Warum Wallonien bei Ceta stur bleibt

Demonstranten vor der EU-Zentrale in Brüssel.
Demonstranten vor der EU-Zentrale in Brüssel.REUTERS/Francois Lenoir
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Im Regionalparlament lehnte die belgische Region das Kanada-Handelsabkommen erneut ab. Dahinter steckt auch innenpolitisches Kalkül.

Die Tourismusbranche der Wallonie wirbt mit "guter Laune und Geselligkeit". Das Lachen ist der Europäischen Union im Streit mit der belgischen Region über das Freihandelsabkommen Ceta aber inzwischen vergangen. "Wir machen keine Späße", sagte die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite am Freitag beim EU-Gipfel säuerlich. "Der Humor war gestern nicht besonders gut."

Die französischsprachige Region im Süden Belgiens mit rund 3,6 Millionen Einwohnern bietet malerisch hügelige Landschaften und die regelmäßige Neuinszenierung der Schlacht von Waterloo, kämpft aber auch mit Strukturkrise und Deindustrialisierung. Die fast ungeteilte Aufmerksamkeit der EU hat sie indes erst seit rund einer Woche.

Da hatte die Regionalregierung mit Rückendeckung des lokalen Parlaments ihr Veto dagegen eingelegt, dass Belgien den Handelspakt Ceta mit Kanada unterzeichnet. Selbst nachdem die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten beim EU-Gipfel am Donnerstag den Druck auf die Region erhöht hatten, gab es am Freitag wieder ein Nein der Region.

Problem Schiedsgerichte

Zwar hatte die EU-Kommission am Donnerstag einen Kompromiss zur besonderen Berücksichtigung der Bedenken aus der Regionalmetropole Namur vermittelt. Die EU-Partner hatten sogar sogar, dass sie dies mittragen würden. Doch Walloniens Regierungschef Paul Magnette forderte am Freitag nach einer Parlamentssitzung weitere Verhandlungen mit Kanada.

Im Regionalparlament in Namur sagte er, es gebe zwar Fortschritte in den Gesprächen mit dem nordamerikanischen Land, der Investitionsschutz sei aber nach wie vor ein großes Problem. Magnette warnte davor, bei den Schiedsgerichten für Investoren "die Katze im Sack zu kaufen". Das Problem der Gerichtsbarkeit sei "eine Schlüsselfrage".

Hinter der Blockade stecken auch Bedenken der sozialistischen Regierung, dass Ceta belgische Sozial- und Umweltstandards aushöhlen und die Sozialversicherung sowie die Landwirtschaft der Wallonie schwächen könne.

Machtkampf könnte nach hinten losgehen

Mit den Vorbehalten steht die Wallonie nicht alleine, aber dass sie die Macht zur Blockade des gesamten Abkommens hat, liegt am belgischen Föderalsystem. Ursprünglich auf Betreiben der Flamen im Norden haben sich die Regionen weitreichende Kompetenzen erstritten. Das gilt auch für internationale Verträge, sofern sie regionale Interessen betreffen. Alle fünf Regional- und Sprachvertretungen müssen zustimmen, sonst kann die Föderalregierung solche Abkommen nicht unterschreiben.

Im Falle CETA gibt es bei der Wallonie neben inhaltlichen auch innenpolitische Motive, wie der Politikwissenschaftler Dave Sinardet der Deutschen Presse-Agentur im Interview erklärte. Die in der Wallonie regierende Parti Socialist "hat kein Interesse daran, der Föderalregierung das Leben zu erleichtern, ganz im Gegenteil", sagt der Brüsseler Forscher. "Die Föderalregierung hat das unterschätzt und wahrscheinlich gedacht, dass die wallonische Regierung ihre Meinung ändern und nachgeben würde."

In Belgien könnte der Machtkampf nach hinten losgehen, wie Sinardet erläutert. Es beginne nun eine Debatte, ob die Regionalisierung nicht zu weit getrieben worden sei, sagt er. Die Baltin Grybauskaite ist jedenfalls bedient. "Ich glaube, wir sind zum Teil die Geiseln der Innenpolitik eines Landes", sagte sie am Freitag, auch wenn sie Schwächen bei der Vorbereitung von CETA einräumte.

Kern bleibt optimistisch

Bundeskanzler Christian Kern zeigte sich trotz der Querelen optimistisch für eine Lösung. Vor Beginn des zweiten EU-Gipfeltags Freitag in Brüssel sagte Kern, es gebe noch einige Tage Zeit bis 27. Oktober. "Ich gehe aus, dass bis dahin eine Lösung gefunden wird."

Jedenfalls seien die Probleme mit Wallonien auch ein "Hinweis, dass wir Veränderungen brauchen". Dies sei die letzte Botschaft, der letzte Beweis dafür, dass es so nicht weitergehe. Befragt, warum Österreich Ceta nicht ebenfalls aufhalten wollte wie Wallonien, sagte der Kanzler: "Wir werden das auch in Zukunft tun, wenn es um österreichische Interessen geht. Am Ende hatten wir die Abwägung zu treffen, und wir haben uns durchaus solidarisch mit dem europäischen Projekt gezeigt."

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte, Vertreter seiner Behörde würden derzeit in Namur sitzen, wo Verhandlungen zwischen der wallonischen Regionalregierung von Paul Magnette und der kanadischen Handelsministerin liefen. Angesprochen darauf, ob es ein Fehler gewesen sei, Ceta zu einem gemischten Abkommen zu machen, sagte Juncker: "Ich denke nie über Fehler nach, die andere mich gezwungen haben zu machen."

(APA)

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