboten.
Tech

Pokémon Go verbucht bereits 75 Millionen Downloads

Das Smartphone-Spiel, das erst Anfang Juli an den Start ging, dürfte wohl bald die 100-Millionen-Marke durchbrechen.
July 22 2016 Tokyo Japan A shop selling Pokemon goods in Tokyo Japan July 22 2016 The Japan
Geldanlage

Enttäuschung durch "Pokémon Go": Nintendo-Aktien stürzen ab

Das Handyspiel werde nur einen begrenztem Einfluss auf die Geschäftszahlen haben, teilte Nintendo mit. Daraufhin gab es den größten Tagesverlust seit fast 26 Jahren.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.