Ein Tänzer mit kleinen Ticks

Dominik und seine Mutter Admira Vaida vor der Staatsoper. Mit ihrem Buch wollen sie ein Tabu brechen – und sich bei vielen Unterstützern bedanken.
Dominik und seine Mutter Admira Vaida vor der Staatsoper. Mit ihrem Buch wollen sie ein Tabu brechen – und sich bei vielen Unterstützern bedanken.(c) Voithofer Valerie
  • Drucken

Dominik Vaida hat es bis in die Jugendkompanie der Wiener Staatsoper geschafft. Dass er am Tourette-Syndrom leidet, hielt er dabei jahrelang geheim.

Das Erste, was Admira Vaida wirklich bemerkte, war ein Wiehern. Schon zuvor waren ihr kleine Dinge aufgefallen, ein Zwinkern hier, eine Grimasse da. Aber dann, es war auf einem Familiengeburtstag, war es irgendwann offensichtlich, als Vaidas fünfjähriger Sohn Dominik beim Spielen mit dem Kopf zuckte, sein Gesicht verzog – und tierische Laute von sich gab. Er könne sich nicht mehr genau erinnern, womit er damals spielte, sagt Dominik Vaida. „Aber es war jedenfalls kein Pferd.“

Dass er heute als Tänzer der Jugendkompanie der Wiener Staatsoper hier sitze, komme ihm manchmal selbst unglaublich vor. Zumal Ballettschule und Gymnasium erst seit Kurzem von seiner Diagnose Tourette-Syndrom wissen. Lang haben Mutter und Sohn die Tatsache geheim gehalten. Sie sprach allenfalls von „Entwicklungsstörungen“, er entwickelte große Kreativität darin, seine Ticks zu vertuschen. „In der Schule habe ich oft etwas unter den Tisch fallen lassen, damit ich mich dort auszucken kann.“ Über all die Jahre zitterte die Mutter, ihr Sohn könnte seinen Platz verlieren. „Das Tanzen hat ihm so gut getan.“ Das Gefühl, sagt der 19-Jährige, könne man nicht beschreiben. „Aber wenn ich getanzt habe, war alles andere weg aus meinem Kopf.“ Und die Ticks, die seien dann kaum zu bemerken.

Als Ursache für seine Störung vermuten die Ärzte eine Immunreaktion auf eine Streptokokkeninfektion. Dass Admira Vaida nun ein Buch darüber geschrieben hat, hängt wohl mit dem Unverständnis zusammen, dem sie auf ihrem Weg begegnete. Sie wolle doch nur Pflegegeld, mutmaßte der Kinderarzt. Das Kind gehöre in die Sonderschule, meinte die Volksschullehrerin; später bestand sie darauf, den Buben in die Hauptschule zu schicken, ein Gymnasium würde seine Bewegungen und Laute nicht akzeptieren.

Das war mit ein Grund dafür, dass Admira Vaida auf die Wiener Staatsoper verfiel. In einer liegen gelassenen Zeitung in einer Straßenbahn hatte sie eine Annonce entdeckt, in der die Oper zum Vortanzen einlud. Die Kinder würden eine Ballettausbildung bekommen – und ein Gymnasium besuchen. Vaida, deren Sohn von klein auf begeistert getanzt hatte, fragte, ob Dominik Lust habe. Wenn er die Prüfung nicht schaffe, bekäme er eben ein Eis auf dem Schwedenplatz .

Opernball als großes Ziel

Wenig später fand sich Vaida beim Vortanzen unter Ballettmüttern wieder. Die aus allen Wolken fielen, als Vaida fragte, wie die anderen Familien vom Vortanzen erfahren hätten. Aber bitte, das wisse man doch... Eine Tanzschulbesitzerin, Unternehmerinnen, reiche Russinnen, beschreibt Vaida die Szene. „Und ich, eine gerade arbeitslose Mutter, die nicht weiß, wie sie die nächste Miete zahlen soll.“

Dominik, der nie zuvor Tanzunterricht hatte, bekam einen Platz und nahm den harten Ballettalltag mit Freude an. Er wurde oft für Vorstellungen eingesetzt, tröstete in schwierigen Zeiten seine Mutter. Er habe, erklärt er seine Zuversicht, immer das Gefühl gehabt, dass seine Störung „etwas Vorübergehendes“ sei. Im zweiten Jahr durfte er auf dem Opernball tanzen. Das zu wiederholen, war sein großer Traum. 2015 war es so weit, doch er wurde in letzter Minute krank. Dass er 2016 noch eine Chance bekam, hielt die Familie für ein Wunder. Ein doppeltes: Seit seinem Auftritt ein Jahr zuvor seien die Ticks praktisch weg gewesen.

Erst nach diesem Opernball erlaubt Dominik seiner Mutter, ihre aufgezeichneten Erinnerungen zu veröffentlichen. Das große mediale Interesse – auch aus Deutschland und der Schweiz – überrascht die beiden. Er wolle dabei auf keinen Fall als Angeber dastehen, sagt Dominik. Betroffenen rät er, „die Hoffnung nicht aufzugeben und etwas zu suchen, bei dem man keine Ticks hat, bei dem man fühlt, dass man gelassener ist.“ Er tanzt heute in der Jugendkompanie, als Einziger seines Jahrgangs, der so weit kam. Jetzt träumt er von einem richtigen Engagement. An einen Plan B will er derzeit nicht denken. Aber Medizin, das Gehirn – das würde ihn interessieren. „Man weiß schließlich noch immer nicht, wie Tourette überhaupt entsteht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.