Mitgefangen vor der Glasscheibe

PK UND BUCHPRAeSENTATION 'HANNES FUeHRINGER - 'AL QANATER - FUeNF JAHRE IM GEFAeNGNIS VON KAIRO'': FUeHRINGER
PK UND BUCHPRAeSENTATION 'HANNES FUeHRINGER - 'AL QANATER - FUeNF JAHRE IM GEFAeNGNIS VON KAIRO'': FUeHRINGERAPA/HELMUT FOHRINGER
  • Drucken

Der Seelsorger Matthias Geist unterstützt Angehörige von Häftlingen, auch Führingers Ehefrau Lisa.

Die ersten Monate habe sie nur funktioniert, sagt Lisa Führinger. Nachdem ihr Mann Hannes im November 2011 in Kairo verhaftet worden war, fuhr sie ihn mehrfach besuchen, organisierte juristische und praktische Hilfe für ihn, meisterte den Alltag mit ihrer Tochter daheim in St. Margarethen. „Irgendwann war ich leer und konnte nicht mehr.“ Aus dem Tief geholfen habe ihr zuerst Hannes, schlussendlich aber ihr Wille, aktiv zu werden.

Die Frage, wie es anderen Angehörigen von Häftlingen geht, ließ sie nach einer Selbsthilfegruppe suchen. Sie fand keine, stieß bei der Recherche aber auf den evangelischen Seelsorger Matthias Geist. „Es war sie, die eine Selbsthilfegruppe angeregt hat“, erzählt er, er habe nur seine Hilfe angeboten. Erfahrung mit der Betreuung von Häftlingsangehörigen hat er in seiner beruflichen Praxis als Gefängnisseelsorger reichlich gesammelt. Er betreut seit 2001 in der Vollzugsanstalt Josefstadt Häftlinge, in den vergangenen Jahren auch immer öfter Angehörige. Auf Anregung einer Großmutter, deren Enkel inhaftiert war und die sich wunderte, dass es nichts gebe, mit dem man Kindern verständlich machen könne, wieso Papa/Mama/Bruder im Gefängnis ist, schrieb er 2009 das Kinderbuch „Reitet den Drachen“. Er sagt, das Vollzugssystem habe Angehörige einfach nicht im Blick. Dabei werde mit den Verwandten und Freunden oft „eine Seite mitbestraft, die es nicht verdient hat“. Es gibt sogar Inhaftierte, die sagen, „mir geht es in der Haft besser als denen draußen“. Weil diese mit den Vorurteilen der anderen und der eigenen Scham allein sind.

Im Februar 2015 rief Lisa Führinger die Selbsthilfegruppe Aufgefangen ins Leben. Bis heute treffen sich die zehn Teilnehmer einmal pro Monat zum Austausch. Angehörige müssten nach einer ersten Anfangszeit lernen, nicht nur auf den Inhaftierten, die Inhaftierte zu schauen, sondern auch auf sich selbst, sagt Geist. In einer Selbsthilfegruppe gehe es um die Ermutigung zur Bewältigung der Situation und Überlebensstrategien. „Da kann die eine Mutter der anderen sagen, ich hab es so und so gemacht.“ Apropos Mutter: Es ist leider kein Klischee, sondern Fakt: „Das Angehörigenthema ist vor allem ein Frauenthema. Wenn es überhaupt noch Väter gibt, die erreichbar sind, dann führen sie tatsächlich oft die Mutter bis zur Gefängnistür. Weil sie den Schritt hinein nicht schaffen. Oder weil sie die Gefühle nicht zulassen wollen.“

Geist rät Angehörigen eines: den Besuchskontakt zu leben. Und im Umgang mit dem inhaftierten Verwandten eine Ehrlichkeit zu finden und sie umgekehrt auch aushalten. „Es bringt nichts, dem anderen hinter der Glasscheibe Dinge zu sagen, die nicht stimmen.“ Und ehrlich sollte man schließlich auch zu Kindern sein. AWA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.