Kafkas Frauen in der Wollzeile

Veronika Glatzner in der verlassenen Wohnung in der Wollzeile, die für ihr Stück „K.s Frauen“ in mehreren Räumen bespielt wird.
Veronika Glatzner in der verlassenen Wohnung in der Wollzeile, die für ihr Stück „K.s Frauen“ in mehreren Räumen bespielt wird.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Veronika Glatzner macht mit Theater auf Leerstand aufmerksam – und erforscht in einer verlassenen Wohnung die Frauen aus Kafkas „Prozess“.

Hals über Kopf hat die alte Dame die Wohnung verlassen. Das Klavier ist noch da, Gurkengläser stehen im Vorratsschrank, auf dem Schreibtisch im Schlafzimmer liegt ein Heft, in das jemand in altmodischer Schreibschrift Gedichte geschrieben hat, Goethes „Rettung“, daneben alte Fotos: ein junges Mädchen neben einem VW-Käfer, das Café Diglas im Hintergrund. Seit einem Jahr steht die Wohnung in der Wollzeile leer. Schon lang davor dürfte hier die Zeit stillgestanden sein. Einem Perserteppich aus Plastik fehlen Ecken, die Türstöcke sind abgeschlagen, der Parkettboden ist bleich und rissig. Auf einem Servierwagen stapeln sich alte Dokumente: ein Soldschein aus dem Zweiten Weltkrieg, ein Formular der Reichsversicherungsanstalt, ein Taufschein aus der Monarchie. Man könnte all die Dinge für Requisiten halten, würde Veronika Glatzner nicht versichern, dass sie all das hier so vorgefunden hat, nur ein größeres Durcheinander sei es gewesen. Und dann ist das Haus auch noch voller Rechtsanwaltskanzleien . . . „Was sehr gut passt, weil K. ja mehrmals zu seinen Advokaten geht.“

Veronika Glatzner ist müde, sie hat wenig geschlafen – das Stück über die Frauen in Kafkas „Prozess“, das kommende Woche in der Wohnung in der Wollzeile Premiere hat, ist ihre erste Regiearbeit. „Ich habe das Gefühl, dass ich als Regisseurin alles zusammenhalten muss. Ich kenne das ja: dass man sich als Schauspieler wünscht, dass die Regisseure wissen, was sie wollen.“ Hauptsächlich, sagt Glatzner, sei sie ja Schauspielerin. Das hier sei „ein Regieexkurs, ein Versuch“. Es ist das zweite Projekt von Tempora, ihrem „Verein für vorübergehende Kunst“. Vorübergehend deshalb, weil dabei leer stehende Räume bespielt werden – nicht zuletzt, um damit tatsächlich auch auf den Leerstand in der Stadt zu verweisen.

Ihn zu nutzen sei schwieriger als gedacht. „Leerstand ist zwar in aller Munde, aber selbst, wenn man schon eine Förderung hat, ist es schwer, eine Immobilie zu finden.“ Löbliche Ausnahme: Die Immobilienfirma Conwert zeigte sich tatkräftig interessiert und hat die auf Renovierung wartende Wohnung zur Verfügung gestellt. Gern, sagt Glatzner, hätte sie ja auch einen weniger belebten Bezirk bespielt. In ihrem ersten Tempora-Projekt waren es (leere wie betriebene) Geschäftslokale, in denen ihr Stationentheater gastierte. Damals spielte sie noch selbst mit. Diesmal hingegen befand sie, das Stück nicht aus der Hand geben zu können, „weil es ja in meinem Kopf entstanden ist“. Wegen ihrer Faszination für Kafka – und für die Frauenfiguren im „Prozess“. „Ich hatte immer den Eindruck, dass sie viel zu eindimensional geschildert werden.“ Dass sich die Literaturwissenschaft mit der Perspektive des Protagonisten K. zufrieden gebe – „mit der Frau als Sexobjekt, Hure oder Mutterfigur“.

Modernes Fräulein Bürstner

Dabei sei es durchaus möglich, etwas über die Frauen zu erfahren, „was außerhalb der männlichen Interpretation liegt“. Etwa über das Fräulein Bürstner, „das für K. begehrenswert wird, weil sie sich seiner Logik widersetzt und Konventionen sprengt“. Man müsse sich aber keinen literaturwissenschaftlichen Abend erwarten, beruhigt Glatzner, „es wird hoffentlich sehr sinnlich sein“. Wiewohl sie auf reges Interesse von Kafka-Kennern hofft. „Das Tolle an Kafka ist ja, dass man so viel interpretieren kann und darf und soll.“

Ansprüche auf Vollständigkeit sollte man im Windfang der Wohnung aber vermutlich abgeben. Szenen werden verdoppelt, die vier Darstellerinnen wechseln die Rollen, einige Monologe gibt es dafür im Loop. Was eigentlich auch wieder gut zu Kafka passt. „Für mich“, sagt Glatzner, „ist er einer der Autoren, die die Widersprüche des Lebens und das Fremdsein in der Welt am deutlichsten beschreiben.“

ZUR PERSON

Veronika Glatzner hat in Wien Schauspiel studiert, war am Wiener und Grazer Schauspielhaus engagiert. Mit ihrem Verein Tempora realisiert sie Projekte junger Autoren, Schauspieler und Regisseure in leer stehenden Räumen – für „onDisplay“ nutzte sie Geschäftslokale. „K.s Frauen“ widmet sich den Frauen aus Kafkas „Prozess“. Premiere: 15. September, Reservierung (maximal 20 Besucher pro Vorstellung): 0676/601 78 61, reservierung.tempora@gmail.com.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2016)

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