„Me Too“: Wenn Frauen das Schweigen brechen

Schwedens Außenministerin Wallström.
Schwedens Außenministerin Wallström.(c) imago/CTK Photo (imago stock&people)
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Schwedens Außenministerin, Margot Wallström, die Sportlerin McKayla Maroney, die Facebook-Chefin, Sheryl Sandberg – sie alle berichten von angeblicher sexueller Belästigung oder Missbrauch. Paris will gegen Belästigung auf der Straße vorgehen.

Los Angeles/Paris. Es geht längst nicht mehr um Hollywood. Nicht mehr um sexuelle Belästigungen, Übergriffe und Vergewaltigungen in der kalifornischen Filmindustrie. Die Debatte wird nun laut und wütend in anderen Branchen weitergeführt. „Ich auch“, schreibt etwa die schwedische Außenministerin, Margot Wallström, auf ihrer Facebook-Seite. Das heißt: Auch sie sei sexuell belästigt worden. Zwar nennt Wallström keine Details des Vorfalls, aber vor wenigen Jahren schilderte sie dem Journalisten Jan Scherman ein Dinner mit europäischen Staats- und Regierungschefs. Ihr Sitznachbar habe seine Hand auf ihre Schenkel gelegt: „Das war völlig irreal." Sexuelle Belästigung sei auch auf „höchster politischer Ebene“ ein Thema, sagt Wallström.

Und in der Sportwelt. Ihr Teamarzt, erzählt die junge US-amerikanische Kunstturnerin und Olympiasiegerin McKayla Maroney, habe sie jahrelang unter dem Vorwand von „Untersuchungen“ missbraucht. Der Mediziner sitzt derzeit eine Gefängnisstrafe ab. Er war im Besitz von kinderpornografischem Material, wegen Dutzenden weiteren Vorwürfen wird gegen ihn ermittelt.

Wallström und Maroney sind nur zwei der Millionen Frauen, die seit Tagen in sozialen Medien unter dem Hashtag #MeToo von sexueller Belästigung berichten. Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin von Facebook, schreibt ebendort vom „großen Elefanten“, der endlich „aus dem Raum hinausgeworfen“ werde. Auch sie habe ihre Erfahrungen mit Belästigung und unerwünschter Annäherung gemacht.

Es war die Schauspielerin Alyssa Milano, die mit diesem Hashtag eine breite Debatte lostrat – die Aktion selbst geht jedoch auf die Aktivistin Tarana Burke zurück. Vor zehn Jahren gründete sie die „Me Too“-Bewegung, als sie von einem Mädchen erfuhr, das vom Partner seiner Mutter schwer missbraucht wurde. Ihr Verein unterstützt insbesondere junge Mädchen, die Minderheiten angehören. „Es geht darum, dass sich Betroffene mit anderen Betroffenen austauschen“, sagt Burke zu der aktuellen Debatte. Mit Alyssa Milano will die Aktivistin künftig zusammenarbeiten.

Seit die schwerwiegenden Vorwürfe gegen den Hollywood-Mogul Harvey Weinstein bekannt wurden – von sexueller Belästigung bis hin zu Vergewaltigung –, haben sich Hunderte Frauen aus der Unterhaltungsindustrie zu Wort gemeldet. Angelina Jolie, Gwyneth Paltrow, Lady Gaga, und täglich werden es mehr. Die Seriendarstellerin America Ferrera sei mit neun Jahren missbraucht worden, schildert sie. In der deutschen Filmbranche sieht es nicht besser aus. Nina Brandhoff, bekannt aus der Serie „Die Rosenheim-Cops“, erzählt dem „Spiegel“ von einem Kollegen, der ihr unvermittelt das T-Shirt hochgezogen habe: „Einer anderen Schauspielerin steckte er einfach seine Zunge ins Ohr. Er belästigt fast jede Frau am Set. Alle bekommen es mit. Aber keiner sagt etwas, dazu ist er für die Serie zu wichtig.“

Weinstein Company in Turbulenzen

Unterdessen gerät die von Harvey und Bob gegründete Weinstein Company immer mehr unter Druck, wiewohl die Geschäftsführung Harvey Weinstein gleich nach Bekanntwerden der Vorwürfe hochkant hinausschmiss. Seit Dienstag ist er auch nicht mehr im Aufsichtsrat vertreten. Nun hat Schauspieler Channing Tatum ein geplantes Projekt mit Weinstein abgesagt, er ist offenbar nicht der Einzige. Das Unternehmen musste um eine Finanzspritze von einem Investor bitten, um nicht in Turbulenzen zu geraten. Bob Weinstein, der sich in den vergangenen Tagen nicht oft genug von seinem Bruder distanzieren konnte, steht nun ebenfalls im Kreuzfeuer der Kritik. Eine Produzentin wirft ihm Belästigung vor.

Neben den USA hat #MeToo auch in Frankreich eine hohe Resonanz erhalten, teilweise haben Nutzer den Hashtag weiterentwickelt. „Die Straße gehört auch den Frauen“, sagt die Staatssekretärin für Gleichstellung, Marlène Schiappa. Sie hat eine Verschärfung der geltenden Gesetze angekündigt. Bei – noch genau zu definierenden – „Belästigungen auf der Straße“ sollen Polizisten Geldstrafen verhängen dürfen. Präsident Emmanuel Macron will Harvey Weinstein die Legion d'Honneur aberkennen, die ranghöchste Auszeichnung des Landes.

Ankündigungen gibt es auch von Twitter, das Unternehmen will künftig die Verbreitung von illegalen, voyeuristischen, pornografischen Fotos unterbinden. Viele Nutzer haben in den vergangenen Tagen gerade Twitter kritisiert, weil das Unternehmen kurzzeitig das Profil der Schauspielerin Rose McGowan gesperrt hatte. Sie war eine der ersten, die Harvey Weinstein öffentlich des Missbrauchs und der Vergewaltigung bezichtigte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2017)

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