Tschauner-Bühne: Ein Stückerl altes Österreich

Emmy Schörg
Emmy SchörgBettina Frenzel
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Emmy Schörg ist das Urgestein der Tschauner-Bühne, die wiederum das letzte Stegreiftheater Europas ist. An zwei Abenden erzählt sie nun Anekdoten.

Emmy Schörg sitzt an einem der Biertische und betrachtet den baumbestandenen Hof des Ottakringer Theaters. Ein wenig ungewohnt sei es ja schon, an einem Vormittag hier zu sein. „Man sieht einmal, wie nett der Garten ist.“ Normalerweise ist Schörg hier nur abends – und das seit mehr als vier Jahrzehnten. Schörg ist die Doyenne „vom Tschauner“. Das „Urgestein von Wiens letzter Stegreifbühne“, die auch die letzte Europas ist, seit vor ein paar Jahren jene in Italien zugesperrt hat. Dabei wäre es schade, würde die Tradition ganz aussterben, findet sie. „Es ist schon ein Stückerl Kulturgut.“

Eines freilich, bei dem sie zunächst ja um keinen Preis mitwirken wollte. Eine Müllerstochter für Rumpelstilzchen war damals ausgefallen, sie wurde von der legendären Frau Tschauner als Ersatz geholt, „ich war in dieser Rolle studiert“. Warum die Kollegen da mit Bleistift um einen Tisch saßen und sich Notizen machten, war ihr unerklärlich. Erst spät dämmerte ihr, dass es sich um Stegreiftheater handeln müsse. „Ich hab alle Zustände gehabt. Kurz vor der Vorstellung hab ich mein Köfferl genommen und wollte mich rausschleichen.“ Allein, sie wurde erwischt („Madl, wo willst'n du hin?“) – und prompt zurückgebracht.

„Nie wieder“, schwor sie nach der Vorstellung. Immerhin fünf Jahre hielt sie ihre Weigerung durch. Heute ist sie die, der das Publikum schon einmal in der 46er-Straßenbahn applaudiert. Und jene, die noch von den alten Zeiten erzählen kann – was sie diese Woche an zwei Abenden tun wird. Sie hat noch den alten Tschauner in einem Pawlatschenhof mit Obstbäumen erlebt, „da sind einem die Marillen auf den Kopf gefallen“. Später, als sie einmal „schon zum Sterben war und dann doch noch von der Schaufel gehupft“ ist, ist sie gleich danach wieder aufgetreten, gegen den Willen ihres damaligen Partners. „Wenn du spielst, geh ich“, hatte er gedroht. Sie spielte, er ging. Auch nach dem Unfalltod ihrer Tochter habe ihr die Bühne geholfen. „Ich leide heute noch, aber das Theater hat mir Kraft und Liebe gegeben.“

Das Publikum wird freilich mit der Bühne älter und älter. „Was aber nicht heißt, dass es nicht auch junges Publikum gibt“, eben erst hätten sich zwei 19-jährige Opernfans zum Tschauner verirrt, die Burschen hätten versprochen, sie kämen jetzt öfter. Zwei Damen aus Deutschland wiederum erklärten unlängst, sie hätten zwar fast nichts verstanden, sich dabei aber bestens unterhalten. Und dann gibt es noch die „Herrschaften aus Salzburg“, Mittdreißiger, die stets mit dem Fahrrad kommen und Schörg ermahnen, gesund zu bleiben: „Wenn Sie mal nicht mehr sind, dann kommen wir nimmermehr“, sagen sie.

Ein wenig leid tut es Schörg, dass heutzutage „nur mehr Heiteres“ gefragt sei. „Mord in der Wurlitzergasse“ oder „Das Freudenhaus vom Liebhartsthal“ gelten als die beliebtesten Klassiker, während Stücke wie Ludwig Anzengrubers „Das vierte Gebot“ oder „Der Pfarrer von Kirchfeld“ nicht mehr auf dem Spielplan stehen. „Dabei habe ich sehr gerne ernst gespielt“, versichert Schörg. „Erst mit der Zeit bin ich zur Ulknudel geworden. Heute will jeder lachen. Wahrscheinlich, weil er privat nicht so viel zu lachen hat.“ So sei vor allem Mutterwitz gefragt, man müsse aber schon auch „einen guten Merks haben“. Und sie hat ein Buch, in dem sie sich ihre Rollen aus 60 Stücken „ehrlich aufgeschrieben“ hat, und in dem sie nachschlagen kann. Das „Theater des kleinen Mannes“ sei das Stegreiftheater eben. „Und eine der letzten Institutionen des alten Österreich.“

ZUR PERSON

Emmy Schörg wurde als Tochter eines Chauffeurs und einer Postangestellten in Hernals geboren und lebt in Simmering. Als Schauspielerin und Soubrette steht sie seit den Fünfzigerjahren auf der Bühne. Sie spielte auf den letzten vier Stegreifbühnen, vor allem beim 1909 gegründeten Tschauner, der seit 1957/58 in der Maroltingergasse untergebracht ist. Rund 40 verschiedene Stücke stehen pro Saison auf dem Plan. Am 13. und 14. Juli erzählt Emmy Schörg dort im Gespräch mit Gernot Rudle „Stegreifgeschichten“. www.tschauner.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2017)

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