Grenzfurthner: „Die Welt wird von Nerds gemacht“

 Johannes Grenzfurthner
Johannes Grenzfurthner(c) monochrom.at
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Monochrom-Künstler Johannes Grenzfurthner hat seinen persönlichen Weg durch die Nerd-Kultur verfilmt – die er inzwischen durchaus kritisch sieht.

Mit welcher Frage man einsteigen müsste, um sich nicht gleich als jemand zu outen, der von Nerd-Kultur keine Ahnung hat? „Gute Frage, meint Johannes Grenzfurthner. „Das hängt davon ab, wie positiv oder negativ man Nerds sieht – und wir hier bei Monochrom sind ja alle bis zu einem gewissen Grad selbst Nerds, wir kommen aus einer gewissen Zeit und haben ein gewisses Selbstverständnis.“ Und zwar unabhängig davon, „ob man von Textadventures oder Computerspielen kommt, oder sich für Vogeleier oder Muschelsammeln interessiert.“

Dass Grenzfurthner Dinge für kultig hält, mit denen nicht jeder auf den ersten Blick etwas anzufangen weiß, zeigt schon ein Blick in das winzige Büro, das er mit seinem Kunst-Technologie-Philosophie-Kollektiv Monochrom im Wiener Museumsquartier bewohnt – und das beinahe überquillt vor Bildern, Zitaten, Figürchen und Artefakten. Grenzfurthners eigenes Leben als Nerd begann in Stockerau – 1975, dem gleichen Jahr, in dem der Begriff zum ersten Mal in der Popkultur verwendet wurde. Dort wuchs er mit dem Spitznamen UFO-Hannes auf, verschlang Wissenschafts- und Science-Fiction-Bücher, spielte Computerspiele und drehte noch als Kind mit Papas Videokamera die ersten Filme. „Man sucht verzweifelt Leute, die sich für die gleichen Dinge interessieren, und findet sie nicht.“

„Man fühlt sich missverstanden“

1988, mit 13, bekam er sein erstes Modem, wurde Teil der ersten Online-Generation. „Da habe ich natürlich Leute gefunden, die sich ebenfalls für obskure Sachen interessieren. Aber wenn sich die Leute dann gefunden haben, geht es immer gleich um die Frage: Wer weiß mehr? Wer hat mehr Plastikfiguren oder Vogeleier? Wer weiß mehr über ,Star Trek‘? Es hat immer gleich etwas Kompetitives.“

Diese Kultur durchaus auch kritisch zu sehen, sei für ihn Teil des Erwachsenwerdens gewesen. Er war 17, politisch und ein Punk – „und da sitzen dann die Punks und reden über Punkdinge, die Hacker über Hackerdinge und die Musiker über Musikdinge. Sie sind eigentlich alle Nerds und unterscheiden sich nur durch gewisse Spezifika in ihrer Lebenswelt. Und dadurch, dass sich manche Sachen besser verkaufen lassen.“ Wer gut Gitarre spielt, wird eher Ruhm erlangen als jemand, der sich für japanische experimentelle Poesie interessiert. Und wer gut programmieren kann, hat eine Chance auf einen Job bei Google. Das sei für ihn, sagt Grenzfurthner, eine wichtige Erkenntnis gewesen. „Dass man auch als Outsider schnell dominant wird. Leute aus meiner Generation haben Google gegründet und sind die Herren der Welt, weil sie alles definieren, was unsere Informationsgegenwart betrifft. Aber es ist eine Kultur, wo man sich missverstanden fühlt und sich in einer eigenen Welt verliert. Und diese Menschen bauen jetzt die Welt.“

Bestes Beispiel? Facebook. „Bei der Bundespräsidentenwahl wurde jemand, der Hofer wählen wollte, auf Facebook mit Van-der-Bellen-Infos gar nicht konfrontiert. Jeder glaubt, die Welt schaut so aus, wie das, was er auf Facebook sieht, aber das tut sie nicht. Aber man hört nur, was man hören will. Die Welt ist schon nerdifiziert.“ Für ihn sei es wichtig gewesen, „mich da am Krawattl zu packen, rauszuziehen und über den Tellerrand zu schauen“. Heute nennt sich der Niederösterreicher denn auch lieber Künstler und Researcher als Nerd – „auch wenn ich von meiner Grundeigenschaft her noch immer einer bin: ein Fan. Ich kenne dieses bizarre Sich-auf-ein-Thema-stürzen.“

Genregerecht schräg mutet denn auch der Film an, den Grenzfurthner zu seinem 40. Geburtstag gedreht hat, und der derzeit im Kino läuft. „Traceroute“ sei „eine emotional und einfach erzählte Geschichte der Informationsgegenwart anhand meines eigenen Lebens erzählt.“ Er beginnt mit den alten Videos seiner Kindheit, die er im Kleiderschrank der Eltern ausgegraben hat, und mündet in einen Roadtrip durch die USA, um mit prägenden Leuten über die Geschehnisse der vergangenen vier Jahrzehnte zu sprechen. Er trifft dabei „verwandte Geister“, mit denen er seit Jahren zusammenarbeitet, Autoren und Tüftler, Sammler, Spinner und Helden wie Matt Winston, den Sohn des Special-Effects-Künstlers Stan Winston („Terminator“, „Jurassic Park“). Er besucht Filmschauplätze und Sperrgebiete, spürt Aliens und Dinosauriern, Meteoriten und Raketen nach – und transportiert dabei viel von dem, was es auch heißt, ein Nerd zu sein: voller Neugier und Begeisterung.

ZUR PERSON

Johannes Grenzfurthner wurde 1975 geboren und wuchs in Stockerau auf. 1993 gründete er ein Magazin für Musik und Netzkultur, daraus entstand das Kunst-Technologie-Philosophie-Kollektiv Monochrom. Er arbeitet u. a. mit Film, Musical oder Puppentheater. Science-Fiction-Autor Cory Doctorow nennt ihn „einen brillanten Irren von unerreichter und wunderbarer Verrücktheit.“ Die Doku „Traceroute“ läuft noch bis Donnerstag im Topkino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2016)

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