„Agnus Dei“: „Niemand hat davon gewusst“

Regisseurin Anne Fontaine bei einem Wien-Besuch.
Regisseurin Anne Fontaine bei einem Wien-Besuch.(c) Philipp Tomsich
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In „Agnus Dei“ widmet sich „Coco Chanel“-Regisseurin Anne Fontaine vergewaltigten Nonnen – und einer wahren Geschichte. Ein Gespräch über ein Tabu.

Es ist nicht gerade sommerlich leichte Kost, die da derzeit etwa im Wiener Admiralkino läuft – und das liegt nicht nur daran, dass es in „Agnus Dei“ bitterkalter, schneereicher Winter ist. Erzählt wird darin die Geschichte einer jungen französischen Ärztin, die 1945 in Polen, einige Monate nach Kriegsende, von einer jungen Nonne heimlich ins Kloster gerufen wird. Eine Mitschwester ist schwanger – und wie sich herausstellt, nicht nur sie.

Eine Geschichte, „zu der sie nicht nein sagen können würde“: So, erinnert sich Regisseurin Anne Fontaine, hätten ihr die Produzenten Éric und Nicolas Altmayer den Stoff präsentiert. Bis dahin hatte die Filmemacherin, die etwa Audrey Tautou als Coco Chanel in Szene gesetzt hat, noch nie von Madeleine Pauliac, dem realen Vorbild der jungen Ärztin gehört. Doch da ist deren Neffe, der ihr Kriegstagebuch hat – in dem Pauliac beschreibt, wie sie auf die schwangeren Nonnen traf, vergewaltigt von Soldaten der sowjetischen Armee.

Sie habe nicht gleich zugesagt, sondern zunächst eigene Recherchen angestellt, berichtet Fontaine. „Ich habe herausgefunden, dass es wirklich passiert ist. Nicht nur in diesem Fall, sondern drei oder viel Mal in Polen. Nonnen wurden vergewaltigt, schwanger, manche wurden ausgestoßen und umgebracht.“ Wie unterschiedlich die Nonnen mit dem Unsagbaren, dass da in ihre Welt gebrochen ist, umgehen, das inszeniert Fontaine nun in ihrem Film (eine „Presse“-Kritik dazu ist bereits erschienen). Inspiriert, sagt sie, habe sie dabei ein Brief einer bosnischen Ordensfrau, der Gleiches widerfahren war – und die in dem Schreiben ihre Mutter Oberin um Rat fragt, was denn zu tun sei: Ob eine Nonne Mutter sein dürfe? „Man kann nicht nicht weinen, wenn man diesen Brief liest.“

Vorführung im Vatikan

Sie selbst lässt die Mutter Oberin ihres Films die Frage negativ beantworten, auf radikale Art. „Sie denkt falsch, aber sie gibt ihr Bestes dabei. Das Problem ist, dass sie die Entscheidung alleine trifft, nicht mit den anderen spricht.“ Fontaine fühlt sich dabei an Irland erinnert, wo Nonnen die Kinder „gefallener“, angesichts der Schande aus der katholischen Gemeinschaft ausgestoßener Frauen vernachlässigten, ihre Leichen in Massengräbern entsorgten. Und die Frage bleibe relevant: Auch in heutigen Kriegen oder Auseinandersetzungen mit Fundamentalisten bedeute die Vergewaltigung religiöser Frauen für manche Soldaten das ultimative Hochgefühl.

Der Vatikan, sagt Fontaine, habe ihren Film offen aufgenommen. „Ich habe ihn zwei Mal im Vatikan gezeigt, vor 400 Mönchen, Nonnen, Bischöfen. Die meisten haben geweint.“ Surrealistisch sei die Situation gewesen, gefürchtet habe sie sich zunächst davor. „Aber dann ist einer der Erzbischöfe aufgestanden, hat das Mikro genommen und gesagt, es sei ein schrecklicher Film für die Kirche, und dass es wichtig sei, solche Filme zu sehen.“

Ein Bild vom Leben in einem Konvent, sagt Fontaine, habe sie zuvor nicht gehabt. „Ich bin zwar katholisch erzogen worden, aber ich glaube nicht an Gott. Für mich war das alles Theater.“ Für den Film habe sie sich zwei Mal in ein Kloster zurück gezogen. „Die Nonnen haben mich adoptiert, ich durfte alles kennen lernen, ihre Rituale, ihre Persönlichkeiten. Wir haben über ihre Berufung gesprochen, ihre Konflikte, darüber, dass Glaube etwas Fragiles ist. Und darüber, dass vielen der Verzicht auf Sexualität viel leichter fällt als der Verzicht auf Mutterschaft.“ Bis heute kehre sie immer wieder zu einer der Schwestern zurück, wenn sie Fragen plagen.

Eine spezielle Liebe zu starken Frauenfiguren will sie bei sich nicht erkennen. „Ich mag starke Frauen und starke Männer. Menschen, die sich der Hierarchie widersetzen. Wir müssen Lösungen finden. Konformismus bedeutet Tod. Wer nur gehorcht, kann sich nicht bewegen, nicht leben.“

AUF EINEN BLICK

Anne Fontaine (geb. 1959) ist Regisseurin und Drehbuchautorin. 2009 drehte sie mit Audrey Tautou „Coco Chanel“. „Agnus Dei – Die Unschuldigen“ basiert auf der Geschichte der französischen Ärztin Madeleine Pauliac, die 1945 in einem polnischen Nonnenkloster heimlich Geburtshilfe leistete. Pauliac war in der französischen Résistance aktiv und starb 1946 bei einem Autounfall.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2017)

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