Warum wir glauben, was wir wollen

Kondensstreifen. Nichts anderes.
Kondensstreifen. Nichts anderes. Imago
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Chemtrails, die Erde ist eine Scheibe, Impfen richtet mehr Schaden als Nutzen an. Das Internet ist eine Brutstätte für Verschwörungstheorien aller Art. Warum wehren wir uns so gegen die Ratio? Ein Erklärungsversuch.

Manchmal reichen 140 Zeichen, um den Blick auf die Welt zu ändern. Und Donald Trump, President Elect der USA, setzt dieses Instrument schon länger mit besonderer Akribie ein. Am 6. November 2012 schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst Twitter sinngemäß: „Die Erderwärmung wurde von den Chinesen erfunden, um die USA als Produktionsstandort zu schwächen.“ Das ist jetzt vier Jahre her. Und obwohl genug wissenschaftliche Belege das Gegenteil beweisen können, gibt es Menschen, die Donald Trump glauben. Oder seine Behauptung zumindest irgendwie gut finden. Sein Tweet bekam schon damals, lange vor der US-Präsidentschaftswahl, 66.217 Likes.

Donald Trump ist nicht der Einzige und schon gar nicht der Erste, der behauptet, dass die Erderwärmung erfunden ist, doch sein Tweet und seine neue politische Rolle haben dazu beigetragen, dass sich dieses Gerücht rasant verbreitet hat. Dabei war es noch nie in der Geschichte so leicht wie heute, den Wahrheitsgehalt bestimmter Aussagen und Behauptungen im Internet zu überprüfen. Gleichzeitig hatten Verschwörungstheoretiker und Scharlatane selten zuvor so gute Chancen, auf Gehör zu stoßen. In Blogs und Chat-Foren, auf Websites und in privaten Facebook-Foren werden die Gefahren von Chemtrails oder Impfungen diskutiert, wird behauptet, dass die Mondlandung nie stattgefunden hat und die Anschläge vom 11. September 2001 eigentlich von den Amerikanern iniziiert waren. Es werden (pseudo-)wissenschaftliche Studien hysterisch interpretiert, was dazu führt, dass Menschen behaupten, Krebs sei allein durch die Kraft der Gedanken statt durch Chemotherapien heilbar. Oder durch Homöopathie.

Der 88-jährige Kanadier James Randi hat sein halbes Leben damit verbracht, Falschmeldungen wie diese aufzuklären und die Arbeit von Scharlatanen zu entlarven. In Europa ist er vor allem als jener Mensch bekannt, der den israelischen Mentalisten Uri Geller im wahrsten Sinn des Wortes entzaubert hat. Geller saß 1973 in der US-amerikanischen TV-Show von Johnny Carson und musste vor laufender Kamera gestehen, dass er doch keine Löffel mit Gedanken verbiegen kann. Randi hatte dem Moderator vorher den Tipp gegeben, die Zauberutensilien unter Verschluss zu halten, sodass Geller sie nicht präparieren konnte. Viele weitere Enttarnungen sollten folgen.

Der Zauberer mit dem Totenkopf

Doch warum sind Menschen manchmal so immun gegen Fakten? „Weil es einfacher ist. Und aus Angst vor der Zukunft“, sagt er. Nachsatz: „Außerdem lieben sie das Drama. Vielleicht, weil sie gelangweilt von ihrem Leben sind.“ Randi sitzt in der Bar des Wiener Hotel Triest. Seine Ähnlichkeit mit dem Disney-Zauberer Merlin ist auf den ersten Blick nicht zu übersehen: weiße Haare, weiße Augenbrauen, die wie kleine Wattebäusche in seinem Gesicht sitzen, langer Rauschebart. Seine Hände stützt er auf einen Gehstock mit Totenkopf. „Das ist Peter“, erzählt er. Vier solcher Gehhilfen habe er, und jeder habe einen anderen Namen. Er hat sie alle von Anhängern der Skeptikerbewegung geschenkt bekommen. Randi war Gründungsmitglied der amerikanischen Gesellschaft zur Untersuchung von Parawissenschaften (CSI). Der 88-Jährige ist das erste Mal in Wien. Am vergangenen Donnerstag wurde ihm im Rahmen einer Gala der erstmals verliehene Heinz Oberhummer Award für Wissenschaftskommunikation überreicht. Der im Vorjahr verstorbene Physiker Oberhummer stand selbst jahrelang dem österreichischen Ableger der CSI vor und ist mit dem Wissenschaftskabarett Science Busters bekannt geworden.

Dabei bedienen sich die Science Busters im Grunde genommen des gleichen Formats wie Randi und die übrigen Anhänger der Skeptikerbewegung. Sie versuchen, wissenschaftliche Fakten witzig und leicht verständlich aufzubereiten. Um etwa zu beweisen, dass Homöopathie wirkungslos ist, nimmt Randi schon einmal eine Überdosis an homöopathischen Schlafpillen. In den 1980er-Jahren war er daran beteiligt, die Arbeit des französischen Immunologen Jacques Benveniste zu entkräften, der beweisen wollte, dass Wasser ein Gedächtnis habe. Auch philippinische „Heilmethoden“ entzauberte der Kanadier Randi. Bei der Psychosurgery „operieren“ Heiler, ohne ihre Patienten aufzuschneiden. Randi „operierte“ daraufhin kurzerhand selbst vor laufender Kamera mit Kunstblut- und -därmen. Als geübter Magier ist es für ihn ein Kinderspiel, solche Pseudoheilmittel zu entlarven. Verständlich, dass bei so einem Ansatz auch Religion keinen Platz hat. „Wissen Sie, warum ich glaube, dass Beten nichts bringt?“, fragt Randi und seine Stimme wird ernst. „Ich sage Ihnen ein Wort: Auschwitz. Glauben Sie, dass diese Menschen nicht jeden Tag Tausende Gebete gesprochen haben? Aber sie starben einen schrecklichen Tod.“

Wenn Fakten nicht reichen

Die Arbeit von Randi und seinen Skeptikerkollegen ist umso wichtiger in einer Zeit, in der sich Falschinformationen besonders schnell und ungeprüft verbreiten. Eine Zeit, die Experten bereits postfaktisch nennen, weil sich Gerüchte durch Fakten nicht mehr widerlegen lassen. „Eine einzige Gegeninformation reicht oft nicht aus, um eine Meinung zu ändern – außer die Information wird immer wieder wiederholt, und zwar von unterschiedlichen, am besten besonders glaubwürdigen Quellen. Bis diese Schwelle aber erreicht ist, gibt es eine Art Schutzmechanismus, der uns erlaubt, an unseren Überzeugungen festzuhalten“, erklärte Claus Lamm, Leiter der Neuroscience Unit der Universität Wien, kürzlich im Interview mit der „Presse“, warum es so schwierig ist, mit Fakten zu überzeugen. Und: „In einer Medienlandschaft, die immer schneller wird und in der nicht mehr klar ist, wer die Autoritäten sind, kann man schnell in eine Situation kommen, in der man überfordert ist und nur mehr aufgrund seiner ,Good Feelings‘ entscheidet, also: schwarz oder weiß.“

Zwar hat es Verschwörungstheorien schon immer gegeben, dennoch, da sind sich Experten sicher, scheinen sie durch Facebook und Co. und die dort existierenden Echokammern und Filterblasen überzeugender. Algorithmen spielen einem dabei nur jene Informationen zu, die man auffinden möchte. So wird der Nutzer von anderen Standpunkten abgeschirmt. Das Anhängen von Verschwörungstheorien kann im Übrigen nicht nur dem „angry white man“, dem „wütenden weißen Mann“, angelastet werden. 2014 kamen die beiden Politikwissenschaftler Joseph Uscinski und Joseph Parent zum Schluss, dass solche Theorien in den USA in jeder Gesellschaftsschicht, unabhängig von Hautfarbe, Einkommen und Status, vorkommen. Angst und Kontrollverlust würden sie begünstigen. Auch die Häufigkeit der auftretenden schlechten Meldungen von Umweltkatastrophen bis zur Angst vor Jobverlust. Woran erkennt man selbst, einer Verschwörungstheorie anzuhängen? „Wenn an der Verschwörung eine große Anzahl an Menschen involviert sind, die alle den Mund hätten halten müssen“, schreibt die Skeptics Society auf ihrer Homepage. Und wenn sich die Anhänger der Theorie weigern, eine alternative Erklärung zu akzeptieren und sich selbst nur bestätigt wissen wollen.

Fakten, sagt James Randi, der der Skeptics Society angehört, seien dennoch der beste Weg, mit Verschwörungstheorien aufzuräumen. Aber es brauche die Bereitschaft der Menschen, sich darauf einzulassen: „Es wird immer Menschen geben, die im Mittelalter hängengeblieben sind.“ Angetrieben wird der humorvolle, alte Herr freilich von den anderen. Jene, die nach seinen Auftritten oder der Lektüre seiner Bücher zu ihm kommen und sagen: „Sie haben mein Leben geändert.“

Facebook hat keine Schuld

Die sozialen Netzwerke macht er übrigens nicht dafür verantwortlich, dass sie auch Falschinformation in die Welt tragen. „Jedes neue Medium kann gefährlich sein oder zur Aufklärung beitragen“, sagt er. Das sei auch schon bei der Erfindung des Buchdrucks so gewesen. Übrigens, seine James Randi Educational Foundation benutzt Twitter auch gern. Es sind 140 Zeichen, die die Sicht auf die Welt ändern können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2016)

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