Yoga für Junkies und Gangster

Der Norweger Alex Medin hat seine Projekte vor Kurzem in Österreich vorgestellt.
Der Norweger Alex Medin hat seine Projekte vor Kurzem in Österreich vorgestellt.(c) Alex Medin
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Wie der frühere Boxer Alex Medin mit Schwerstkriminellen Yoga im Hochsicherheitstrakt praktiziert – und wie er Oslos Heroinsüchtigen hilft, von ihren Drogen loszukommen.

Yoga hat Alex Medin ins Gefängnis gebracht. So polemisch könnte man diese Geschichte beginnen, und, wenn Alex Medin von seiner Jugend als Kleinkrimineller in Oslo erzählt, dann wäre das auch nicht so abwegig. Heute geht Alex Medin als Lehrer in Gefängnisse – und verlässt diese auch wieder, wann es ihm gefällt. Aber von Anfang an.

Wenn Alex Medin mit sanfter Stimme, klarem Blick und der Ruhe eines Yogis lachend von seiner Jugend auf der schiefen Bahn erzählt, glaubt man ihm diese Geschichte beinahe nicht. Später wurde er Profiboxer, ging als Balletttänzer nach London und landete irgendwann auf einer Yogamatte. „Das ist es“, sagt er. Er ging nach Indien, studierte in Mysore bei Pattabhi Jois, dem wichtigsten Ashtanga-Yogalehrer der jüngeren Vergangenheit, wurde selbst etablierter Lehrer dieses Yogasystems, unterrichtete in aller Welt, gründete ein Yogazentrum in Norwegen – und stand irgendwann vor einem Problem.

Yoga, das ist im Westen, und in Wahrheit war es das auch in Indien immer, eine Sache der relativ Privilegierten. Medin hadert damit, auch mit den Auswüchsen der modernen Yogawelt – ein „Zirkus“, wie er sagt – und überlegte, wie er zu den Wurzeln der Lehre zurückfinden könne. „Man sollte sich darauf besinnen, Gutes zu tun und zu verbreiten“, sagt er – und das unabhängig davon, ob jemand teuren Unterricht zahlen kann. Und so ging er 2011 ins norwegische Ila-Gefängnis, um Langzeitinsassen zu unterrichten. Die Behörden waren kein Hindernis, „so lange es sie nichts kostet, geht das leicht“. Ila ist ein Hochsicherheitsgefängnis, in dem die gefährlichsten Verbrecher Norwegens sitzen – eine Zeit lang etwa Utoya-Massenmörder Anders Breivik.

Genau dorthin, zu denen, die lange Strafen absitzen, wollte Medin. „Man kann es sich leicht machen und sagen: Fuck you! Ihr habt eure Strafe verdient. Aber was bringt das? Irgendwann kommen die Leute heraus, dann fällt uns als Gesellschaft das auf den Kopf.“

Diese Schwerverbrecher hat er freilich nicht mit Om-Singen und ein paar Dehnungsübungen gekriegt – „Mein Claim war: Wie hart bist du wirklich?“ Er erzählt von den ersten Teilnehmern, „vier richtig schweren Kerlen, muskelbepackt, tätowiert, unter den ersten war der Chef der Norwegischen Bandidos“. Den Insassen war alles recht, um nur nicht in der Zelle sitzen zu müssen, so haben sie sich darauf eingelassen. „In Haft sind die Leute unglaublich angespannt.“ Einfache Übungen, um Körper und Atmung wahrzunehmen, hätten schon für den „Aaaaah-Effekt“ gereicht.

Schnell berichten Teilnehmer von Veränderungen: weniger Schlafstörungen, Aggressionen, weniger Frustration über das Einsitzen oder Konflikte untereinander. Die Gruppe wächst, 2014 startet Medin einen Intensivkurs im Sommer, schindet Teilnehmer mit täglicher Asana-Praxis, ergänzt die Körperübungen mit Lektionen der indischen Philosophie, Debatten über Straftaten. „Sogar die Aufseher waren begeistert von der Wandlung der Leute.“

Sechs der Langzeitinsassen, mit denen er gearbeitet hat, wurden mittlerweile freigelassen, vier „machen sich hervorragend“, zwei sitzen wieder. Einer sei in eine Art Vendetta geraten, der zweite habe schon zuvor gesagt, er könne nichts versprechen. Für Medin sind vier, die in die Gesellschaft zurückgefunden haben, ein großer Erfolg. So hat er mittlerweile ein Netz von 16 Lehrern aufgebaut, die in 13 Haftanstalten unterrichten. Heute unterstützt eine Stiftung das Projekt – staatliches Geld sei dafür nie ausgegeben worden.

Ähnliche Projekte auch in Österreich

Und er ist nicht der Erste, der diese Idee hatte. Vorbild war das Prison Yoga Project von James Fox in den USA, in Indien gab es Ähnliches, auch in Österreichs Justizanstalten finden solche Ansätze Eingang: In Wien-Josefstadt etwa gibt es zwei Mal pro Woche Yogastunden für 14- bis 21-jährige Burschen und eine Einheit für Mädchen – das läuft, so das Justizministerium, im Rahmen des Sportprogramms und werde sehr gut angenommen. Weitere Yoga-Angebote würden aktuell geprüft.

Alex Medin ist nach dem Start im Gefängnis weitergegangen, „ich wollte wissen, welchen Effekt Yoga auf Drogenkranke hat“, also ist er in ein Drogenviertel Oslos gegangen und hat Junkies zu einem Kurs und einer warmen Mahlzeit eingeladen. Später unternahm er mit zehn Süchtigen eine Reise nach Indien. Die Bedingungen: keine Drogen, tägliche Yogapraxis um fünf Uhr früh, den Rest des Tages Karma-Yoga, das Yoga des selbstlosen Handelns: Steine schleppen, um Häuser zu bauen.

„Die Idee war, alle Bedürfnisse aufzugeben. Trotz aller Qualen haben sich die Teilnehmer wieder wertvoll gefühlt, vorher waren viele so voller Schuldgefühle und Depressionen, die einzige Möglichkeit, dem zu entkommen, waren Drogen.“ Ein Teilnehmer etwa war seit fünf Jahren süchtig, konsumierte 100 Milliliter Methadon – die doppelte Dosis, die einen gesunden Menschen tötet. Heute ist er clean, unterrichtet selbst, wie zehn Ex-Junkies, die Medin ausgebildet hat, Yoga für Drogenkranke. Zaubermittel ist Yoga freilich keines, „Yoga ist ein Hilfsmittel, ein Tool, um sich selbst zu beobachten, um auch quälende Emotionen in sich wahrzunehmen und damit umzugehen. Vor allem hilft es, sich wohl in seiner Haut zu fühlen. Wer sich gut fühlt, bleibt eher clean“. Von 100 Süchtigen, mit denen er gearbeitet hat, seien 60 bis 65 clean.

Und Alex Medin? Auch er hat profitiert, sagt er. „Yoga hat sich für mich nie wirkungsvoller angefühlt, als Lehrer hat mich nichts so glücklich gemacht wie die Veränderung, die ich bei Häftlingen und Suchtkranken gesehen habe.“

Steckbrief

Alexander Medin, geboren 1969, aufgewachsen in Oslo, wurde mit 18 norwegischer Box-Champion, später ging er als professioneller Balletttänzer nach London. Mit 1995 erster Kontakt mit Yoga, er verbringt lange Zeit im indischen Mysore und gilt heute als einer der profiliertesten Ashtanga-Yogalehrer der Welt.

Für sein Projekt Gangster Yoga hat Medin begonnen, unentgeltlich in einem Gefängnis Yoga zu unterrichten, mittlerweile gibt es den Unterricht in 13 Gefängnissen – und Alex Medin hat Back in the Ring, ein Projekt für Drogenkranke, gestartet. Kürzlich hat er diese in Wien vorgestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2016)

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