Woher haben wir Menschen nur unseren Hang zu Gewalt?

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Themenbild(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Eine Geschichte innerartlicher Aggressivität sieht die Wurzeln in unseren Ahnen, frühen Primaten. Sehr überzeugend ist das nicht.

Sogar Tiere, denen man nicht die mindeste Aggressivität zutrauen würde, können einander töten, Giraffen etwa, eine Natur-Doku zeigte es in quälender Dauer: Da kämpfen zwei Männchen, sie stehen einander gegenüber, der eine holt aus mit seinem langen Hals und haut mit dem Schädel, dann kommt der andere an die Reihe. So geht das minutenlang, die Felle sind zerfetzt und voll Blut, endlich wird einer zu Boden gefällt. Aber noch hat er Kraft, er schlägt von dort aus zurück, so hart, dass der andere tot umfällt.

Oder Erdmännchen, sie leben sozial, in Gruppen, die von Weibchen geführt werden. Werden die trächtig, vertreiben sie die anderen Weibchen und beißen ihre Jungen tot, auch mörderischen Streit um Futter gibt es: Bei diesen Tieren findet jedes fünfte einen gewaltsamen Tod durch Angehörige der eigenen Art. So etwas gibt es sonst im Tierreich nicht, und so etwas richtet nicht einmal der an, dessen Aggressivität wohlbekannt ist, der Mensch, er ist – außer dem Schimpansen – der Einzige, der auch in organisierten Raubzügen und Kriegen über Nachbarn herfällt.

Wo die zwischengesellschaftliche Gewalt herkommt, und die innergesellschaftliche auch, ist eine ungelöste Frage: Thomas Hobbes sah sie im 17. Jahrhundert als Teil der menschlichen Natur – unser Leben sei ein Kampf von jedem gegen jeden, uniuscuiusque contra unumquemque –, Einhalt gebieten könne nur eine zentrale Ordnungsmacht, die die Gewalt monopolisiert, der „Leviathan“. Die Gegenposition lieferte später Rousseau: Für ihn war der Mensch von Natur aus gutmütig und durch die Gesellschaft pervertiert, vor allem auch durch das Eigentum.

Das bislang letzte Wort stammt vom Psychologen Steven Pinker: Er sieht die Gewalt im ständigen Rückzug – in relativen Zahlen: Zu Zeiten der Jäger und Sammler seien 15 Prozent Opfer geworden, heute sind es 3,5 Prozent durch Kriege und ein Prozent durch Verbrechen –, er rechnet das dem Vormarsch der Vernunft zu. Es ist umstritten, José Goméz (Granada) sucht einen neuen Weg (Nature 28. 9.): Er rekonstruiert eine Naturgeschichte der Gewalt und ordnet den Menschen ein. Dazu hat er zwei Jahre lang Daten von 1024 Säugetieren zusammengetragen: Es gibt gewaltfreie, Wale etwa, aber bei 40 Prozent der Arten kennt man Gewalt mit letalen Folgen, im Durchschnitt kommen 0,3 Prozent so zu Tode, es variiert stark, nach der Lebensweise: Ist sie sozial und zudem an Territorien gebunden, ist die Gewalt hoch.

Und am höchsten ist sie – Ausnahme Erdmännchen – in der Ordnung, in die wir uns einreihen, bei den Primaten: Zu Beginn fielen 2,3 Prozent innerartlicher Gewalt zum Opfer, dann sank die Quote leicht, daraus berechnet Goméz für frühe Menschen erwartbare 2,0.

Domestizierte Hobbes' Leviathan?

Den Wert findet er in Zeugnissen unserer Geschichte bestätigt, es begann mit 2,0, schwankte auf und ab, stieg vor allem im Mittelalter – auf 18 –, sank schließlich stetig, heute sind es wieder um die 2,0. Goméz hält das für das Verdienst des Leviathan. Den gibt es allerdings schon lang, der Rückgang der Gewalt – immer: in relativen Zahlen – hingegen zeigt sich erst seit dem 19. Jahrhundert.

Das ist nicht die einzige Schwäche, auch sonst erntet die Studie, trotz aller Bewunderung der breiten Datenbasis, eher Kritik. Die rührt daher, dass für Goméz alle Gewalt gleich zählt: Aber die im Tierreich ist von Rangkämpfen dominiert, und vor allem vom Infantizid – anders als bei Erdmännchen töten meist Männchen Junge, um die Mütter empfängnisbereit zu machen –, und den gibt es zwar in manchen Kulturen auch. Aber die spezifisch menschlichen Formen des Totschlags, der Kriege und Gewaltverbrechen haben wir nicht so einfach von Primatenarten ererbt, die haben wir schon selbst erfunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2016)

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