Tim Fischer: Chanson als Welttheater

(C) Friedrun Reinhold
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Chansonnier Tim Fischer hat ein Faible für spezielle Österreicher. Am 25. November präsentiert er sein Programm „Absolut“ im Theater Akzent.

Ruhe! Der Führer rasiert sich“, gebietet der norddeutsche Chansonier Tim Fischer. Hinter seiner eigenwilligen, selbstverständlich charismatischen Stimme pocht ein unwiderstehlicher Groove. Dann wird es onomatopoetisch: „Rrrrr! Rrrrrrr“. Er rasiert sich elektrisch, und das tut er rrrrücksichtslos. Ja, Fischer hat auf seinem neuen Chansonalbum „Absolut“ tatsächlich ein Lied namens „Hitler“. Geschrieben hat es Thomas Pigor, Kabarettist und Liedermacher. Darf man das? Soll man das?

„Wenn es überhaupt einen Nachfolger von Georg Kreisler geben kann, dann ist es Thomas Pigor. Sein akrobatischer Umgang mit Sprache und seine gepfefferten Pointen bereiten größte Freude. Er schafft es, den ,Führer‘ absolut zu entmystifizieren, was heutzutage leider immer noch vonnöten ist. Sein Umgang mit Adolf ist in bester Manier chaplinesk.“ Fischer, ein herausragender Interpret von Hildegard Knef und Jacques Brel, hat schon länger ein Faible für Österreicher. Den giftigen Georg Kreisler hat er so maliziös interpretiert, dass sich sogar eine Freundschaft mit ihm ausgegangen ist.

Auch Ludwig Hirsch verehrt er seit Langem. Aktuell singt er das todessehnsüchtige „Komm, großer schwarzer Vogel“. Was ihm daran gefällt? „Die positive Perspektive. Das Kind, das den schwarzen Vogel und damit den Tod herbeisehnt, weiß ganz genau, dass das Loslassen den Frieden und schließlich die Erfüllung bringen wird. Da schimmern die schwarzen Federn in allen erdenklichen Farben.“ Fischer singt es live gern mit ausgebreiteten, federnverzierten Armen.

Getroffen hat er ihn nur einmal. „Es war eine schöne Begegnung. Bei einem Gastspiel im alten Ronacher zu den Wiener Festwochen kam er spontan in der Pause in meine Garderobe. Seine Begeisterung und sein strahlendes Gesicht werde ich nie vergessen.“ An seinen Liedern mag er, dass sie hinter den Schleier blicken. „Er erzählt die Realitäten, als wären sie Märchen.“ Die zuweilen niederschmetternde Wirklichkeit poetisiert hat auch Jacques Brel. „Chanson – das ist Welttheater“, hat dessen erster deutscher Interpret, Michael Heltau, angesichts seiner kompositorischen Wucht begeistert ausgerufen. „Diese Definition trifft es genau“, jubiliert Fischer, der aktuell Brel-Chansons wie „Je suis bien“ und „Ne me quitte pas“ im Programm hat. „Bei ihm ist der Mut zu großen Emotionen gefragt. Man muss sich ihm stellen.“

Fischers Programme zeichnet auch aus, dass höchst heterogenes Liedmaterial in formvollendete Dramaturgie gebracht wird. Eindringlich singend verbindet er versunkene Zeiten und mannigfaltigste Ästhetiken, etwa jene von Friedrich Hollaender, Leo Ferré, Tom Waits, Georg Kreisler, Hildegard Knef und Rainer Werner Fassbinder. Dabei leitet ihn das eigene Aktualitätsempfinden. „Ich singe ausschließlich Chansons, die für mein Gefühl in die Gegenwart passen.“
Dafür schreckt er auch nicht vor kultivierter Boshaftigkeit, wie sie etwa die Lieder eines Georg Kreisler repräsentieren, zurück. „Er zeigt in seiner Kunst das Böse, um das Gute zu bewirken. Er demaskierte, legte den Finger in die Wunde und stellte unbequeme Fragen. Das brauchte und braucht die Welt. Georg Kreisler fehlt!“ Gern erinnert er sich an jene fantastischen Zeiten, als er mit dem Altmeister zusammengearbeitet hat. „Ich hab viel von ihm gelernt. Entgegen der landläufigen Meinung hatte er eine sehr mitfühlende, liebenswürdige Seite. Es war ganz erstaunlich, wie sich Georg im ,Kreuzworträtsel-Chanson‘ in die Seele eines jungen Mädchens einfühlen konnte.“

Von Vorurteilen befreien

Fischers Interpretationskunst ist ebenfalls von großer Empathie getragen. Er ist ein Schauspieler-Sänger in der Art eines Charles Aznavour, der in jedem Chanson eine andere Persönlichkeit annimmt und diese vom tiefsten Seelengrund bis in die Fingerspitzen darstellt. Was hat er live mit seinem Publikum vor? „Es auf eine Reise in die unterschiedlichsten Gefühlswelten mitzunehmen und am Ende wieder sicher an Land zu bringen. Hoffentlich um viele Eindrücke reicher und vielleicht sogar von einigen Vorurteilen befreit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2016)

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