Das ist jetzt die große Trennung

utta Winkelmann, mit ihrer Zwillingsschwester Gisela Getty
utta Winkelmann, mit ihrer Zwillingsschwester Gisela Getty(c) imago stock&people (imago stock&people)
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Jutta Winkelmann, mit ihrer Zwillingsschwester Gisela Getty eine der Hippie-Ikonen Deutschlands, litt an Krebs und verabschiedete sich öffentlichvom Leben. Nun ist sie gestorben.

Nur wenige Stunden lagen am vergangenen Donnerstag zwischen den Nachrichten von ihrem Ableben. Und auch wenn die deutsche Künstlerin Jutta Winkelmann (67) und die österreichische Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (53) sehr verschiedene Persönlichkeiten mit reichlich unterschiedlichen Lebenskonzepten waren, einte sie eine Sache: Sie haben ihre Krankheit Krebs und den Umgang damit sehr früh öffentlich gemacht.

Das brachte beiden gleichermaßen viel Respekt und Anerkennung ein. So gleichen einander seit dem Bekanntwerden ihres Todes auch ihre Facebook-Seiten. Sichtlich berührt und betroffen kondolieren Freunde, Wegbegleiter und Bewunderer den beiden Frauen, nehmen Abschied mit Bildern von Blumen und gemeinsamen Erlebnissen. Da Ministerin Oberhauser sich auf Facebook damit bekannt und beliebt gemacht hatte, jeden Tag im Morgengrauen einen persönlichen „Wetterbericht“ mit einem Foto zu posten, nehmen viele User auf diese lieb gewonnene Tradition Bezug. Bei Jutta Winkelmann wiederum liest man immer wieder diesen einen Satz: „Wenn mich jemand gelehrt hat, über das Sterben anders zu denken, dann war sie es.“

Vor wenigen Wochen erst ist ihr Buch „Mein Leben ohne mich“ erschienen. Ein Protokoll ihrer Krankheit und ein Tagebuch ihrer letzten großen Reise nach Indien, zur Hälfte Erfahrungsbericht, zur Hälfte Graphic Novel. Vor drei Jahren, 2014, erfuhr sie, dass sich nach einem lange zurückliegenden Brustkrebs Knochenmetastasen gebildet hatten. (Auch Sabine Oberhauser erfuhr im Frühherbst 2014 von ihrer Krebserkrankung.) Winkelmann beschloss, über ihre Therapie und ihre Gefühle zu schreiben. Und offenbar war ihr rasch bewusst, dass sie sich auf den letzten Metern ihres ereignisreichen Lebens befand. Denn schon der erste Eintrag ihres Buches trägt die Überschrift: „This is the end“.


Ich will noch leben! Winkelmann ist ehrlich in ihren Aufzeichnungen, schont weder sich noch ihr engstes Umfeld. Sie beschreibt vor allem ihre große Angst vor dem Tod, die sie im Verlauf der Krankheit schwer, aber doch ablegen kann. Heißt es zu Beginn noch: „Es wird mein Leben so nicht mehr geben. Aber ich will noch leben. Ich will nicht sterben. Ich will auch keine Angst mehr davor haben. Keine Angst vorm Sterben. Diese Angsthölle bringt mich um.“ So lautet ihre Botschaft am Ende ganz anders. In einem berührenden Interview mit dem „Stern“ gab sie, obwohl sichtlich geschwächt von den Schmerzen, die sie nicht mehr mit Schmerzmitteln bekämpfen wollte, reflektiert Auskunft. Während des Schreibens dieses Buches sei sie „noch entsetzt“ gewesen. „Ich hatte noch Angst. Ich habe damals noch gegen das Schicksal angekämpft.“ Sie fragte sich sogar, ob es klug gewesen war, dieses Buch zu veröffentlichen; wenn sie nun noch eines schreiben würde, wäre es viel optimistischer, war sie überzeugt. „Ich würde schreiben, dass man keine Angst haben muss, dass man definitiv zum neuen Leben kommt.“ Im Grunde gehe es darum, „sich selber abzuschaffen, bevor der Tod dich an die Hand nimmt“, beschrieb sie ihre Aufgabe in dem Buch.

Jutta Winkelmann ist so gestorben, wie sie gelebt hat. In der Öffentlichkeit. Sie galt seit den frühen 1960er-Jahren als eines der Aushängeschilder der deutschen 68er-Bewegung. Stets im Gespann mit ihrer Zwillingsschwester, Gisela. Die beiden lebten die freie Liebe und den Drogenrausch, teilten Männer und Bekannte wie Leonhard Cohen und Bob Dylan. Sie kamen 1949 als Töchter eines verarmten SS-Offiziers mit dem Namen Schmidt in Kassel zur Welt, fanden schon als Teenager Zugang ins dortige Künstlermilieu. Der frühere „Spiegel“-Kulturchef Matthias Matussek sprach den beiden 2008 zum Erscheinen ihres erstens Buches „Die Zwillinge“ ein Kompliment aus: Sie seien zweifelsohne interessanter als „das erotische Instinkt-Tier Uschi Obermeier“ gewesen. Und er beschrieb ihre Beziehung so: „Vieles erleben sie gleichzeitig: Entjungferung, erster Trip, lesbischer Sex. Sie sind das Duo, unlösbar, und da kommt kein Mann letztlich dazwischen . . .“ Später bekommen sie auch sehr zeitnah Kinder. Auch ihre ersten Ehen halten ungefähr gleich lang, also kurz. In Rom lernt Gisela den Milliardärserben Paul Getty kennen, den sie später heiratet. Es folgen Drogeneskapaden und eine teils von ihm iniziierte Entführung durch die Mafia. Die ihn sein rechtes Ohr, seinen Großvater fast drei Millionen Dollar und die Zwillinge eine Haft in einem römischen Gefängnis kosteten, weil sie vorübergehend als Tatverdächtige galten.


Die große Trennung von der Schwester. Freie Liebe war für die Zwillinge nicht nur Schlagwort oder Mode. Sie lebten ihr gesamtes Leben so, bildeten mit drei weiteren Frauen und dem Filmemacher Rainer Langhans den Münchner „Harem“ – eine offene Lebensgemeinschaft in getrennten Wohnungen und mit weiteren wechselnden Partnern der Frauen. Wie schwer dieses Zusammenleben mitunter sein kann, zeigen Winkelmanns Schilderungen über ihre letzte Indien-Reise mit Langhans und zwei Frauen aus dem Harem. Dennoch wird aus ihren Aufzeichnungen deutlich, dass Langhans ihr Lebensmann war, den sie sehr geliebt hat.

Der Tod von Jutta Winkelmann ist vor allem für ihre Schwester Gisela Getty eine Zäsur. Dem „Stern“ sagte Getty: „Das ist jetzt die große Trennung. Das schafft Angst – wer bin ich ohne sie? Kann ich überhaupt ohne sie leben?“ Dabei haben die beiden ihr extrem symbiotisches Verhältnis oft als Fluch empfunden und sich nach einer Trennung gesehnt.

Termin: Gisela Getty kommt nach Wien und spricht mit Günter Kaindlstorfer (Ö1) über ihre Schwester und deren Buch. Burgschauspieler Robert Reinagl liest Texte von Jutta Winkelmann. 16. März, 19 Uhr, Hauptbücherei Wien.

Das Buch

Jutta Winkelmann: „Mein Leben ohne mich“, Weissbooks, 368 Seiten.

Zur Person: 1949–
2017, Zwillingsschwester von Gisela Getty. Kunststudium in Kassel, Filmemacherin, Schauspielerin. Teil des Münchner „Harem“ mit Rainer Langhans.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2017)

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