Sven Regener analysiert Österreich

Immer wieder da: Sven Regener in seinem Wiener Stammcafé, dem Westend.
Immer wieder da: Sven Regener in seinem Wiener Stammcafé, dem Westend. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Autor Sven Regener liest im Rabenhof. Ein Gespräch über Österreich vs. Deutschland, Piefkes, Aktionskunst und ein Buch voller Wien-Assoziationen.

Sven Regener kommt nach Wien. Beziehungsweise, er ist derzeit ohnehin oft da. Interviews, TV-Auftritte, das Promotion-Programm. Diese Woche liest Regener nun im Rabenhoftheater. Drei Lesungen hintereinander, seit Wochen weitgehend ausverkauft. Wien ist für Regener ein kleines Heimspiel. „Wien“, sagt er, überlegt, überschlägt Fassungsvermögen der Konzerthallen und Lesesäle der letzten Stopps, „ist für uns immer gut gelaufen.“ Uns, das heißt Element of Crime, und für seine Band sei Wien nach Berlin immer schon die zweitstärkste Stadt, sagt Regener beim Gespräch im Café Westend. Hierher kommt er seit den Achtzigern, seit den ersten Konzerten. Seit sich die Musiker damals im Fürstenhof, dem Exil-Quartier durchreisender Künstler in Wien, einquartiert hatten.

Nebenan, im Westend, sitzt Regener in Wien noch immer gerne, erzählt bei alkoholfreiem Ottakringer von damals, ersten Konzerten, frühen Erfolgen, seinem Bezug zu Wien. Schließlich hat er nun einen Roman voller Wien-Assoziationen geschrieben. Der heißt „Wiener Straße“, spielt ebendort (in Berlin), es tauchen Aktionskünstler, Malakoff-Torten, Manner Biskotten oder Ottakringer Gemeindebauten auf.

„Der Titel hat pragmatische Gründe, ich hatte eine Art Sitcom-Situation im Kopf. Diese Typen ziehen gezwungenermaßen zusammen, es gibt einen beknackten Nachbarn, unter ihrer Wohnung die Kneipe. Das ist ein Gefüge wie im Kasperletheater, Krokodil, Großmutter, Prinzessin, alles da. Und solche räumlich engen Geschichten benennt man gern nach den Orten, an denen sie spielen.“ Die Idee, einige Protagonisten Österreicher sein zu lassen, entstand, nachdem er zu der Zeit viel mit Österreichern zu tun hatte. Immerhin brachte das neue Spannung – Aufenthaltsprobleme der Österreicher im Berlin der Achtziger, Heimweh, Aktionskunst, das Verhältnis Wien-Berlin – ins Buch. „Das war ein willkommenes Fressen, dass man die Arsch-Art-Leute, die so fiese Konzeptkünstler sind, mit brachialen Aktionen, wie man sie von den Wiener Aktionisten kennt, zu Österreichern zu machen. Das hat der Entwicklung ordentlich Zunder gegeben, ich konnte einen eigenen Handlungsstrang damit aufmachen, mit heimlichen Österreichern in Berlin, ihren Aufenthaltsproblemen, ihrem Heimweh nach Wien, und so weiter.“

Wien versus Berlin, Österreich versus Deutschland – Regener hat da einige Expertise. Vor ein paar Jahren hat er dazu einen Blog geschrieben (nachzulesen im Buch „Meine Jahre mit Hamburg Heiner“) „Dieses Verhältnis hat mich immer fasziniert. Das Preußische ist ja das dem Österreichischen diametral entgegengesetzte Wesen. Berlin ist das Herz der Finsternis aus österreichischer Sicht“, sagt Regener, dann folgt ein historischer Abriss, 18. Jahrhundert, Siebenjähriger Krieg, Deutscher Krieg 1866, Reichsgründung 1871, retour zur Schlacht von Königgrätz und zu Piefke, dem Komponisten des Siegesmarsches, und so weiter. „Insofern ist das der Gegensatz. Das Protestantische, nicht-barocke, sozusagen das kahle, nüchterne, kalt-aufklärerische ist das eher preußische Ding, bei Österreich denken wir an eher barocke Herangehensweisen, katholisch-, und so weiter. Und dann ziehen diese Leute (es geht jetzt wieder ums Buch, Anm.) nach Berlin, weil ihnen Wien zu klein ist. Unter anderem, weil einer halb Deutscher ist und da ein Haus geerbt hat, und so tut, als wäre das besetzt, das ist schon ein sehr lustiger Gedanke.“

Ähnlich rasant wie Regener spricht, liest sich der Roman. Und ähnlich liest er daraus vor. Dass ihm Lesungen, einmal Freude machen würden, habe er selbst nicht geglaubt. Letztlich sei das, den Texten einen Sound zu verleihen, eine eigene Kunstform für sich. „Ich glaube, dass meine Romane einen sehr eigenen literarischen Stil haben, dass sie es wert sind, sie den Leuten auch mal vorzusingen, dass man das zum Klingen bringt.“

„Ich bin kein Witzeerzähler“

Auf die Lesungen in Wien sei er besonders gespannt. „Es gibt ja viele Passagen mit Wienern, mal sehen, ob die da lachen. Aber ich erwarte nichts, ich bin ja kein Witzeerzähler. Ich kann auch mit Alkohol nicht lustig sein“, sagt er, „ich kann auch einfach runterlesen und gut ist, das ist mir eigentlich total egal, sollen die Leute selber wissen was sie damit machen.“

Etwas Lustiges zu schreiben war ohnehin nicht geplant. „Ich hatte nie die Absicht, eine Situationskomödie zu schreiben, die es ja schlussendlich geworden ist. Es ist offenbar ein lustiges Buch, aber auch sehr kalt, gefühlsarm. Der große Wiener Arzt Sigmund Freud hat gesagt, Humor ist Lustgewinn durch ersparten Gefühlsaufwand. So sieht's aus. Je lustiger etwas ist, desto kälter ist es. Komik bedeutet immer Lachen über jemand anderen. Wenn man Glück hat und sich mit dieser anderen Person identifizieren kann, lacht man dabei auch über sich selbst.“

Zur Person

 Sven Regener, geb. 1961 in Bremen, kennt man seit 30 Jahren als Sänger, Trompeter und Gitarrist der Band „Element of Crime“. 2001 gelang ihm mit „Herr Lehmann“ außerdem ein literarischer Sensationserfolg. Darauf folgten mehrere Bücher, die im „Lehmann“-Universum spielen. Sein jüngstes Buch „Wiener Straße“ war für den Deutschen Buchpreis nominiert.
In Wien liest Regener Freitag, Samstag und Sonntag im Rabenhof aus „Wiener Straße“.

Web: www.rabenhof.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2017)

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