Harri Stojka: „Wir wollen das Leben feiern“

Gitarrist Harri Stojka will mit einem Fest und Musik die Erinnerung wachhalten.
Gitarrist Harri Stojka will mit einem Fest und Musik die Erinnerung wachhalten.(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Im Baranka-Park, benannt nach seiner Großmutter, erinnert Harri Stojka heute wieder an die vom NS-Regime ermordeten Roma – mit einem Fest.

Da in ihrem Süden ab 1899 die Heller-Schokoladefabrik lag, hieß sie die Hellerwiese: Eine weite Fläche in Wien Favoriten, die schon seit dem 18. Jahrhundert als Lagerplatz von Roma- und Sintifamilien genutzt wurde, die mit Teppichen, Stoffen und Pferden bis ins Grazer Becken handelten. Auch Helene Huber lebte hier – wobei, Helene Huber war nur der Name für die Behörden, ihr Roma-Name war Baranka. „Sie war die Ärztin der Familie, eine Naturheilerin, sie hat Penicillin verwendet, bevor es bekannt war, hat einfach Schimmelpilze von Bäumen geschabt“, sagt Harri Stojka über seine Urgroßmutter. „Und sie war eine Respektsperson: Jeder hat auf ihren Rat gehört.“

Kennengelernt hat der Musiker Baranka nie. Spätestens 1941 verloren sich die Spuren der meisten Menschen von der Hellerwiese in den Konzentrationslagern. Dass Harri Stojkas Großvater noch kurz zuvor in einem verzweifelten Versuch in Ottakring sesshaft geworden war, rettete ihn nicht, er wurde schon 1939 in Hartheim vergast, seine Frau bekam noch eine Schachtel mit seiner Asche. Sein Sohn Mongo, Harris Vater, überstand Auschwitz-Birkenau, Buchenwald und Flossenbürg – als eines von sechs Mitgliedern der rund 200-köpfigen Familie.

Gesprochen, sagt Harri Stojka, habe sein Vater darüber über Jahrzehnte hinweg nie. Allenfalls bei Familienfesten habe es Andeutungen gegeben, wohin dieser oder jene verschwunden sei, „aber unser Vater hat nichts erzählt, er wollte uns nicht belasten“. Irgendwann, erinnert sich Stojka, habe er sich ein paar Bücher zum Thema gekauft. „Was soll das?“, fragte Mongo, Teppichhändler, stolzer Autobesitzer und Lebemann, prompt. „Geh lieber in ein Museum und schau dir Kunst an, oder geh üben.“

„Es darf kein Rucksack sein“

Das sei immer die Einstellung des Vaters gewesen und später auch die seine: „Man muss aus der Vergangenheit lernen, darf sie aber nicht wie einen Rucksack mitherumtragen.“ Zu viele Leute, glaubt er, „richten ihr Leben nach der Vergangenheit aus. Das darf man nicht, dann gibt es keinen Fortschritt.“ Irgendwann begannen die Stojkas trotzdem mit der Erforschung ihrer Geschichte. Ende der Siebziger schlossen sich die Roma international zusammen, ihre Anliegen wurden zum Thema, und Harris Onkel Karl Stojka fuhr ins Bundesarchiv in Berlin, um herauszufinden, was aus den Familienmitgliedern geworden war. Auch Harri Stojka selbst hat erst spät begonnen, sich mit dem Thema zu befassen. „Ich war ja in der Rockszene, ein Hippiekind“, das lieber Musiker kennenlernte und bei seinen Freunden war.

Am Ende hat er seinen Vater überredet, sein Buch mit Erinnerungen zu schreiben. Und es war Mongo, der auf der Hellerwiese eine rote Kastanie pflanzte. „Das war der Lieblingsbaum der Roma“, sagt Harri Stojka. „Weil er viel Schatten spendet und die Blüten eine schöne rote Farbe haben.“ Fröhliche Farben seien seinen Vorfahren wichtig gewesen. Seine Großmutter etwa habe nie weißes Bettzeug gehabt, erinnert er sich. „Nur buntes.“ Am heutigen Samstag findet auf der Hellerwiese, die heute Baranka-Park heißt, zum neunten Mal eine Gedenkfeier statt. Das Datum, der 20. Mai, ist Mongos Geburtstag. Stojka selbst will dabei hauptsächlich Gitarre spielen. „Es geht darum, die Erinnerung an die Menschen wachzuhalten“, sagt er. „Mit Musik funktioniert es am besten.“ Wie im Vorjahr wird es heuer aber auch eine Lesung von Doron Rabinovici geben. „Sein Instrument ist die Sprache, und die beherrscht er perfekt.“ Immerhin war auch die jüdische Heller-Fabrik nebenan betroffen, sie wurde arisiert. Heute ist darin ein Pflegeheim untergebracht. Dessen Bewohner sind ebenso eingeladen wie die Schüler einer Favoritner Musikschule.

Das ist Stojka wichtig, weil sie es seien, die die Zukunft gestalten werden. „Man muss den Kids klarmachen, dass sie keinen Demagogen auf den Leim gehen dürfen, auch wenn Schlagwörter leichter zu begreifen sind als Hintergründiges.“ Das Gedenken sei jedenfalls „nicht so gedacht, dass jeder dort steht und eine Träne zerdrückt“, betont er. „Wir wollen die Menschen zum Tanzen bringen und das Leben feiern.“

AUF EINEN BLICK

Gitarrist Harri Stojka stammt aus einer Lovara-Familie: Roma, die mit Pferden gehandelt haben. 200 Familienmitglieder wurden in der NS-Zeit ermordet, darunter seine Urgroßmutter Baranka und sein Großvater. Sein Vater, Mongo, überlebte drei KZ. Stojka, seine Frau, Valerie, und ihr Verein Voice of Diversity laden heute zur Gedenkfeier: Es spielen u. a. Martin Spengler & die foischn Wiener. Baranka-Park auf dem Belgradplatz, 17–20h, bei Schlechtwetter: Quellenstraße 149.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2017)

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