Andrea Jonasson: „Kinder, die fehlen mir sehr“

Andrea Jonasson
Andrea Jonasson(c) Akos Burg
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Ihr Ehemann, der italienische Regisseur Giorgio Strehler, starb vor fast 20 Jahren. Dennoch spricht die Schauspielerin Andrea Jonasson oft in der Gegenwart von ihm. Seinen Tod habe sie nicht gut überwunden, sagt sie.

Sie haben zurzeit lange Probentage zu absolvieren. Können Sie danach gut abschalten?

Andrea Jonasson: Das ist nicht so einfach. Wenn ich abschalten sollte, setze ich mich meistens hin und lerne Text. Dann gehe ich noch mit meiner Hündin Ombra spazieren. Da entspanne ich mich schon. Ich liebe die Kleine, denn sie macht mir ja in der Nacht ganz Wien unsicher. Sie hat ihre Lokale, in denen sie immer einkehrt und mit Schinken gefüttert wird. Ihr und mein Lieblingslokal ist das Il Sole. Da rast sie immer hinein, lang bevor ich ankomme. Wenn die Leute Ombra sehen, heißt es schon: Die Jonasson kommt!

Leben Sie derzeit in Wien oder auch in Italien?

Jetzt bin ich mehr in Wien und habe Sehnsucht nach Italien. Darum halte ich auch meine Wohnung in Mailand, obwohl mich die wahnsinnig hohe Miete in den Ruin treibt. Aber ich habe Angst davor, die Wohnung aufzugeben. Das würde so verstanden werden, als machte ich einen Schritt weg von Mailand. Wenn sie in Italien aber wissen, dass ich da bin, dann werden auch wieder mehr Angebote kommen. Es ist auch schon etwas für 2017 im Gespräch, aber darüber kann ich noch nicht reden.


Das klingt so, als wäre Ihnen Wien gerade etwas zu viel.

Nein, ich liebe diese Stadt. Aber ich würde auch gern einmal an einer anderen „Stadt“ als der Josefstadt spielen.


Am Burgtheater?

Ich hatte und habe immer Sehnsucht nach dem Burgtheater, aber da klappt ja nichts mehr. Unter Matthias Hartmann einmal gar nicht, aber auch schon unter Klaus Bachler nicht. Eine Aussage von ihm hat mich gekränkt.

Welche?

Er sagte zu mir – Giorgio gab es da schon nicht mehr: „Ich würde dich gerne engagieren, aber du musst warten, weil ich viele Regisseure habe, die gar nicht mehr wissen, wer du bist.“

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe ihm gesagt, dass ich so etwas nicht brauche. Ich möchte keine Klinken putzen. Es wäre ja an ihm gewesen, mich jungen Regisseuren wie Roland Schimmelpfennig näherzubringen. Ich bin daraufhin mehr in Italien geblieben und habe dort viel gespielt. Und auch jetzt will ich wieder einmal frei sein, mehr an Giorgio denken und mich auch in meiner Arbeit ihm widmen.

Sein Andenken hochzuhalten ist Ihnen überaus wichtig.

Ja! Er war das größte Abenteuer meines Lebens, das werde ich nie vergessen. Arbeiten mit Giorgio war Abenteuer! Stellen Sie sich vor, als ich mit Giorgio nach Italien kam, sprach ich kein Wort Italienisch – und dann habe ich die größten Rollen auf Italienisch gemeistert.

Im Piccolo Teatro Milano debütierten Sie 1981 in Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“. Hatten Sie zuvor große Angst?

Ja, aber ich habe mich so in Giorgios Hände begeben. Ich hatte ein solches Vertrauen zu ihm und so eine Lust, es zu schaffen. Und nach der Premiere hieß es in der Presse: Andrea Jonasson erobert Italiens Bühnen! Es gab keine einzige schlechte Kritik.

Wäre Strehler nicht Regisseur gewesen, hätte er für Sie überhaupt so eine Bedeutung erlangen können?

Ach ja . . . Natürlich vermischt sich das. Die Faszination, ihn zu sehen, zu hören, ihm zuzuschauen. Natürlich verliebt man sich da. Wäre er ein gut aussehender Bankbeamter gewesen, hätte ich mit ihm über die Börse und Zinsen reden müssen. Nur, das ist nicht meine Sache.

Jedes Ihrer Worte über ihn strotzt vor Bewunderung. Sie scheinen über alles hinwegzusehen, wobei er im Zusammenleben sicherlich kein einfacher Mensch war.

Nein, er war sehr schwierig. Aber wir beide, wir waren ein ganz tolles Team. Er war auch unglaublich dankbar für meine Mitarbeit. Und er hatte eine natürliche Art, einen zu beflügeln und die Fantasie zu öffnen. Das war ein wunderbares Zusammenspiel, jeden Tag habe ich mich auf die Proben gefreut, er hat mich getragen und ich konnte alles geben.

Und nach den Proben?

Das war gar nicht so einfach, denn danach kommt die Erschöpfung, die Depression. Die gab es bei Giorgio oft. Er fällt in ein Loch und steigt dann wieder wie Phönix aus der Asche. Manchmal war ich entkräftet, aber ich musste mithalten. Giorgio sagte immer zu mir: „Du hast mir das Leben beigebracht, die Sonne gezeigt und wie schön das Meer ist.“

Er starb 1997. Wie haben Sie sich nach seinem Tod zurechtgefunden?

Nicht sehr gut. Ich bin immer mit irgendeiner Arbeit vollgestopft, sodass ich gar nicht richtig zur Besinnung komme.

Sie sprechen so viel von den Projekten der Vergangenheit. Dabei gibt es doch noch die Gegenwart. Gerade jetzt stehen Sie wieder auf der Bühne. Zählt das alles nicht?

Überhaupt nicht. Ich bin müder geworden. Wenn jetzt nicht Elmar Goerden (Anm.: Goerden führt Regie bei „Die Verdammten“) wäre, hätte ich das vielleicht alles gar nicht gemacht. Aber Elmar ist großartig, er macht das ganz toll.

Was hat Sie so müde gemacht?

Die Jahre, die vergangen sind. Und die große Begeisterung ist nicht mehr da. An meinem Geburtstag dieses Jahr war ich deprimiert. Ich werde in sieben Jahren 80, da gibt es ja auch gar keine Rollen mehr. (Pause.) Wenn das Stück an der Josefstadt abgespielt ist, will ich einmal pausieren, glaube ich. Ich will noch etwas anderes kennenlernen.

Was denn?

Ich möchte wieder ein Abenteuer erleben. Ich möchte Chile kennenlernen, denn meine Urgroßmutter war Chilenin. Das Land soll wunderschön sein. Und es kann auch sein, dass ich einmal im Winter mit meinem Boot übers Meer fahren will. Dieses Boot habe ich mir nach dem Tod von Giorgio aus Liebe zu ihm gekauft. Wir beide hatten auch ein kleines Schiff, auf dem wir auch wohnen konnten. Wir sind damit viel gefahren, nach Elba, nach Korsika . . .

Und jetzt fahren Sie allein?

Ja, das mache ich. Ich war so unglücklich, als er nicht mehr war . . . Ich dachte mir, vielleicht ist das einmal das Örtchen für mich, an dem ich mein Leben beende, wenn ich nicht mehr mag. Eine schöne Flasche Champagner, ein Paar Schlaftabletten, no . . .

Ich glaube, so funktioniert das nicht.

Nein, ich würde das auch nie tun, weil ich das den Menschen, die ich liebe, nicht antun kann. Aber der Gedanke daran ist leider oft da, vor allem morgens beim Erwachen. Die meisten Selbstmorde passieren in der Früh, nicht am Abend.

Glauben Sie, es wäre anders, wenn Sie Kinder hätten?

Ja, Kinder, die fehlen mir sehr. Mir fehlt die große Familie.

Wollten Sie denn Kinder haben?

Ja, wir wollten! Giorgio wollte immer eine Tochter haben und sie Ombre nennen. Darum habe ich ja auch meine Hündin so genannt. Aber es ging nicht. Das war Schicksal.

Können Sie gut allein sein?

Ja, das kann ich recht gut. Ich lese wahninnig gern, ich höre Mozart, mache lange Spaziergänge mit meinem Hund, und dann denke ich an Rilke: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt alleine ist, wird es lange bleiben . . .“ (Pause.) Meine Freunde sagen mir immer. „Nimm dir doch einen Mann!“

Wer hätte nach Strehler noch eine Chance bei Ihnen?

Das ist schwer. Aber es gibt schon Männer, bei denen ich sage: Den könnte ich lieb haben.

Lieb haben ist ja nicht gerade wenig.

Nein, das ist viel! Ein Freund, an den ich mich anlehnen kann. Der sagt: „Komm, jetzt gehen wir essen, wir gehen ins Kino oder ins Theater.“

Das muss ein selbstbewusster Mann sein, den es nicht stört, dauernd mit Strehler verglichen zu werden.

Na ja, das dürfte auch kein Theatermann sein. Das wäre nicht gut. Das müsste jemand sein, der aus einer ganz anderen Sphäre kommt. Ein Fotograf, ein großer Journalist, der mit mir gemeinsam die ganze Welt bereisen will. Ich sehe manchmal ältere Ehepaare, die gehen so Hand in Hand auf der Straße. Das wünsche ich mir. Aber, wo ist er denn?

Frau Jonasson, darf man Sie auch fragen, . . .


1. . . ob Sie katholisch sind?

Ich bin katholisch getauft, aber nicht sehr katholisch. Mein Vater sagte immer zu mir: „Geh in den Wald, dort bist du dem lieben Gott näher als in der Kirche.“


2. . . ob Sie an ein Leben nach dem Tod glauben.

Irgendetwas ist da schon. Ich glaube nicht, dass mit dem Tod alles zu Ende ist.


3. . . ob Sie Sorge haben, dass Ihre Erinnerung an Ihren verstorbenen Mann mit den Jahren verblasst?

Nein, nicht bei mir. Das war alles so stark und intensiv. Ich sehe ja auch immer wieder Bilder von ihm oder höre seine Stimme im Radio und Fernsehen – erst vor Kurzem, als er zum größten Opernregisseur der Geschichte
gewählt wurde. Dann spreche ich
mit ihm und sage: Mensch, kannst du das jetzt hören? Würde er noch leben, er hätte sofort eine Flasche Champagner geköpft.

Steckbrief

1942
wurde die deutsche Schauspielerin Andrea Jonasson in Freiburg im Breisgau geboren.

Sie nahm Schauspielunterricht an der Otto-Falckenberg-Schule in München und spielte alsbald am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.

Ab 1966
gehörte sie dem Ensemble des Schauspielhauses Zürich an, ab 1974 dem des Burgtheaters.

1973
lernte sie bei den Salzburger Festspielen ihren künftigen Mann, den Regisseur Giorgio Strehler, kennen. Unter seiner Regie spielte sie sowohl auf den Bühnen des deutschen Sprachraums als auch in Italien.

Seit dem Tod von Strehler im Jahr 1997
ist sie auf den italienischen Bühnen nicht mehr so oft zu sehen. Jonasson lebt derzeit in Mailand und Wien. In den vergangenen Jahren hat sie an mehreren Produktionen des Theaters in der Josefstadt mitgewirkt. Ab 10. 11. ist sie dort in „Die Verdammten“ zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2016)

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