„Ein visualisiertes Lied“ im Kino

Die Wiener Sängerknaben treffen in „Good Shepherds“ in Kenia auf junge Massai.
Die Wiener Sängerknaben treffen in „Good Shepherds“ in Kenia auf junge Massai.(c) Faudon Movies
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Curt Faudon hat mit den Wiener Sängerknaben weltweit Hirten besucht – und ein neues Genre kreiert: einen poetischen Appell für Verantwortung.

Bis zuletzt, erzählt Curt Faudon, habe er nicht gewusst, ob der Film bis zur Premiere mit Jane Goodall fertig würde. In der letzten Nacht, um drei Uhr morgens, seien schließlich die ausständigen, riesigen Datenmengen aus Indien eingetrudelt – aus jener Digitalschmiede, die für „Life of Pi“ auch half, den schiffbrüchigen Tiger lebendig werden zu lassen.

In „Good Shepherds“ sind es keine Tiger, sondern Löwen, die näher an die Menschen heranschleichen, als sie es in Wirklichkeit würden und dürften. Vor allem aber ist es die 4000 Jahre alte irakische Vase von Warka, die in ihren Reliefs erzählt, was Zivilisation ausmacht – und die Curt Faudon für seinen Film in einer opulenten 3-D-Version bestellt hat. Sie zieht sich wie eine Metapher durch sein jüngstes Werk, das abgesehen davon schwer zu kategorisieren ist. Eigentlich, sagt Faudon, sei es ein neues Genre, das er da produziert hat. Nicht Spielfilm, nicht Dokumentation, eher ein „visualisiertes Lied“ im eineinhalbstündigen Kinoformat: Stadt- und Landschaftsaufnahmen wie aus einem Werbevideo, viele Schafe, Rinder, Ziegen, Erzählungen über die Geschichte des Hirtentums, getragen von Bubenstimmen, die Bach und Händel singen.

Curt Faudon, der seit 1979 als Regisseur in New York lebt, hat schon ein paar Filme über die Sängerknaben gedreht, darunter „Silk Road“, in dem die Buben auf der Seidenstraße unterwegs sind. Dabei, sagt er, sei er dem Chor ursprünglich selbst skeptisch gegenübergestanden, zu sehr habe er ihn mit Lipizzanern und Sachertorte assoziiert. Faudon hatte den Zuschlag für ein Werbevideo über Wien bekommen und sollte den Chor einbauen. Er ließ die Buben, es war kurz vor der Euro 08, bei einer Probe ausbüxen, um – in Uniform – Fußball zu spielen. „Grandiose Burschen“, sagt Faudon heute, „mit einer enormen Persönlichkeit.“

Für sein aktuelles Projekt sollten sie eigentlich in Bethlehem und Palästina Weihnachtslieder singen. Aber dann, so Faudon, sei ihm bei den Dreharbeiten aufgefallen, „dass sich die Kinder zusehends Gedanken machen über den Zustand der Welt“. Von dort sei es nicht mehr weit zum Gedanken des Hirtentums gewesen: „Hirtentum“, heißt es denn auch im Film, „ist der Grundstein unserer Gesellschaft, die Basis unserer Zivilisation.“ Ein Hirte könne seine Zukunft absichern, müsse das ihm Anvertraute aber behüten.

Singen mit Massai und Samen

Ausgehend davon hat Faudon gemeinsam mit Tina Breckwoldt von den Sängerknaben gut 70 Hirtenlieder gesammelt, 22 ausgewählt und dann eine ziemliche Reise angetreten. In Irland, Norwegen, Polen, Bethlehem, Jerusalem, Palästina und Jordanien hat er jeweils mit einer kleinen Gruppe von Sängerknaben gedreht, sie teilweise zusammen mit traditionellen Hirten singen lassen. In Lappland trafen sie auf Samen mit ihren Rentieren und ihren Joiks, kehligen, spirituellen Gesängen; in Kenia auf junge Massai, die heute oft nicht mehr dadurch zum Mann werden, dass sie einen Löwen töten, sondern indem sie die Raubtiere beschützen. Die Massai mit ihrem bunten Schmuck, die Sängerknaben in ihren blauen Matrosenuniformen, gemeinsam in der Savanne – ein Bild, so absurd, dass es schon wieder schön ist.

Überhaupt hat Faudon, der Spiel-, aber auch Werbefilme macht, jede Menge Material produziert, das er selbst als „traumartig“ beschreibt; dabei habe er sich aber große Mühe gegeben, Klischees zu vermeiden. Eine Szene aus der Geburtskirche habe er in Polen neu gedreht (ob das Mädchen mit Kinderwagen dort sein musste, sei dahingestellt), jene in der New Yorker Grand Central Station ergänzt – um ein Lied einer Broadway-Sängerin, die gegenüber dem „Fürchtet euch nicht“ des Sängerknaben Zweifel anmeldet.

Rund um den jungen Sänger strömen dort die Leute zur Arbeit, überhaupt mischt Faudon immer wieder Menschenmengen und Schafherden, und der Unterschied scheint gar nicht so groß. Letztlich, so heißt es, seien auch Menschen nur ängstliche Tiere. Der versammelte Chor der Sängerknaben wird übrigens via Aufnahmen aus dem Schlosstheater Schönbrunn zugeschaltet (wo die Adligen schon im 17. und 18. Jahrhundert als Hirten verkleidet dem Eskapismus frönten).

In New York und Los Angeles hat Faudon seinen Film schon vor Publikum getestet, die Resultate seien „vielversprechend“. In Europa sei es schwieriger, zu sehr würden die Sängerknaben hier als Tourismusvehikel dienen. Er selbst ist jedenfalls auf den Geschmack gekommen und will das neue Genre weiterverfolgen. Für „Ship of Songs“ will er mit Sängerknaben und anderen Künstlern auf einem Dreimaster in die Antarktis segeln und in den Pazifik – zu den Inseln, die wegen des Klimawandels in den nächsten fünf bis sieben Jahren untergehen werden.

ZUR PERSON

Curt Faudon wurde 1949 in Graz geboren, nach der Matura drehte er seinen ersten Film, „Magic Graz“, über seine Heimatstadt und gewann damit den österreichischen Staatspreis. 1979 wanderte er nach Amerika aus. „Good Shepherds“ mit den Wiener Sängerknaben setzt sich mit der Idee des Hirtentums auseinander und hatte vorige Woche in Anwesenheit von Jane Goodall in Wien Premiere, die Forscherin kommt auch im Film vor. „Good Shepherds“ soll zunächst auf Festivals laufen und dann ins Kino kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2017)

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