Lili Epply: Loslassen und Fliegen

Avantgarde. Lili Epply trägt ein Kleid von Wendy & Jim.
Avantgarde. Lili Epply trägt ein Kleid von Wendy & Jim.(c) Elsa Okazaki
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Lili Epply, bald in ihrer ersten großen Kinorolle zu sehen, über ihre Liebe zum Imperfekten.

Lili Epply hat zum Interview ihre Lieblingsschuhe angezogen. In schwarzen, schuppigen Lederstiefeletten sitzt sie an einem Fensterplatz im Café des Topkinos, einem ihrer Lieblingslokale, und trinkt Espresso. „Mit den Schuhen hatte ich meistens eine gute Zeit“, sagt die 21-Jährige. Dass sie schon ein wenig abgetragen aussehen, macht ihr nichts. „Die dürfen ruhig Geschichte haben.“ In denselben Schuhen ist sie zu den Vorsprechen gefahren, als sie sich an Schauspielschulen bewarb, in diesen Stiefeln war sie auch beim Casting für „Mein Fleisch und Blut“, einen österreichischen Thriller, der demnächst ins Kino kommt und in dem sie eine der Hauptrollen spielt.


Es ist eine ziemlich ambivalente Rolle: Im Kinodebüt von Michael Ramsauer bekommt ein Ehepaar (Ursula Strauss und Andreas Kiendl), das mit seinem adoptierten autistischen Sohn Tobias in einem hübschen Vorstadthaus lebt, neue Nachbarn. Als Nicole stellt sich die fröhliche junge Frau (Epply) vor, die mit ihrem Freund im Nebenhaus eingezogen ist, und baut gleich eine gute Beziehung zu Tobias auf, der seit ihrem Erscheinen ungeahnte Entwicklungsschritte macht. Doch irgendetwas scheint nicht zu stimmen mit der jungen Frau, die auffallend beharrlich die Nähe von Tobias sucht. Nach und nach wird aufgedeckt, warum, und welches dunkle Geheimnis, das bis in die Kindheit der jungen Frau zurückreicht, dahintersteckt.

Lili Epply in einem Jumpsuit aus der Angewandte-Diplomkollektion von Caroline Pretterebner.
Lili Epply in einem Jumpsuit aus der Angewandte-Diplomkollektion von Caroline Pretterebner.(c) Elsa Okazaki

Epply war von dem Drehbuch und der Rolle so beeindruckt, dass sie sich lieber keine zu großen Hoffnungen machen wollte, als sie – in den schwarzen Stiefeln – zum Casting erschien. Sie hatte damals gerade das erste Semester am Schauspielinstitut des Salzburger Mozarteums abgeschlossen (nun ist sie im dritten Jahr), ihre Chancen, die Rolle zu bekommen, schätzte sie nicht allzu groß ein. „Ich habe versucht, einfach diesen Moment, in dem ich in die Rolle eintauchen durfte, zu genießen. Ich durfte dieser Figur begegnen – und dann würde eben etwas passieren oder auch nicht.“

Es passierte, Epply bekam die Rolle. Wie versetzt man sich in so eine Figur hinein? „Es fällt mir schwer, von außen über sie zu sprechen“, sagt Epply. „Ich habe immer versucht, von innen heraus zu arbeiten. Sie tut viel, was den Menschen in ihrer Umgebung Schaden zufügt. Man kann darüber diskutieren, wie sehr sie das plant oder nicht. Man ist immer eingebettet in seine Umstände und seine Lebensgeschichte. Bei ihr gab es noch dazu eine lange Phase, in der sie von der Welt abgeschirmt war. Nun begegnet sie erstmals wieder Menschen. Dieser Fremdheit muss man auch standhalten – darüber habe ich mir viele Gedanken gemacht.“ Epply habe sich auch mit dem Krankheitsbild Borderline befasst, das auf die Figur zutreffe, auch wenn es im Film nicht aufgelöst wird: „Von einer Sekunde auf die andere ist alles anders. Man geht durch Extreme. Das ist der Ausgangspunkt dieser Rolle. Es kämpfen so viele Emotionen in ihr.“

Lili Epply trägt ein Kleid von Wendy & Jim.
Lili Epply trägt ein Kleid von Wendy & Jim.(c) Elsa Okazaki

Im Schnee mit 007. Für den Zuschauer baut sich die Figur der Nicole langsam auf, Szene für Szene erfährt man, wie sie tickt und was sie zu dem Menschen gemacht hat, der sie ist – und der das Leben der jungen Familie auf unheimliche Art aus der Bahn wirft. Beim Spielen habe sie versucht, all das aus dem Hinterkopf zu bekommen und die Rolle einfach passieren zu lassen, erzählt Epply: „Juliette Binoche hat einmal gesagt, dass man die ganze Vorbereitung verbrennt und dann fliegt. Das finde ich total schön. Wenn man das immer im Kopf hat, wird man nicht frei.“ Ganz einfach gefallen sei ihr dieses Loslassen allerdings nicht: „Ich bin schon ein Kontrollfreak. Aber sobald ich in der Maske bin, beginnt die Verwandlung: Da versuche ich, meinen Kopf leer zu bekommen und der Situation einfach zu begegnen.“

Noch liest sich die Filmografie der jungen Schauspielerin, die in Wien als Tochter kunstsinniger Eltern aufgewachsen ist, kurz, eine Rolle in einer beachtlich großen internationalen Produktion war aber schon dabei: Im jüngsten James-Bond-Film „Spectre“. „Man glaubt fast nicht, dass ich dabei war, weil der Moment, in dem man mich sieht, so leicht zu übersehen ist. Im in Österreich gedrehten Teil gibt es diesen Snowboarder-Part. Da versteckt sich Q in der Gondel, und ich als Snowboarderin stehe da in der Mitte. Das ist ganz schnell geschnitten – aber man sieht mich: Es gibt einen Schwenk über meinen Kopf runter auf die beiden Bösewichte.“ Man würde die Snowboarder dann auch auf der Piste fahren sehen, fügt Epply hinzu, aber das seien Statisten: „Ich kann nämlich kaum snowboarden.“

Für den kurzen Einsatz verbrachte Epply eine ganze Woche in Sölden – da merke man, wie viel Budget so eine Produktion habe, meint sie. „Es ist viel entspannter, als man vermuten würde“, sagt sie über die Dreharbeiten. Regisseur Sam Mendes sei „echt lässig“, auf dem Set musste man vor allem warten: „Die ganze Zeit hieß es: In fünf Minuten geht es los.“ Einblick in das Drehbuch des 007-Films bekam sie allerdings nicht: Alles große Geheimhaltung.

Schuhe von Rani Bageria zu einem Cape von Wendy & Jim.
Schuhe von Rani Bageria zu einem Cape von Wendy & Jim.(c) Elsa Okazaki

Inzwischen wächst ihre Rollenliste stetig an: Für den ORF spielt sie im prominent besetzten Zweiteiler „Das Sacher“ von Robert Dornhelm mit. Die Premiere ist für den Jahreswechsel angekündigt, Epply verkörpert ein Zimmermädchen, das von einem adeligen Gast (Josefine Preuß) als Zofe abgeworben wird. „Durch die Entscheidung, mit ihr zu gehen, entscheidet sich meine Figur auch gegen das Leben, das sie kennt, und gegen die Nähe zu ihrem Freund.“ In einem weiteren Historien-Fernsehfilm – dem aufwendigen Dreiteiler „Maximilian“ von Andreas Prochaska – spielt sie die Geliebte des österreichischen Thronfolgers Maximilian I., der auf Geheiß seines Vaters, des Kaisers Friedrich III. (Tobias Moretti), Maria von Burgund heiraten soll. „Es geht darin auch um die Übermacht der Zeit“, sagt Epply. „In einem anderen Leben, zu einer anderen Zeit wäre die Beziehung zwischen den beiden möglich gewesen. Meine Figur kämpft daher auch gegen die eigenen Lebensumstände.“ Als Nächstes dreht Epply ein paar Folgen von „Schnell ermittelt“ – sie sei in einen Mord involviert, viel mehr darf sie nicht verraten – und danach ein Biopic von Reinhold Bilgeri über Erik(a) Schinegger: Epply spielt dabei die Jugendliebe der späteren Skiweltmeisterin, die, wie sich herausstellen würde, eigentlich ein Mann war.

Ein dramatisches Kind. Viel zu tun für die junge Schauspielerin, die erst Tänzerin werden wollte. Sie tanzte, seit sie sechs Jahre alt war, absolvierte eine Ausbildung an der Staatsoper, besuchte den Tanzzweig am Gymnasium. „Wenn ich jetzt darüber nachdenke, war ich schon ein dramatisches Kind. Ich habe mir viele Geschichten ausgedacht, mich gern verkleidet, manchmal auch zum Leidwesen meiner Eltern.“ Der Ruf des Theaters ereilte sie mit 15 Jahren, als sie an der Jungen Burg mit Schauspiel begann. „Im klassischen Ballett gibt es ein klares Ideal. Ich habe körperlich nicht wirklich die Anforderungen erfüllt. Ich habe das Tanzen geliebt, aber irgendwann wollte ich schauen: Was kann ich mit dem machen, was ich habe?“, sagt Epply. Und fügt hinzu: „Das ist das große Glück beim Schauspielen: Du arbeitest mit allem, was du hast, auch mit dem Nichtperfekten. Du siehst einen ganzen Menschen.“

Tipp

„Mein Fleisch und Blut“. Ein Psychothriller von Michael Ramsauer, mit Andreas Kiendl, Ursula Strauss, Lili Epply, Wolfgang Rauh, Hary Prinz, Nikolai Klinkosch u. a. Ab 30. September im Kino. meinfleischundblut.at

Info

Kunstwelten. Fotografiert wurde Lili ­Epply in der Ausstellung „OFF IS“, kuratiert von Angela Stief. Zu sehen sind hier Arbeiten von Sofia Goscinski, Renate Bertlmann, ­Michael Strasser und Kris Lemsalu. „OFF IS“ läuft noch bis 7. Oktober, Traungasse 12, 1030 Wien. www.off-is.com

Produktion und Fotos: Elsa Okazaki. Styling: Max Märzinger/Monika Leuthner booking. Make Up & Hair: Nelly Gschwandtner. Danke an OFF-IS.

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