Das Stehaufmädchen

(c) Clemens Fabry
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Bei Dancer against Cancer erhält Martina Hagspiel den MyAid-Award. Für sie war ihre Erkrankung nie ein Tabu. In Vorträgen spricht sie Betroffenen Mut zu, sich nicht zu verstecken.

Es war im September 2010, als Martina Hagspiel in der Mittagspause kurz zum Arzt ging . . . sie sollte erst eineinhalb Jahre später wieder ins Büro kommen. Denn die Diagnose war niederschmetternd und erforderte eine sofortige Behandlung: Sie litt an bereits metastasierendem Brustkrebs. „Das war kurz vor meinem 33. Geburtstag, den ich dann bei der Knochenszintigrafie verbrachte.“ Eine sofortige Operation und sechs jeweils dreiwöchige Zyklen Chemotherapie folgten, nach einem Monat Erholung dann noch die Bestrahlungen. „Die Ärzte haben mir für die ersten fünf Jahre eine Fifty-Fifty-Überlebenschance eingeräumt.“ Ein Albtraum, der viele Menschen trifft. Aber nur wenige reden darüber. „Man hat starke Angst. Und man ist stigmatisiert: Als Krebspatient hat man den Stempel des Todes auf der Stirn“, erzählt die gebürtige Vorarlbergerin. „Und du kommst dann in die absurde Situation, dass du dein Gegenüber tröstest, weil du selbst krank bist.“

Manche schaffen das einfach nicht, weiß sie aus zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen: „Ich kenne eine Frau, die ist stolz darauf, dass ihre Kinder nicht mitbekommen haben, dass sie eine Chemo durchmachen musste. Sie hat gleich in der Früh, wenn sie aufgestanden ist, eine Perücke aufgesetzt und sie erst am Abend im Bett wieder abgenommen. Und ich kenne mehrere Fälle, von denen nicht einmal die besten Freundinnen wissen, was los ist, weil die Frauen es so gut verstecken. Sie haben Angst davor, dass sie mit der Information über ihre Krankheit Leid und Sorge auslösen.“

Hagspiel hat es anders gemacht. Sie hat ihre Schwester, ihre Mutter und ihren damaligen Freund sofort von ihrer Krankheit informiert, das weitere Umfeld nach einer kurzen Schreckphase. „Als mir die Haare ausgegangen sind, habe ich wirklich das Bedürfnis gehabt, darüber zu reden. Ich habe angefangen zu erklären, was mit mir los ist.“ Das sei, sagt sie, auch befreiend gewesen. „Ich habe das Glück gehabt, dass ich mich nie davor gefürchtet habe, das Thema anzusprechen – immer nur vor der Krankheit.“

Die Angst vor dem Sterben wurde zum ständigen Begleiter. „Ich bin dadurch gereift. Ich musste lernen, dass niemand einen Anspruch auf ein Morgen hat. Das war schwierig. Und ich musste mit der Angst umzugehen lernen, die immer wieder aufpoppt.“ Das passiert noch immer. Krebs ist eine chronische Erkrankung – und auch wenn sie ihre Fifty-Fifty-Chance genutzt hat, kann er wieder kommen. „Ich habe aber einen ganz guten Weg für mich gefunden, damit umzugehen“, erzählt sie. „Ich mache viel mit Affirmationen: Das sind kurze, positive Sätze an das innere Ich. So ähnlich wie Autosuggestion.“ Das kann man lernen. Hagspiel spricht darüber in Vorträgen, die sie mit der Psychologin und Paartherapeutin Doris Jeloucan hält. Als „Stehaufmädchen“ sprechen die beiden über Resilienz und Glück.


Krebswitze wider die Ohnmacht

„Das war mein Trost: Dass ich in Sachen Resilienz ein Naturtalent bin“, erzählt Hagspiel. „Ich bin wirklich ein Stehaufmädchen und kann mich sehr schnell von Rückschlägen erholen.“ Und noch ein Talent wurde ihr in die Wiege gelegt: der Hang zum schwarzen Humor. „Man erlebt während einer solchen Erkrankung schon Momente der Verzweiflung: Da ist dieses Gefühl der kompletten Ohnmacht – aber dazwischen war es auch sehr lustig.“ Das habe ihr geholfen. Und ihrem engsten Umfeld auch. „Nach der Diagnose waren meine Schwester und meine Mutter bei mir, und wir haben miteinander geweint und gelacht. Am nächsten Tag gingen wir essen und haben uns einen Wettkampf geliefert, wer auf der Speisekarte die meisten Gerichte mit ,Krebs‘ findet. Ich habe gewonnen – mit ,Crêpe Suzette‘“, lacht sie. So einen gelösten Umgang mit dem Krebs haben nicht viele. Und auch wenn man es gut meint, kann man viel falsch machen: „Mitgefühl ist super, Mitleid hingegen ist schrecklich für den Patienten, weil es die Energie absaugt.“

Der Weg durch die Krankheit sei furchtbar gewesen, erzählt Hagspiel: „Ich bin an der Brust operiert worden und an den Eierstöcken. Dann kam die Chemo. Da verändert man sich körperlich total. Das nimmt einem die komplette Weiblichkeit. Und man hat mich mit Medikamenten in einen künstlichen Wechsel geschickt. Da erkennst du dich dann selbst nicht mehr.“ Noch immer muss sie Medikamente nehmen – weitere vier Jahre lang –, kämpft mit Wallungen, mangelndem Sättigungsgefühl und Knochenschmerzen.

„Wenn ich vier, fünf Tage am Stück Schmerzen habe, dann geht einfach nichts mehr.“ Aber sie wäre kein „Stehaufmädchen“, würde sie nicht immer wieder mit ihrer ansteckend guten Laune zurückkommen. „Gesundheit entsteht im Kopf“, sagt sie. „Ich habe viel verändert.“ Den Job als Versicherungsmaklerin hat sie an den Nagel gehängt. Sie hat ihr Privatleben neu geordnet und sich nach dem Ende der Behandlung eine Auszeit genommen.

Ein weit gediehenes Buchprojekt über Krebspatienten – „Kurvenkratzer“ –, für das Fotografen wie Erich Lessing, Marc Lagrange und Greg Gorman bereits zugesagt haben, scheiterte vorerst an der Finanzierung. „Aber das wird noch“, ist Hagspiel überzeugt. Sie kann auch so ihre Erfahrungen weitergeben. Und sie engagiert sich gern. „Ich versuche, aus dem, was mir passiert ist, etwas Gutes zu machen.“ Dafür wird sie am 25. März beim Charity-Ball Dancer against Cancer mit dem MyAid-Award ausgezeichnet.

Fakten

Dancer against Cancerist ein Charity-Ball mit Prominententanzturnier, den Yvonne Rueff und Matthias Urrisk zum nunmehr elften Mal organisieren. Der Ball findet am 25. März in der Hofburg statt. Sämtliche Künstler verzichten auf ihr Honorar – der Reinerlös kommt der Österreichischen Krebshilfe zugute.

Der MyAid-Award wird an Personen vergeben, die „Gutes tun, ohne eine Gegenleistung zu erwarten“, heißt es von den Organisatoren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2017)

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