"Vielen fehlt Empathie": Plakate für die Toten von Parndorf

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Christian Marczik und Emil Gruber erinnern an die Toten des Kühl-Lkw: Mit 71 Namen auf dem Kunsthaus Graz - und auf 1000 Plakaten in der ganzen Stadt.

Es sei, sagt Emil Gruber, gar nicht leicht gewesen, die Namen herauszufinden. Verschiedenste Vorstöße habe man unternommen, es bei Behörden, Politik und Staatsanwaltschaft versucht. „Überall sind wir gescheitert“, aus Datenschutzgründen, wie es hieß. „Dabei wollten wir ja nur die Vornamen haben.“

Die Vornamen, befanden die beiden Künstler Christian Marczik und Emil Gruber, die seien wichtig: Um aus einer anonymen Masse wieder Menschen zu machen, mit einer Geschichte, Familie, einem Leben. 71 Tote waren es, die vor einem Jahr, an einem sonnigen Sommertag Ende August, auf der A4 bei Parndorf in einem Kühl-Lkw gefunden wurden. Wobei die anonyme Masse auch grotesk wörtlich zu verstehen ist. Nach drei Tagen bei Temperaturen von bis zu 80 Grad waren die Körper quasi miteinander verschmolzen. Das Schlimmste, was sie je gesehen hätten, sagten später Gerichtsmediziner.

Wie wichtig, sagt Gruber, sei das damals allen erschienen, „und wie schnell ist es dann doch wieder aus den Medien verschwunden“. Weshalb die beiden Grazer Künstler die Toten nun noch einmal in Erinnerung rufen wollen. 1000 Plakate mit den Vornamen der Menschen werden ab heute im Grazer Stadtgebiet hängen. Oft im Zweier-, manchmal auch im Viererblock, „damit nicht irgendeine idiotische Werbung drüberhängt“. Die zuständige Firma habe versprochen, „dass wir sehr zentrale Räume kriegen. Damit das Thema durch die Mehrfachwahrnehmung in die Köpfe schießt und einfach wieder bewusst wird.“

Youssef und Lefana

Auch das Grazer Kunsthaus zeigt Interesse an dem Projekt. So wird es heute Abend im Foyer des Hauses einen stillen Gedenkakt geben, von 20 Uhr bis Mitternacht laufen dann die Namen über die BIX-Medienfassade der „blauen Blase“: Die 930 Leuchtstofflampen, die in grober Auflösung Texte, Bilder und Filme zeigen können, werden dann an Youssef und Ayman, Lefana und Almuthanna erinnern.

Als dritten Teil des Projekts hat der Künstler Josef Schützenhöfer von dem mittlerweile ikonenhaften Foto des Lkw einer slowakischen Masthuhnfirma ein Bild gemalt, das im Kunsthaus ausgestellt ist – und an dem sich Besucher mittels Filzstift mit Texten und Zeichnungen selbst beteiligen können.Dass man gar nie mehr als die Vornamen der 71 Toten zeigen wollte, hat einen Grund: Sie sollten, sagen Marczik und Gruber, ein Pars pro Toto sein.

Etwa für jene geschätzte Million an Toten, die aus Zentralafrika kommend in der Sahara gestorben sind, ohne je auch nur das Mittelmeer zu erreichen. Es gehe aber nicht nur um Flüchtlinge, sondern generell um Empathie: Um das Bewusstsein dafür, „dass jeder Mensch ein Individuum ist“. Dieses Bewusstsein, glaubt Gruber, sei in den letzten Jahren in erschreckendem Maß verloren gegangen. „Aber die Tragödie von Parndorf hat selbst jene berührt, die sonst schon nach Napalm rufen.“

Seit fünf Jahren arbeitet Gruber mit Christian Marczik in dessen Verein Intro-Graz-Spection, einem Urgestein der lokalen Szene: Letztes Jahr hat man mit einem großen Künstlerfest das 25-Jahr-Jubiläum gefeiert. 1989 mit Werner Schwab und Wolfgang Gärber gegründet, inszeniert der Verein Projekte an ungewöhnlichen Orten, oft mit deklariert politischem Ziel. Mehr als 100 Projekte hat man seither verwirklicht. Die Urbanen Kunstpiloten brachten Kulturprojekte in die 17 Bezirke, die Murpiraten erkundeten den Fluss, beim Kunsttaxi wurden 2003 normale Taxis zur fahrenden Galerie.

Was soll „Memento 71“ nun bewirken? Man müsse, sagt Gruber, „nicht rund um die Uhr betroffen sein“. Aber die Fähigkeit zur Empathie, die brauche die Gesellschaft, „auch in der Familie, in der Partnerschaft“. Die 70 Namen (ein Toter ist bis heute nicht identifiziert) haben sie übrigens am Ende bekommen – die Quelle bleibt anonym.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2016)

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