Elisabeth Waltz-Urbancic: „Es war ein Blick in die Welt hinaus“

Elisabeth Waltz-Urbancic in ihrem Elternhaus in Grinzing, in dem die 91-Jährige heute lebt.
Elisabeth Waltz-Urbancic in ihrem Elternhaus in Grinzing, in dem die 91-Jährige heute lebt.(c) Die Presse/Clemens Fabry
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Fast fünf Jahrzehnte lang war Elisabeth Waltz-Urbancic Bühnenbildnerin für Theater, Film und Fernsehen. Jetzt hat sie ihre Erinnerungen aufgeschrieben.

Man hat das Gefühl, die einzige Konstante in Ihrem Leben war das Haus hier in Grinzing.

Elisabeth Waltz-Urbancic: Ja. Ich bin von hier sehr jung weggegangen, mit 22, und bin vor zehn, 15 Jahren zurückgekehrt. Meinen Alterssitz habe ich zu Hause. Und auch für meine Kinder und Enkel ist das die Konstante, weil sie auf der ganzen Welt verstreut sind. Alle treffen sich hie und da wieder in Grinzing.

Wie lang ist das Haus in Familienbesitz?

Nicht so lang. Meine Mutter hat es 1927 gekauft, da war ich zwei Jahre alt. Aber ich kenne die Familie, die vorher hier gewohnt hat. Ich weiß nicht, ob Ihnen Bruder David Steindl-Rast etwas sagt, ein Benediktinermönch. Dessen Großmutter war die Besitzerin. Sein Großvater hat im Garten eine kleine Kapelle gebaut, die noch da steht. Er war unlängst einmal da und hat mir das erzählt.


Sie sind früh weggegangen – aus Neugier, oder war es eine Flucht aus Wien?

Beides. Vor allem war Paris, zu der Zeit, als ich das Stipendium bekommen habe, die Kunstmetropole. Das kann man heute nicht mehr nachvollziehen. Ich bin dann nach Deutschland gegangen, da hat man mich angeschaut, als ob ich vom Mond käme, weil ich das Glück gehabt habe, in Paris zu sein. So habe ich meinen Job in München bekommen, bei einem der damals besten jungen modernen Bühnenbildner, dem Wolfgang Znamenacek.


Bühnenbild ist die zweite Konstante, dabei wollten Sie es gar nicht machen.

Eigentlich nicht, ich bin da so hineingeschlittert, und dann war ich heilfroh und hab meinen Beruf wirklich mit Freunde und Leidenschaft ausgeübt. Aber am Anfang wollte ich nicht hinein.

Weil Sie insgeheim doch gern Schauspielerin geworden wären?

Ja, das war mit 16, 17, und es ist eben nicht geglückt. Aber ich war auch wirklich nicht dafür bestimmt, sonst hätte ich mich mehr dahintergesetzt. Ich hab eine Absage bekommen, oder eine nicht so begeisterte Zusage, und damit war's für mich erledigt. Ich wollte Buchillustration oder Karikaturen machen, für reine Malerei hab ich mich zu wenig begabt gefühlt. Und dann bin ich in diesen Beruf hineingekommen, und er hat mir viel Freude gemacht. Man hat damals immer gefragt: „Haben Sie nicht Schwierigkeiten, weil Sie eine Frau sind?“ Ich hab geantwortet: „Nein, wenn ein Mann genommen wird, war er halt besser als ich.“ Ich hab auch nie, nie, nie das Gefühl gehabt, zurückgesetzt zu sein, wie es in anderen Berufen vorkommt.


Woher kam Ihr Selbstverständnis?

Das kann ich nicht sagen. Ich habe diese Emanzen immer lächerlich gefunden, für mich war es selbstverständlich. Dadurch, dass ich so früh verwitwet war, habe ich sehr schnell gelernt, selbstständig sein zu müssen. Aber ich hab auch vor meiner Heirat gearbeitet . . .

. . . und mit vier Kindern weitergemacht.

Ja, und Gott sei Dank, das wäre sonst schlecht gewesen. Der jüngste war fünf, als mein Mann starb. Viele Frauen, die wirklich nur Hausfrauen sind, fallen dann ja vollkommen in ein Loch. Ich habe auch immer meine eigenen Freunde gehabt, auch während der Ehe.


Ihre eigene Mutter war ein Burgtheater-Star.

Während der ganz großen Zeit meiner Mutter war ich ein Kind, aber ich kann mich schon erinnern, dass die Leute gesagt haben, da geht die Mayen, oder dass wir beim Bühnentürl hinten hinausgegangen sind, weil vorn die Autogrammjäger gestanden sind. Aber ich habe meine Mutter wenig gesehen. In der Volksschule haben die Kinder gesagt: „Heut geht meine Mutter weg, da hab ich frei!“ Ich hab mir gedacht, wenn meine Mutter nur endlich einmal zu Hause wär . . . Aber die Diskrepanz zwischen Beruf und Familie ist oft schwierig. Ich hab heute noch ein schlechtes Gewissen, dass ich mich, als meine Kinder klein waren, nicht genug gekümmert hab.


Ihr Vater kam aus einer ganz anderen Ecke.

Mein Vater hat Medizin gemacht und ist dann zur Psychoanalyse gekommen. Freud und die alle haben hier verkehrt. Er hat sich später von Freud abgewandt. Und als ich elf war, ist er nach Amerika gegangen. Nach dem Krieg ist er kurz auf Besuch gekommen, aber er war für mich ein Fremder. Keine Vaterfigur für mich, nicht im Geringsten. Ich habe ihn neugierig beobachtet, aber eine emotionale Bindung habe ich nicht gehabt.


Wie hat er das als Analytiker gesehen?

Als er zurückgekommen ist, hat er mich sofort nach meinem Liebesleben gefragt. Was halt so ein Psychoanalytiker machen muss. Dann hat er meinen späteren Mann kennengelernt und erzählt, er hätte mich verlobt, was zu dieser Zeit noch nicht gestimmt hat.


Fehlende Bindung war eher kein Thema?

Nein, das war nicht interessant. Er hat mir von seinen Fällen erzählt, aber nach meinem wirklichen Befinden hat er mich nicht gefragt.

Was halten Sie denn heute von der Psychoanalyse?

Ich hab mich nicht damit beschäftigt, weil ich es als junges Mädchen schwer abgelehnt habe. Ich hab einige seiner Bücher gelesen. Seine großen Ratschläge hat er in keiner Weise berücksichtigt.

Was haben Sie versucht, Ihren eigenen Kindern mitzugeben? Weltoffenheit?

Ja, und auch eine gewisse Religiosität, was nicht sehr gefruchtet hat. Was mich heute auch eigentlich bedrückt, ist, dass ich mich nicht genügend darum gekümmert hab. Die Buben sind ja zuerst ins Theresianum gegangen, was eine ziemlich schreckliche Zuchtanstalt war. Es war damals wie in einer Kaserne. Ich hab das erst später mitgekriegt.

Da ist Ihre eigene Schule, die Neulandschule, ja schon weiter gewesen.

Viel weiter. Die Neulandschule war eine sehr offen katholische Schule. Meine Religiosität war immer sehr ökumenisch orientiert. Als ich nach München gekommen bin, war ich erstaunt, wie engstirnig der bayrische Katholizismus war. Entsetzlich. In der Schule dort hat es drei Klassen gegeben, eine katholische, eine evangelische und eine Gemeinschaftsklasse. Wir haben die Kinder natürlich in letztere geschickt. Da hab ich Broschüren von der Pfarrei bekommen, primitivst gemacht, dass die Kinder in die Hölle kommen, wenn sie in diese Klasse gehen.

Über die Neulandschulverbindung sind Sie 1945 auch nach Alpbach gekommen.

Ich war in Tirol, vor den Russen geflüchtet, und bin nach Hall getrampt, wo ich gehamstert hab. Dort habe ich einen Professor aus der Schule getroffen, der zu den ersten Hochschulwochen eingeladen war und gemeint hat: „Komm doch mit, Otto und Fritz Molden sind doch auch in die Neulandschule gegangen.“ Otto war stinksauer. Nun muss man wissen, damals war die Verpflegung ein Riesenproblem. Ich kann mir schon vorstellen, dass der über jeden neuen Esser entsetzt war.

Wie war dieses erste Alpbach?

Ein lebensveränderndes Erlebnis. Wir waren eingeengt, bespitzelt von den Nazis, man hat nichts von den anderen gewusst. Plötzlich waren da Schweizer, Franzosen von der Besatzung und Amerikaner. Es war ein Blick in die Welt hinaus. Otto Molden wollte dieses Universitätswissen aufbrechen, wo nur ein Professor doziert. Wir hatten Arbeitskreise, sind auf einer Wiese um den Professor gesessen und haben diskutiert. Das waren wirklich offene Gespräche. Und dann war's natürlich auch wahnsinnig lustig. Die ersten zwei Alpbache waren umwerfend. Ich war nur bis 1950 jedes Jahr dort, dann war ich im Beruf und bin nur sporadisch zu Jubiläen gekommen: zum Zehn-Jahr- und zum 50-Jahr-Jubiläum. Jetzt war schon das 70-Jahr-Jubiläum. Schrecklich.


Was wurde aus Ihrem europäischen Traum?

Leider Gottes nicht gar so viel. Mit der EU hat er sich ja mehr oder weniger verwirklicht. Aber was da jetzt passiert, ist traurig, diese Streitereien. Die Flüchtlinge sind ein Problem, aber dass keiner bereit ist, auch nur eine gewisse Quote zu nehmen ist doch entsetzlich.


Zum Schluss muss ich Sie doch noch nach dem einen Ihrer vier Kinder fragen.

Natürlich, dem Christoph.

Wie war er so als Kind?

Ach Gott, ein lustiger und schlimmer Bub. Keine Besonderheiten. Er ist früh weggegangen. Er war noch nicht mit dem Seminar fertig, da hat er schon seinen ersten Film gedreht gehabt. Dann hat er seine Gage unter den Arm genommen und ist zu Lee Strasberg nach New York. Das andere steht im Internet.

Er gilt als recht spitzzüngig.

Ja. Vor allem ist er sehr schlagfertig. Mir fallen die guten Antworten immer erst einen Tag später ein. Er war immer schon sehr schnell.

Frau Waltz-Urbancic, darf man Sie fragen ...


1. . ., ob Sie immer auch Ihren Mädchennamen geführt haben?

Ja, ich hab immer zwei Namen gehabt. Ich hab schon unter Urbancic gearbeitet, bevor ich verheiratet war. Im Theater haben viele gar nicht gewusst, dass ich Waltz heiße. Die Leute vom Theater und meine Kinder nennen mich immer Cici – von Urbancic.

2. . ., ob Sie Quentin Tarantino getroffen haben?

Nein. Aber das Foto im Buch wollten sie unbedingt drinnen haben. Ob das Buch sich dann besser verkauft? Ich weiß es nicht.

3. . ., welche Wünsche Sie haben?

Dass es meinen Kindern gut geht und sie immer gut zusammenhalten. Sonst bin ich wunschlos glücklich. Ich bin dankbar, dass ich im Krieg aufgewachsen bin – weil ich gelernt habe, dass die Dinge nur Leihgaben sind. Ich bin froh mit dem Haus und dem Garten, aber wenn's pfutsch ist, ist es halt pfutsch. Aber natürlich muss man das Gefühl haben, von oben gehalten zu sein, sonst geht's nicht so gut.

Steckbrief

1925 wurde Elisabeth Waltz-Urbancic als Tochter der Schauspielerin Maria Mayen und des Psychoanalytikers Rudolf Urbantschitsch in Wien geboren.

Von 1944 bis 1948
studierte sie in der Akademie der Bildenden Künste in der Bühnenbildklasse von Emil Pirchan. Als Kostüm- und Bühnenbildnerin arbeitete sie v.a. in München für Theater, Fernsehen und Film („Im weißen Rößl“, „Das Wirtshaus im Spessart“).

1956 wurde ihr Sohn Christoph geboren, das dritte ihrer vier Kinder mit dem Bühnenbildner Johannes Waltz. Nach dessen Tod lebte sie mit dem Komponisten Alexander Steinbrecher, dem Stiefvater von Michael Haneke.

Am 17. Oktober wird ihr Buch „Vier Kinder und ein Zeichentisch“ mit Barbara Coudenhove-Kalergi um 19.30 Uhr in der Buchhandlung Kuppitsch präsentiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2016)

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