Stoff, aus dem Geschichten sind

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Zum 150-Jahr-Jubiläum von Wilhelm Jungmann & Neffe legt Chef Georg Gaugusch Band zwei seiner Geschichte des jüdischen Großbürgertums vor.

Ein Eigentümerwechsel im Jahr 1941 – das, dachte sich Georg Gaugusch, klinge doch ein wenig verdächtig. Inzwischen weiß er, dass damals alles wohl mit rechten Dingen zugegangen ist, als sein Urgroßvater das Stoffgeschäft Wilhelm Jungmann & Neffe hinter der Staatsoper übernahm. Die damalige Eigentümerin, Vera Dukes, sei als Witwe mit drei kleinen Kindern vor dem Konkurs gestanden, man sei auch nach dem Verkauf im besten Einvernehmen verblieben. Mittlerweile, sagt Gaugusch, wisse er auch, warum sich ihr Mann aus dem Fenster gestürzt hat.

Aber noch wolle er nicht alles verraten: Schließlich soll seine Recherche über das Unternehmen in einen Beitrag zur Ausstellung münden, die das Jüdische Museum im kommenden Frühling zum Thema Kaufhäuser plant. Die Anfrage sei ganz gelegen gekommen. Nach gut 20 Jahren im Unternehmen habe er Lust gehabt, sich die eigene Geschichte noch einmal näher anzuschauen. Dass man soeben mit 26 Kilo selbst gemachtem Gebäck das 150-Jahr-Jubiläum gefeiert hat, passt gut dazu. Am 2. November 1866 war Wilhelm Jungmann zum Wiener Handelsgericht gegangen, um seine Firma protokollieren zu lassen.

150 Jahre, sinniert Georg Gaugusch, das sei schon ungewöhnlich. „Die meisten Firmen überdauern eine Generation, bestenfalls zwei.“ Wenigen gelingt es, so unverändert zu bestehen. Bei Jungmann & Neffe ist allenfalls der Fokus von Stoffen für Damen- auf jene für Herrenmode geschwenkt. Das Inventar wurde nie verschandelt. Seine Großmutter habe kein Interesse an Umgestaltung gehabt, seine Mutter auf entsprechende Einflüsterer, die ihr „finsteres Loch“ in Zeiten des Resopal kritisierten, nie gehört. So wurde nur behutsam renoviert, erst vor wenigen Jahren wurden die letzten Kriegsschäden beseitigt – und die goldenen Gitter unter den Fenstern nachgegossen. Sie entsprechen im Übrigen dem Fresko an der Decke: Als Geschäftslokal war Jungmann & Neffe immer schon eine Besonderheit, wurde es von Architekt Otto Hieser doch komplett im Stil der Gründerzeit durchdesignt.

Teil des Erfolgsrezepts scheint hier ohnehin zu sein, stets das Richtige zu verweigern: Er könne nicht 1500 Stoffe lagern, müsse sein Geld stattdessen für sich arbeiten lassen, habe ihm eine Bankberaterin einst einreden wollen, sagt Gaugusch. Dabei sei gerade die große Auswahl an Stoffen wichtig. Seit der Finanzkrise ist davon keine Rede mehr. Man ist auch nie auf Konfektion umgestiegen, verkauft nicht online („zu kleine Serien“) und verweigert den Handel mit „Brands“, das habe in Wien vielen das Genick gebrochen, als die großen Marken mit eigenen Geschäften folgten. Außerdem, so Gaugusch, sei ohnehin zunehmend ein Bedürfnis nach Dingen zu spüren, „die man eben nicht immer und überall bekommt“.

„Wer einmal war“

Viel kann Gaugusch sagen über engagiertes Unternehmertum und dessen Hürden in Österreich. Daneben ist er über die Geschichte der Kunden von Jungmann & Neffe auch zum Historiker geworden. Er sei so oft nach den Todescos und Epsteins gefragt worden (deren Aufträge samt Stoffmustern in den alten Auftragsbüchern bis heute griffbereit sind), dass er sich daran gemacht habe, die Antwort in einem Buch zu geben. Auch, um das Klischee der „jüdischen Spekulanten aus dem Osten“ zu wiederlegen, das bis heute wirke. Über die Erforschung der jüdischen Familien hat Gaugusch auch seine Frau kennengelernt. Die Historikerin Marie-Theres Arnbom hat sich auf Operettengeschichte spezialisiert und arbeitet mit ihm im Geschäft.

Hier wird Ende November auch Gauguschs jüngstes Werk präsentiert: „Wer einmal war“. Beginnend bei Abeles umfasste der erste Band 2011 Familiennamen des Jüdischen Großbürgertums von A bis K – und ging an die Grenzen dessen, wie dick ein Buch sein kann. Inzwischen erkundige sich dreimal die Woche jemand nach Band zwei. Der ist nun fertig, aber wieder hat Gaugusch nicht alle Buchstaben untergebracht: „Es gibt also noch Teil drei.“

AUF EINEN BLICK

Wilhelm Jungmann & Neffe wurde 1866 am Rudolfsplatz gegründet und zog 1881 auf den Albertinaplatz 3, neben dem Sacher. Georg Gauguschs Vorfahren übernahmen in den 1940ern. Verkauft werden Stoffe v. a. aus England, Schottland und Italien. „Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938, L–R“ (Amalthea) wird am 24. Nov. um 19 Uhr im Geschäft präsentiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2016)

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