"Auch Walzer war Revolution"

(c) ákos burg
  • Drucken

Skepsis aus der eigenen Szene zum Trotz lädt Sajeh Tavasolie am Samstag zum zweiten Mal zum Hip-Hop-Ball - mit Texta, "Flying Bach" und Botschaft.

Ein Orchester dazu zu bringen, Hip-Hop zu spielen? Das, sagt Sajeh Tavasolie, sei erstaunlich leicht gewesen: Das Wiener Ambassade Orchester habe seine Fühler selbst schon Richtung Beatboxing ausgestreckt gehabt, und dass der Dirigent bis dahin noch nie in seinem Leben Sneakers getragen habe, sei auch nicht weiter ein Problem gewesen. Schwieriger war da schon die Hip-Hop-Community zu überzeugen.

Die vorsichtige Frage der „Presse“ zum Konzept sei da nichts im Vergleich zur Skepsis, die ihr im Vorjahr aus der Szene entgegengeschwappt sei. Warum man 75 Euro Eintritt für eine Veranstaltung zahlen solle, sei vielen nicht eingegangen.

Inzwischen haben schon einmal 700 Leute in Abendkleid, Anzug und Sneakers im Palais Niederösterreich zu Hip-Hop getanzt – und auch die Skeptiker, sagt Tavasolie, verstünden seit der Premiere besser, warum man für edle Roben, schönes Ambiente und 120 Künstler, „die fair bezahlt werden möchten“, Geld ausgibt. Aber man müsse eben verstehen, dass Hip-Hop aus den amerikanischen Armenviertel komme, und auch die hiesigen Fans des Genres würden nicht gerade aus den privilegiertesten Schichten stammen. „Diese Leute waren einfach noch nie auf einem Ball.“ Dass Hip-Hop von der Straße kommt, dürfe aber kein Hindernis sein. „Niemand singt davon, dass es dort so schön wäre. Es geht ja gerade darum, irgendwann von der Straße wegzukommen.“

Wienerin aus Teheran

Auch Sajeh Tavasolie hat Zeiten hinter sich, die sie ohne die tröstenden Texte des Hip-Hop „nicht überstanden hätte.“ Geboren wurde die 28-Jährige im Iran, seit sie fünf ist, lebt sie in Österreich. „Mein Vater war beim Militär und hatte, wie viele andere auch, mit der Regierung seine Schwierigkeiten. Er wollte, dass seine Töchter unter anderen Voraussetzungen aufwachsen.“ Wie anders diese Voraussetzungen sein würden, war ihm dabei vielleicht nicht ganz bewusst. Sie sei schon mit 15 ausgezogen und habe zu arbeiten begonnen, erzählt Tavasolie. Ihr Vater habe sich mit einer pubertierenden Tochter im fremden Land eben schwer getan, heute verstehe auch sie ihn besser.

Einfach sei es jedenfalls nie gewesen, Traiskirchen, Wien, Warten auf die Anerkennung – erst seit zwei Jahren hat sie die österreichische Staatsbürgerschaft. Zum Schluss wollte die Beamtin sie noch in einen Deutschkurs stecken. „Dabei hab ich in Deutsch mit einem Einser maturiert.“ Mit 23 fand sie ihren Weg in die Eventbranche, organisierte im Volksgarten eine „weibliche Eventreihe“: Schicker, und mit Benimmregeln für flirtwillige Herren. Rückblickend, sagt sie, seien da die Ansätze für einen Ball schon da gewesen. Sich als junge Frau gegenüber „den Herrschaften der Eventszene, und es waren wirklich nur Herren ab 40“, zu behaupten, sei schwer gewesen, brachte aber auch einen Job bei Radio Energy. Eine Aufgabe, die sie unter anderem mitten in die Wiener Ballkultur führte.

Vom Rosen- bis zum Zuckerbäckerball sei sie auf mindestens 20 Bällen gewesen – in deren ganzer Lebendig- wie manchmal auch Schläfrigkeit. Ein paar wegdösende ältere Leute an einem Tisch hätten sie auf die Idee gebracht. „Ich hab mir gedacht, bei Hip-Hop würden hier alle tanzen.“ An einem Sonntag im März 2015 schilderte sie ihrem heutigen Organisationspartner Markus Steinwender von der Eventarena Vösendorf den Plan eines Hip-Hop-Balls. Tags darauf begann sie mit der Arbeit. „Neunzig Prozent der Leute haben mich gefragt, ob ich verrückt bin.“ Aber: „Auch Walzer war einmal ein revolutionärer Tanz.“

Für den zweiten Hip-Hop-Ball am Samstag hat sie, trotz eines Minus im Vorjahr, heuer den (größeren) Kursalon Hübner gemietet. „Beim ersten Mal musste ich Wien einmal meine Vision vorführen.“ Diesmal gibt es, neben Auftritten der Urgesteine Texta oder der international gefeierten Berliner Flying Steps mit ihrer Klassik-Breakdance-Mischung „Red Bull Flying Bach“, dafür auch das, was beim ersten Mal zu kurz kam: eine Botschaft.

Ein All-Star-Team aus 16 Rappern, DJs, Tänzern und Graffiti-Künstlern soll bei der Eröffnung eine Geschichte erzählen: Von einer Stadt im Notstand, in der Unschuld, Hoffnung und Vertrauen die negativen Gefühle Wut und Habgier, Neid, Angst und Trauer davon überzeugen müssen, „dass man die Situation nur gemeinsam überstehen kann.“ Ein wenig spricht da auch jene Sajeh Tavasolie, die gern „die Welt verändern“ würde. Seit Kurzem hat sie einen Bachelor in Internationaler Entwicklung in der Tasche. „Und ich weiß, dass ich eines Tages definitiv in diese Richtung gehen werde.“

AUF EINEN BLICK

Der Wiener Hip-Hop-Ball findet am Samstag, 28. Jänner, zum zweiten Mal statt. 20 DJs legen im Kursalon Hip-Hop, Soul und R&B auf, die Flying Steps bestreiten die Mitternachtseinlage. Insgesamt 120 Sänger, Beatboxer, Tänzer und Graffitikünstler sollen hier auch der Öffentlichkeit präsentiert werden. Dresscode: bodenlanges Kleid, Anzug mit (bunter) Fliege und Sneakers.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.