Interview

Guillermo del Toro: Ich glaube an die große Liebe"

Für sein umwerfend inszeniertes Fantasymärchen „The Shape of Water“ erhielt Guillermo del Toro den Goldenen Löwen für den Besten Film.
Für sein umwerfend inszeniertes Fantasymärchen „The Shape of Water“ erhielt Guillermo del Toro den Goldenen Löwen für den Besten Film. (c) APA/AFP/FILIPPO MONTEFORTE (FILIPPO MONTEFORTE)
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Der Goldene Löwe bei den Filmfestspielen von Venedig ging heuer an Guillermo del Toro für sein traumhaft schönes Fantasy-Horror-Liebesmärchen „The Shape of Water“. Im Interview spricht er über Düsternis, Romantik und das Politische im Fantasy-Genre.

Seine Anfänge liegen im Horror- und Genrekino, heute ist Guillermo del Toro Hollywoods erste Anlaufstelle, wenn es um innovatives, perfekt umgesetztes Fantasykino geht. Der mexikanische Filmemacher, der 1997 nach der Entführung seines Vaters mit seiner Familie in die USA emigriert ist, versteht es wie kaum ein zweiter, Blut-und-Beuschel-Ästhetik mit ganz großem Gefühl zu verbinden. Er gab mit „Blade II“ und den „Hellboy“-Filmen Comicblockbustern einen neuen Spin oder schuf mit „Pans Labyrinth“ einen Kultklassiker.

Bei den Festspielen in Venedig, die kürzlich zu Ende gingen, präsentierte del Toro als Regisseur, Produzent und Autor „The Shape of Water“, eine düster-romantische Liebesgeschichte zwischen einer stummen Putzfrau (Sally Hawkins) und einem Schlammmonster (Doug Jones), das in einer geheimen Forschungsstätte gefangen gehalten und gequält wird. Für das umwerfend inszenierte Fantasymärchen gab es von der Venedig-Jury den Goldenen Löwen für den Besten Film.

Es gibt viele Märchen und Mythen über die Liebe zwischen Mensch und Monster. Selten wurde das Thema so ohne Angst vor Tabus angegangen wie in „The Shape of Water“.

Guillermo del Toro: Weil ich eine echte Liebesgeschichte erzählen wollte, mit realistischen Charakteren und einer realistischen Sexualität. Normalerweise gibt's bei dem Thema zwei Extreme: streng puritanisch, ohne sexuelle Elemente oder die perverse, fetischistische Variante. Und keine davon interessiert mich wirklich. Im echten Leben kann man ja auch die ganz große Liebe erleben und mit ihr wilden Sex haben!

Ihre beiden Helden verlieben sich nicht wegen ihrer Gegensätzlichkeit, sondern, weil sie sich voneinander erkannt fühlen.

Genau. Wenn man sich verliebt, dann ist es ja so: Endlich hat man jemanden gefunden, der so ist wie man selbst. Es gibt den Moment im Film, als Sallys Filmfigur sagt: „Er sieht mich als das, was ich bin – er sieht nicht das, was mir fehlt.“ Das ist Liebe. Für mich ist es Liebe, wenn mich jemand ansieht und nicht sieht, was an mir verkehrt ist. Sondern mich als das Wunder erkennt, das ich bin. Das wir alle sind. Das kann jemand vom anderen Geschlecht oder dem eigenen sein, aus einer anderen Kultur oder Religion. Es passiert ohne Vorwarnung. Die Message meines Films ist: Wenn sich die Möglichkeit für die Liebe offenbart, sollte man sie ergreifen. Egal, welche Form sie hat.

Ihr Film ist trotz seiner Düsternis unglaublich romantisch. Viele Kritiker haben diskutiert, ob das auf Anraten des Studios passiert ist.

Wenn man einen Film mit einem düsteren, zynischen Ende macht, dann lässt einen das natürlich intelligenter aussehen. Wir leben in einer Zeit, in der Zynismus und Skepsis als intelligent gelten. Aber ich glaube an die ganz große Liebe als Macht der Natur! Das letzte Mal, als mir jemand gesagt hat, dass ich bei einem meiner Filme etwas anders machen soll, war 1997 bei „Mimic“. Seitdem habe ich mehr oder weniger komplette Freiheit. Aber das war eine wichtige Lektion für mich. Es hat mich gelehrt, Nein zu sagen.

Sie sind ein Filmemacher, der nicht vor deutlichen politischen Aussagen zurückschreckt – auf und abseits der Leinwand.

Stimmt. Und Fantasy-Horror ist ja eines der politischsten Filmgenres überhaupt, vermutlich fasziniert es mich deshalb so. In kaum einem anderen Filmgenre kann man so deutlich politisch sein.

Das wird auch in „The Shape of Water“ deutlich, als sich eine Gruppe Underdogs gegen den herzlosen Machthaber auflehnt.

Ich wollte einen Film über eine Gruppe von Unsichtbaren machen, die zusammenkommen, um einem mächtigen Mann das Handwerk zu legen. Und das schaffen, weil sie von ihm nicht wahrgenommen werden. Für mich ist der größte Ausdruck von Liebe und Respekt, den man einem Menschen entgegenbringt, wenn man anerkennt, dass er existiert. Genau damit arbeiten Ideologien: Sie machen den Einzelnen unsichtbar, sie stellen Sammelbezeichnungen vor Menschen – „Jude“, „Homosexueller“, „Ausländer“. Man lässt einzelne Menschen verschwinden, um sie wie Dinge behandeln zu können.

War es von Anfang an klar, dass Sally Hawkins Filmfigur stumm ist?

Ja. Die Verbindung zwischen ihr und dem Monster sollte sich jenseits von Worten abspielen. Mich macht Liebe stumm. Sie verschlägt mir die Sprache. Wenn man sich verliebt, kann man viel darüber reden, aber kann nie wirklich ausdrücken, wie man empfindet.

Steckbrief

Guillermo del Toro wurde 1964 in Guadalajara in Mexiko geboren. Sein Durchbruch gelang 1993 mit seinem Debüthorrorfilm, „Cronos“, seine erste Hollywood-Produktion war 1997 „Mimic – Angriff der Killerinsekten“.

Auch als Autor hat sich del Toro einen Namen gemacht. Er verfasst seine Drehbücher selbst, aus seinem 2009 erschienenen ersten Roman, „The Strain“, ist eine Fernsehserie hervorgegangen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2017)

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