„Patchwork“: Staatsoper widmet sich dem Liebesleid von heute

Regisseurin Silvia Armbruster.
Regisseurin Silvia Armbruster.(c) imago stock&people
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„Keine Trennungs-, eine Fusionskiste“, verspricht Librettistin Johanna von der Deken für die Uraufführung Ende Jänner.

Auf der Studiobühne der Staatsoper in der Walfischgasse ist eine für klassische Oper ungewöhnliche Dekoration aufgebaut: zwei Neubauwohnungen, eine leer mit Umzugskisten, eine möbliert – mit amerikanischem Kühlschrank, Kochnische, Tisch und Bett. „Patchwork“ heißt die Uraufführung von Komponist Tristan Schulze und Librettistin Johanna von der Deken, die hier ab 29. Jänner zu sehen sein wird: Ein junger Mann, Vater eines Sohnes, wurde von seiner Frau verlassen. Eine Lehrerin, Mutter von drei Kindern, hat sich von ihrem Gatten getrennt. Die beiden ziehen in benachbarte Appartements – und verlieben sich ineinander . . .

Probenbesuch in der Walfischgasse: Die Handlung wirkt wirklich wie aus dem Leben gegriffen. Morgenhektik in der Wohnung der Lehrerin, mit dem Fuß kickt sie einen rosa Koffer unters Bett, sie zieht ihren Poncho an und das Kind hinter sich her. Im Stiegenhaus knallt sie in den Nachbarn, der gerade seine Kisten balanciert: „Vorsicht, Gläser!“, ruft der fesche Bariton Clemens Unterreiner.

Arie mit Akkuschrauber

Später sieht man ihn als Niko einsam in seiner Wohnung: „Mein Herz ist noch ausgebucht“, singt er, „ich will keinen Neubeginn, wo ist der Gewinn?“ Da kommt sein Sohn, er schwänzt die Schule, die Mutter fehlt ihm. Niko tröstet, verspricht Mathenachhilfe. Und er macht sich an die Nachbarin heran, mit einem Akkuschrauber hilft er bei der Montage der Vorhangstange. Vera heißt die Schöne, Stephanie Houtzeel greift nach dem Handy, der Exmann ist dran: „Es geht jetzt nicht, ich rufe dich an, wenn die Kinder schlafen“, raunt sie ins Telefon.

Der Nachwuchs wird bei dieser Probe von den Regieassistenten „markiert“, die Kids sind in der Schule. Rund dreißig wirken hier mit, in mehreren Besetzungen und in den Chören. Wie schafft es Regisseurin Silvia Armbruster, diesen „Flohzirkus“ zu dirigieren? „Ich hab mir keinen Plan gemacht, ich dachte, ich muss die Kinder wie die Erwachsenen bei ihrem Spieltrieb abholen“, erzählt Armbruster, „die Kinder stecken in einem irrwitzigen Korsett: Sie müssen den Text und die Musik beherrschen, spielen, zum Dirigenten schauen. Erst mit der Zeit automatisiert sich das Ganze.“ Musikalisch sind die Kids topfit, sie lernen in der Opernschule der Staatsoper. „Patchworkfilme gibt es viele, in der Oper war das Thema noch nicht präsent“, sagt Librettistin Johanna von der Deken: „Wir wollen keine Trennungs-, sondern eine Fusionskiste zeigen, positive Perspektiven bieten und zeigen, wie eine neue Familie trotz Schwierigkeiten zusammenfindet.“

„Darf ich bitte flirten, wie ich will?“

Von der Deken ist ausgebildete Opernsängerin, sie hat schon viele Kinder-und Jugendprogramme gestaltet. Die Situation in einer Patchworkfamilie bekommt sie durch ihre Schwester hautnah mit: „Da gibt es immer wieder Krisen“, weiß sie. Wichtig war ihr, in „Patchwork“ zu zeigen, dass die neuen Partner sich nicht nur für einander, sondern für alle vorhandenen Kinder interessieren sollen. Das Besondere der Oper sei, dass man innehalten und durch Arien und Rezitative das eigene Innenleben beleuchten könne, erläutert von der Deken.

Regisseurin Armbruster hat zum Teil schmerzliche Erfahrung mit „Patchwork“: Als sie ein Kind war, kam ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben. Ihr Vater heiratete wieder. Armbruster selbst hat eine 13-jährige Tochter und zwei fast schon erwachsene Stiefsöhne. Was kann man tun, damit eine Patchworkfamilie funktioniert? Man muss sich zusammenstreiten, Familienrat halten, aber „es liegt auch vieles am Geld“, meint Armbruster.

Bei der Probe wird dann zum x-ten Mal die Slapstickszene des Zusammenstoßes der Nachbarn Vera und Niko probiert. Niko strahlt die hübsche Nachbarin zu offensichtlich an. Ist das nicht zu viel für die erste Begegnung? „Darf ich bitte flirten, wie ich will?“, fragt Unterreiner aus der Rolle fallend, gespielt empört. Da weicht der genervte Ausdruck aus Vera/Stephanie-Houtzeels Gesicht, und sie lächelt den charmanten Kollegen süß an.

Zum Stück

„Patchwork“ Der Komponist und Cellist Tristan Schulze stammt aus Sachsen und schrieb das einstündige Auftragswerk für die Staatsoper, das 19 Mal auf der Agrana Studiobühne der Staatsoper im ehemaligen Theater in der Walfischgasse zu sehen sein wird. Libretto: Johanna von der Deken, Regie: Silvia Armbruster. Witolf Werner dirigiert. Sänger: Stephanie Houtzeel, Clemens Unterreiner, Hyuna Ko, Herbert Lippert u. a. (die Besetzung wechselt). Uraufführung: 29. 1., 15 Uhr. Weitere Vorstellungen u. a.: 1., 16., 19. 2. (vormittags) oder 6., 12. 3.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2017)

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