Ein „Presse“-Familientreffen

Blick auf das Podium: Moderatorin Eva Linsinger mit den Autoren Rainer Nowak, Thomas Prior und Christian Ultsch (v. l.)
Blick auf das Podium: Moderatorin Eva Linsinger mit den Autoren Rainer Nowak, Thomas Prior und Christian Ultsch (v. l.)(c) Nina Keinrath/Friendship
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Rainer Nowak, Christian Ultsch und Thomas Prior stellen ihr Buch über die Flüchtlingskrise vor. Eva Linsinger: „Es liest sich stellenweise wie ein Krimi.“

Viel stimmiger hätte das Ambiente nicht sein können. In einem ehedem legendären Journalistencafé der Habsburgermonarchie, dem früheren „Griensteidl“ (heute „Rien“), einen Steinwurf entfernt von den Schaltstellen der Macht am Ballhaus- und Minoritenplatz, präsentierten Rainer Nowak, Christian Ultsch und Thomas Prior ihr Buch „Flucht“, in dem sie die Hintergründe der Flüchtlingskrise vor zwei Jahren ausleuchten.

Während draußen am Michaelerplatz die Pferdekutschen vorbeirollten, rekapitulierte das „Presse“-Trio am Dienstagabend Schlüsselmomente der Fluchtbewegung, die Europa überrollt und der Politik die Grenzen aufgezeigt hatte. Vor der „Presse“-Familie – vielen Redakteuren, Freunden, Stammlesern – Kollegen, Diplomaten und Regierungsbeamten diskutierten am Podium drei „Men in Black“ in weißem Hemd und schwarzem Sakko mit einer „Woman in Black“. Abgesprochen war die Kleiderordnung übrigens nicht, wie Chefredakteur Nowak, Außenpolitik-Chef Ultsch, Innenpolitik-Redakteur Prior sowie Moderatorin Eva Linsinger, die Innenpolitik-Chefin des „Profil“, glaubhaft versicherten.

Einfluss auf die Wahl

Für Thomas Prior, einen früheren Berlin-Korrespondenten, steht fest: „Die Flüchtlingskrise wird die Wahl in Österreich beeinflussen. Das hat die Wahl in Deutschland gezeigt.“ Das Timing des Erscheinungstermins zehn Tage vor der Nationalratswahl rief in den politischen Lagern Argwohn hervor, schilderte Nowak: Ein „Heldenepos“ für Kurz, hätten Gegner des ÖVP-Chefs geunkt; seine Anhänger wiederum hätten beklagt, dass die Urheberschaft bei der Schließung der Balkanroute in Frage gestellt werde.

Der „Presse“-Chefredakteur plauderte ein wenig aus dem Nähkästchen: über einen Kulturminister (Josef Ostermayer), der sich in seiner Erinnerung an die Flüchtlingskrise chronologisch an Premierenterminen in Burg und Oper orientierte, oder eine Innenministerin (Johanna Mikl-Leitner), die sich in einer Sitzung mit der mächtigsten Frau Europas – Angela Merkel – angelegt habe. Die deutsche Kanzlerin, so das Resümee der Buchautoren, habe ein „Doppelspiel“ betrieben – als Protagonistin der „Willkommenskultur“, die hinter den Kulissen zugleich die von ihr öffentlich kritisierte Schließung der Balkanroute geduldet habe.

Die Flüchtlingskrise hat jedenfalls den Aufstieg einiger Schlüsselfiguren der österreichischen Politik befördert: Die Krise brachte in der SPÖ Christian Kern und Hans Peter Doskozil an die Macht, für Außenminister Sebastian Kurz war es die große Nagelprobe. Dass er die Balkanroute quasi im Alleingang geschlossen habe, wie der ÖVP-Chef mitunter den Anschein erweckt, enthüllen die Autoren als Mythos. So sei auch Slowenien federführend beteiligt gewesen, fanden sie bei ihren Recherchen heraus, die sie nach Nickelsdorf und Spielfeld führten, nach Budapest, Skopje, Ljubljana und Berlin.

Sie sprachen mit Ministern, hochrangigen Diplomaten, Beamten und Helfern, und sie waren erstaunt über deren Offenheit und Gesprächsbereitschaft. „Es war eine derartige Ausnahmesituation, dass es für viele wie eine Therapie war, darüber zu reden“, beschreibt Christian Ultsch das Gesprächsklima. Die „Presse“-Journalisten reflektierten über die „Macht der Bilder“, die einsetzende Skepsis angesichts der anfänglichen Euphorie in der Bevölkerung und die „nüchterne Rückschau“ der NGOs, wie Nowak konstatiert. „Diese Art des Kontrollverlusts wird sich so bald nicht mehr wiederholen“, ist Ultsch überzeugt. Rainer Nowak zieht zwei Lektionen aus der Flüchtlingskrise: „Die Politik ist auf solche Themen nicht vorbereitet. Und die Medien müssen präziser und nüchterner berichten.“

Eva Linsinger stellte sich am Ende mit einem kollegialen Kompliment ein: „Das Buch liest sich stellenweise wie ein Krimi.“ Nowak blieb es dann vorbehalten, die Parole auszugeben: „Buch kaufen, Bier trinken, Zeitung abonnieren.“ Das Publikum hielt sich unverzüglich an die ersten beiden Empfehlungen. Für die drei Autoren geht die Lesetour indes erst richtig los: Heute Abend stellen sie ihr Buch in Berlin vor. Das Interesse in Deutschland ist groß. Die „Welt“ widmete dem Buch bereits eine ganze Seite.

Zum Buch

Christian Ultsch, Thomas Prior, Rainer Nowak, "Flucht", 22,90 €

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2017)

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