Bühne aus Asphalt: Straßenkünstler

(c) Thomas Gobauer
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Bühnen sind frei: zumindest auf den Wiener Straßenfestivals im September.
Oder in den wenigen Nischen im öffentlichen Raum, wo man die Kunst die Menschen berühren lässt. Ganz ohne Eintrittskarte.

Da sollte doch Platz sein: Freier Himmel oben. Asphalt und Pflastersteine unten. Dazwischen stehen ganz schön viel Kubikmeter Raum offen. Doch der Kunst meist nicht so sehr. Zumindest nicht jeder, die unverrückbar und unbeweglich da steht, so dass sie bei den Förderungen noch als Kunst im öffentlichen Raum durchgeht. Bewegung kommt trotzdem in die Kunst im öffentlichen Raum, bei jener Form, bei der die Künstler selbst bei der Ausübung ihrer Kunst betrachtet werden können, nicht nur die Werke, die sie schaffen: das nennt man dann landläufig die Straßenkunst.

Straßenfestivals. Denn es ist September. Die Wiener Straßenkünstler kommen allmählich wieder zurück, im Sommer streifen sie meist quer durch Europa von Festival zu Festival. Zurück auf das schwierige Pflaster ihrer Heimat, um zumindest die paar Freiheiten zu genießen, die ihnen die Straßenfeste und Straßenkunstfestivals bieten, die in Wien stattfinden. Vom 8. bis 10. September etwa geht das Buskers Festival über die Bühne, die drei Tage lang Karlsplatz heißt. Eine Woche darauf legt die Stadt Wien noch mal extra viel Wert darauf, zu demonstrieren, dass man auf Straßen auch noch andere Dinge kann, als Autos parken und auf schmalen Streifen, die Gehsteige genannt werden, zu Fuß gehen. Das „Streetlife Festival“ zelebriert am 16. und 17. September auf der Babenbergerstraße das Straßenleben.

Für Sabine Maringer ist die Straße überhaupt die einzig mögliche Bühne für ihre Kunst: „Wo sonst sind Künstler und Publikum auf Augenhöhe“, sagt sie. Keiner erhebt sich über den anderen. Und das Publikum bildet die für Maringer schönste Form des Auditoriums: den Kreis. „Das ist auch mein Ansatz, warum ich Straßentheater so toll finde. Es ist die einzige theatrale Form, bei der wir im Kreis sitzen“. Kein VIPs, keine Bevorzugung. Keine besseren, keine schlechteren Plätze. Und auch sonst stellt die Straßenkunst so einige Prinzipien, die in eingehausten Kunstinstitutionen herrschen, auf den Kopf. Man zahlt nach der Vorstellung. Und auch dann nur, wenn man will. Vorverkauf gibt’s auch keinen. Dafür kommt das Theater auch mal gerne in den Park. Zu den Menschen, die sich gerne dort nach der Schule aufhalten. Mit ihrer „Compania Tetate“ und mit ihrem Straßentheaterstück „Zirkus der Träume“ ging Maringer auf ihr Publikum zu. Und begab sich auf jene Augenhöhe, die in der Straßenkunst, so wichtig ist, sie war in diesem Fall jene von Kindern und Jugendlichen.

Theater und Performances. Mit der Gruppe „Belle Etage“ ist Maringer ebenfalls quer über den Kontinent und noch weiter unterwegs, mit Straßen-Performances, Walks Acts, Stelzentheater, Tango und Akrobatik. Die Straßenkunst, weiß sie, ist in vielen anderen Ländern doch noch ein wenig freier als in Österreich. „Ich glaube ja, dass Straßenkunst nicht gewollt wird, weil sie nicht gut kontrollierbar ist“, sagt Maringer, „und weil wir in einer Zeit totaler Kontrlle leben, ist Straßenkunst auch wenig gefährlich“. Eben, weil sie die „Idee von Freiheit“ transportiere. „Deshalb werden Institutionen wie Theaterhäuser bevorzugt, weil man die besser kontrollieren kann“. Das Theater auf der Straße, das ist auch die leisere Form der Straßenkunst. Kein Fall von effektvollem „Busking“, die Form der Straßenkunst, die auch auf schnelles Feed-Back des Publikums abzielt, um die Passanten, die stehen bleiben, bei der Stange zu halten. Mit dem Nahziel, dass sich die Menschen für die Darbietung auch mit etwa Hutgeld bedanken.

Der „Zirkus der Träume“ folgt hingegen der Dramaturgie eines Theaterstücks, mit Anfang, Ende, Regie und musikalischer Begleitung. Die hat Georg Aichberger beigesteuert, komponiert mit den Einsprengseln  musikalischer Elemente unterschiedlichster Kulturkreise. Denn schließlich: Der Kreis, der sich da in den Wiener Parks rund um Sabine Maringers Kiste formierte, war stets auch ein Kreis der unterschiedlichsten Kulturen. „Die Kinder sollten auch lernen mit Hilfe des Stückes, ihre eigene Kultur liebevoll ins Herz zu schließen“, erzählt Maringer.

Georg Aichberger hat auch schon auf großen Boulevards Platz genommen. Auf einem Klapphocker. Meist hatte er seine beiden Kollegen Jakob Lackner und Herwig Schaffner dabei. Und diese wiederum ihre Instrumente, die Gitarre auf dem Schoß und die Geige auf der Schulter. Auftrittssdauer: „Solange bis die Polizei kam“, erzählt Aichberger. Auftrittsort: Las Ramblas, Barcelona. Auftrittsart: illegal. „Wir haben immer einen kleinen Verstärker dabei, sonst wären die Gitarren im Vergleich zur Geige zu leise“, sagt Schaffner. Inzwischen haben sie längst die Straße mit Bühnen getauscht, auf denen sie nicht selbst für den Strom sorgen müssen. Konzertsäle auf aller Welt. Vom Iran bis in den Wiener Musikverein. Ein musikalischer Karriereweg, den das Trio „Cobario“ mit so manchen Weltstars gemeinsam hat. Ed Sheeran, erzählen sie, hat auch auf der Straße begonnen. Glen Hansard, sowieso. Und auch Passenger fand auf der Straße sein erstes Publikum, das sich für Melodien und viel Gefühl mit ein paar Münzen bedankte. „Wir können heute zum Glück schon von der Musik leben“, berichtet Aichberger. In vielen Jahren hat sich Cobario einen eingängigen, emotionalen, mit Einflüssen von ausgedehnten Konzertreisen verdichteten, und doch vielschichtigen Stil zugelegt. „Die Straße ist in jedem Fall ein gute Schule für Bühnenmusiker. Eine Performance, die man auf der Straße rüberbringt, kann auch auf der Bühne bestehen“, meint Aichberger.

Autodidaktisch. Als ihre erste Bühne hat sich Martha Labil vor vielen Jahren den Stephansplatz ausgesucht. Dort hat sie sich ihre erste Aufgabe im autodikatischen Straßenkunst-Tutorial gestellt. Eine Performance auf Email-Töpfen. Mit viel Improvisation. Daraus wurde ihre erste Show, eine halbe Stunde lang. „Irgendwie hat es sich auch beim ersten Mal so angefühlt, als hätte ich es schon hundertmal gemacht“. Die Straßenkunst und vor allem die poetischeren Töne und Nuancen davon, sind schon während ihrer Jugend in Linz in ihre Künstlerseele eingesickert. Schließlich ist Linz seit über 30 Jahren Schauplatz des "Pflasterspektakels". Ein gutes Terrain war es für Martha Labil, um zu lernen, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, Shows und Performances zu erfinden, auszuprobieren und viel, viel zu improvisieren. „Ich habe dort immer die Menschen beobachtet, die Künstler. Tricks gelernt, einmal Hochradfahren, einmal Jonglieren“. Und allmählich wusste sie: „Das möchte ich auch machen“.

Zum 30sten Jubiläum des "Pflasterspektakels" schließlich durfte sie selbst für die Jubiläumsshow Regie führen. Im Sommer ist sie wie viele Künstlerinnen in ganz Europa gebucht und unterwegs. Und nun, wenn sie zurück in Wien ist, bemerkt sie langsam, wie sich eine Community beginnt zu formieren, zu vernetzen, in der Akrobaten, Clowns, Jongleure, voneinander lernen und profitieren. „In Österreich ist die Szene doch recht runtergedrückt. Doch inzwischen keimt hier auch eine Community des Neuen Zirkus, man geht gemeinsam trainieren, man bucht gemeinsam Hallen dafür, macht Workshops", erzählt Martha Labil.

Laute Effekte und leise Töne. Auffallen, das gehört zur Straßenkunst genauso dazu. Sonst funktioniert sie nicht. Denn zunächst muss man die Menschen einsammeln, von ihren Wegen, Unternehmungen, Plänen und Gedanken, die sie auf die Straßen geführt haben. Doch das allzu Laute, das allzu Schreierische, das liegt Martha Labil nicht. Ihre Kunst ist subtiler, poetischer, zwischenmenschlicher. Hier darf der Zauber des Künstlers das Publikum noch direkt berühren. Auch im reizüberfluteten öffentlichen Raum. An der Akademie der Bildenden Künste in Wien hat Martha Labil Malerei studiert. Auch an Schauspielerei dachte sie kurz. Aber das war nichts für sie, musste sie bei einer Hospitanz schnell feststellen: „Ich muss die Emotion spüren, um super schauspielen zu können“. Und so improvisiert sie sich entlang eines dramaturgischen Strangs durch den öffentlichen Raum auf Straßenkunstfestivals genauso wie über Bühnen in überdachten Theatersälen mit Stücken, die fast eine Stunde dauern., wie etwa „Die Martha im Koffer“. Oder Performances von nur ein paar Minuten.

Doch: Unter freiem Himmel ist die Kunst oft noch unfreier als in eingehausten, überdachten kulturellen Institutionen. Denn Straßenkünstler müssen sich nicht nur gegen die Schwerkraft stemmen, sondern gegen ganz andere Gesetze, die noch schwerer wiegen: etwa die Straßenkunstverordnungen. Denn: „Jeder Zentimeter im öffentlichen Raum ist geregelt und gewidmet“, erzählt Sabine Maringer. Der Gehsteig vor allem dem Gehen. Weniger dem staunend Stehen. Oder dem im Herzen Berührtsein. Trotzdem ist für Maringer die Straße die einzige Bühne, auf der sie sich ihre Kunst vorstellen kann. Auch weil dort ein paar Prinzipien, nach denen „kulturelle Verabredungen ablaufen“, gern Kopf stehen. Publikum? Das können alle sein. Die Zuschauer zahlen nach der Aufführung, nicht davor. Und auch dann nur, wenn sie möchten. Sieselbstmüssen sich auch nichtum die Karten anstellen, sondern die Künstler  wenn sie dann und wann ihre Hüte auf die Straße legen wollen, damit später ein paar Münzen darin klimpern: für die Innenbezirke Wiens brauchen die Künstler Platzkarten. Und noch andere Gesetze kommen in der Straßenkunst zum Tragen:
Und noch andere Gesetze kommen in der Straßenkunst zum Tragen: „Die Tageszeit ist ganz wichtig“, sagt Maringer. Besser, die Touristen schlendern ziellos vorbei. Auch die Einheimischen sollten den schweren Teil des Tages schon hinter sich haben, wenn sie an einer Performance vorbeikommen. Den Strom der Menschen durch den öffentlichen Raum, den Lauf der Sonne, auch das schadet nicht zu verstehen. Die Zuschauer in den Schatten, der Künstler ins Rampenlicht der Sonne. Und dann gilt da noch die wichtigste aller Kräfte für die Straßenkunst: Menschen ziehen Menschen an. Wo viele sind, da werden noch mehr. Doch in Wien hat der Kreis aus Menschen wegen der restriktiven Straßenkunstverordnung oft gar keine Chance, sich zu bilden.

Auch deshalb sind viele Straßenkünstler, die in Wien zuhause sind, oft quer durch Europa und den Rest der Welt unterwegs. Und wenn sich schwarz-weiße Streifen plötzlich kreuz und quer, vertikal und horizontal artistisch in den Stadtraum legen, könnte es auch der „Dada Zirkus“ sein, der da Aufstellung nimmt – verkörpert von Arno Uhl und André Reitter. Gemeinsam haben sie eine Zirkusschule im spanischen Granada besucht. Inzwischen sind sie fixer Teil der Wiener Straßenkunstszene, Arno Uhl etwa kuratiert auch das „Streetlife Festival“ mit, das am 16. und 17. September über die Pflastersteine der Mariahilfer- und der Babenbergerstraße in Wien fegt. Trotzdem: Wien ist ein schwieriges Pflaster für die Straßenkunst, wissen Uhl und Reitter. Im restlichen Europa haben sie schon gegensätzliche Erfahrungen gemacht: „In Italien kommen sie schon mit der Pizza auf dem Teller, wenn wir auf dem Stadtplatz die Show aufbauen“, erzählt Uhl.

Tipp

Streetlife Festival. Am 16. und 17. September in Wien. Es zelebriert das Straßenleben mit zahlreichen Auftritten von Straßenkünstlern. www.streetlife.wien

Buskers Festival. Für den 8. bis 10. September angekündigt. Am Karlsplatz in Wien.

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