Clemens Schick: „Empört sein reicht nicht“

(c) Christine Ebenthal
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Schauspieler Clemens Schick über das Düstere an Wien, sein politisches Engagement und die Sehnsucht nach mehr Konsequenz im Leben.

Wien, in einer nicht allzu fernen Zukunft: Nur die Elite darf durch das Heldentor in den ersten Bezirk, der Großteil der Gesellschaft fristet in heruntergekommenen Außenbezirken ein elendes Dasein. Und wird das über den Tod hinaus tun: Denn in Ruhe sterben ist in der Dystopie, die der Schweizer Regisseur Valentin Hitz in seinem Science-Fiction-Drama „Stille Reserven“ entwirft, den Reichen vorbehalten. Wer verschuldet stirbt – oder keine Todesversicherung abgeschlossen hat – wird künstlich am Leben gehalten, Organe und Gehirn werden ausgebeutet, bis die Schulden beglichen sind. Der Versicherungsagent Vincent Baumann, kaltblütig, diensteifrig und undurchsichtig, gerät in dieser Welt zwischen die Fronten von System und Widerstand. Verkörpert wird er von Clemens Schick. Das „Schaufenster“ traf den deutschen Schauspieler, der unter anderem den Tod im Salzburger „Jedermann“ (2007–2008) und des Bösewichts Handlanger im Bond-Film „Casino Royale“ gespielt hat, im Wiener Palmenhaus, einem der Schauplätze von „Stille Reserven“.

Wien spielt in „Stille Reserven“ ziemlich glaubhaft eine düstere Stadt mit imperialen Resten. Passt das zu dem Bild, das Sie von Wien haben?
Ich finde, Wien ist eine zerrissene Stadt. Weil sie wirklich sehr schön ist, aber auch etwas Melancholisches hat, etwas Düsteres. Man merkt, dass es eine Residenzstadt ist, die mal für ein Weltreich gebaut wurde. Weltreich – dieser Begriff ist auch sehr altmodisch. Dann merkt man die Nähe zum Osten, die ich sehr mag – stimmungsmäßig und vom Menschenschlag her. Ich bin immer gern in Wien. Und auch im Film, im Theater, in der Kunst passiert hier sehr viel.


Hat Sie das Drehbuch zu „Stille Reserven“ von Anfang an angesprochen?
Ja, von Anfang an. Ich mochte die Zukunftsvision sehr, ich mochte das Altmodische an dem Film. Ich mochte die Sprache. Eine Rolle wie den Baumann spielen zu dürfen, ist ein großes Geschenk für mich. Dann war irgendwann klar, wer meine Kollegen sind, wer die Kamera macht – Martin Gschlacht –, so kam eins zum anderen. Ich bin ein großer Liebhaber des Handwerks: Ich könnte stundenlang jemandem zuschauen, der sein Handwerk kann. Bei diesem Film sind sehr gute Handwerker zusammengekommen, darum war ich sehr glücklich, von Anfang an.


Analysieren Sie dann auch Ihr eigenes Handwerk?
Ich habe mir mittlerweile abgewöhnt, mir während der Dreharbeiten Material anzuschauen. Ich möchte nicht mehr die Per-spektive wechseln. Ich möchte aus der Figur heraus denken und meine Rolle nicht von außen sehen.


Was würde denn dann passieren?
Dann bekomme ich eine Distanz zu meiner Rolle. Es ist eh schwer, eine Rolle auszufüllen. Ich versuche jeden Moment, der mich davon wegbringt, zu vermeiden. Das mag bei jedem Schauspieler anders sein, aber bei mir habe ich das eben festgestellt. Ich bin auch ein eitler Mensch, und dann gucke ich plötzlich, ob ich mir optisch gefalle – und darum geht es da nicht. Darum möchte ich mich gar nicht mehr sehen.


Zurück zu „Stille Reserven“: In der Zukunft, die da gezeichnet wird, können es sich die meisten Menschen nicht leisten zu sterben – ist das eine Umkehrung dessen, was in unserer Gesellschaft vorherrscht: dass wir auf keinen Fall sterben wollen?
Das ist ein ziemlich genialer Twist, den dieser Film hinbekommt: Eigentlich wollen wir nicht sterben, aber wenn es so weit ist, ist die Frage, ob wir sterben dürfen. Für mich nimmt der Film ein glückliches Ende, aber er endet auch tödlich.


Sehen Sie in der realen Welt Vorboten für ein Szenario, wie es im Film dargestellt wird?
Unsere Gesellschaft ist schon an dem Punkt, an dem eigentlich alle Aspekte des Lebens nach ihrer wirtschaftlichen Effektivität ausgerichtet werden. Das wird immer mehr, auch dadurch, dass wir immer mehr Informationen über uns freiwillig zur Verfügung stellen. Ein anderer Aspekt des Films ist, dass man keine Emotionen mehr haben möchte, weil sie wirtschaftlich ineffektiv sind. Ich habe mich gefragt: Wie gehen wir mit Emotionen um? Ich finde, dass wir uns im reichen Europa, dieser Blase, in der wir leben, angewöhnt haben, bestimmte Dinge zu ignorieren. Zum Beispiel, dass unser Reichtum nur möglich ist aufgrund des menschenunwürdigen Daseins anderer Menschen. Da machen wir uns emotionslos.


Weil uns Emotionen da aufhalten würden?
Wenn wir uns bewusst machen würden, wie die Leute leben, die zum Beispiel unsere Kleider nähen, würden wir es vielleicht nicht aushalten. Wir wissen es natürlich alle, aber wir ignorieren es. Wir wissen auch, was gerade in Aleppo passiert, aber wir schaffen es, das zu ignorieren. Anders als im Film brauchen wir nicht einmal Medikamente dazu.


Waren diese Themen auch ein Grund für Ihr politisches Engagement? Sie sind im Sommer der SPD beigetreten.
Weniger. Mehr das, was in Europa politisch und gesellschaftlich gerade passiert. Europa ist auf einem Scheideweg und muss schauen, ob es sich auflöst oder ob es eine neue Kraft bekommt und sich eventuell sogar neu definiert. Ich meine, dass das an Leuten wie uns liegt – an Künstlern, an Theaterleuten, Journalisten, Grafikern, Architekten – uns allen, die wir vielleicht eher liberal sind und von dieser Freiheit leben. Wir müssen begreifen, dass wir für sie kämpfen müssen. Das haben wir in den letzten 20, 30 Jahren verlernt. Jetzt kommen plötzlich populistische Bewegungen, die vieles infrage stellen, und wir haben noch nicht die Sprache gefunden, um zu sagen, wie wir uns dem in den Weg stellen. Es gibt ja überall großes gesellschaftliches Engagement. Wir müssen dieses Engagement aber wieder mit Parteien verknüpfen, weil die Parteien die Basis unserer Demokratie sind. Wenn wir der Meinung sind, dass das nicht so sein soll, dann müssen wir über eine Alternative diskutieren. Aber im Augenblick ist das so. Deshalb habe ich mich für eine Partei entschieden. Ich möchte es wenigstens probiert haben. Man muss etwas tun und nicht nur empört sein. Empört sein reicht nicht.


Ich möchte noch über Ihre Biografie sprechen. Sie sind als junger Mann eine Zeit lang ins Kloster gegangen. Der Wunsch nach einem bescheidenen, in sich gekehrten Leben, dann der Wunsch nach einer Theater- und Filmkarriere: Schlummerte immer beides in Ihnen?
Das tut es immer noch. Das lässt sich für mich relativ gut vereinen. Von außen gesehen wirkt es gegensätzlich. Aber wie ich mein Leben lebe – mit sehr viel Hingabe – und welche Werte mir wichtig sind, das ginge als Mönch und das kann ich auch als Schauspieler gut. Ich vermisse manchmal, dass ich nicht Mönch geworden bin.


In welchen Momenten denn?
Gar nicht in bestimmten Momenten. Mich überkommt manchmal eine Sehnsucht danach, eine Sehnsucht nach einer größeren Konsequenz im Leben. Nach einem immaterielleren Leben.


Ist das im Showbusiness nicht möglich?
Doch, natürlich. Ich finde ja meinen Weg. Ich engagiere mich für Menschenrechte, ich bin bei Human Rights Watch Komitee-Mitglied. Ich bin Botschafter einer NGO, die sich um Kinderkrankenhäuser in Südafrika kümmert. Ich engagiere mich politisch. Das ist meine Sehnsucht nach einem Teilnehmen an Gesellschaft, an Politik.


Ist Ihr künstlerisches Schaffen davon abgegrenzt?
Es ist natürlich toll, dass ein Film uns dazu bringt, in diesem Interview über diese Themen zu reden. Aber das muss überhaupt nicht sein. Ich drehe wahnsinnig gern auch Blockbuster, wie am Anfang dieses Jahres den Film „Overdrive“ mit Scott Eastwood und Ana de Armas. Der hat gesellschaftspolitisch die geringste Relevanz, die man sich überhaupt vorstellen kann, und es macht wahnsinnig Spaß. Ich bin jetzt kein bierernster Mensch, der in allem den Sinn sehen muss.

Tipp

„Stille Reserven“. Die deutsch-österreichisch-schweizerische Produktion von Regisseur Valentin Hitz läuft ab 28. 10. im Kino.

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